Süddeutsche Zeitung

RTL-Senderchef:Der Algorithmus ist keine Lösung

Lesezeit: 4 min

Frank Hoffmann im Gespräch über Massenprogramm und Werte in Zeiten von Echokammern.

Interview von Claudia Tieschky

Gerade läuft Deutschland 86 bei Amazon Prime, die Fortsetzung der Spionage-Serie Deutschland 83 von RTL und der Produktionsfirma Ufa. Damals war es eine der ehrgeizigsten Serien in Deutschland, jedoch sahen bei RTL im Schnitt nur zwei Millionen Menschen zu. Bei Staffel zwei ist RTL Koproduzent, 2019 läuft Deutschland 86 dann in dem Programm, in dem Günther Jauch Millionäre sucht oder nackte Menschen Beziehungen anbahnen.

SZ: Herr Hoffmann, Pro Sieben Sat 1 hat gerade angekündigt, mehr Eigenproduktionen und lokale Programme zu produzieren. Es gibt unter dem Druck globaler Konkurrenz von Netflix und Amazon offenbar das Gefühl, man müsste als Privatsender jetzt handeln. Haben Sie das auch?

Frank Hoffmann: Genau diese Strategie setzen wir seit inzwischen rund vier Jahren um. Der Fokus auf lokale, in Deutschland exklusive Produktionen zahlt sich aus. Unsere Trampolinshow Big Bounce ist ein schönes Beispiel dafür, wie wir mit unserer eigenen Kreativität gemeinsam mit Produzenten Erfolgreiches schaffen können. Das Format wurde nach Frankreich und jüngst auch an Fox in die USA verkauft, für hiesige Show-Produktionen alles andere als üblich. Unser Eigenproduktionsanteil liegt schon heute bei mehr als 80 Prozent in der Primetime, Tendenz steigend.

RTL steht für einen merkwürdigen Spagat: auf der einen Seite die seriösen Nachrichten mit Peter Kloeppel, andrerseits Shows wie Adam sucht Eva mit tätowierten und chirurgisch veränderten nackten Menschen - wie geht das zusammen?

Adam sucht Eva sind sechs Stunden unseres Programms. Diese sechs Stunden gehören ebenso zu RTL wie die rund 1860 Programmstunden Magazin- und Newsberichterstattung pro Jahr. Mit Adam sucht Eva schaffen wir dabei gezielt Aufmerksamkeit, selbst in unserem Gespräch.

Wenn Nackte durchs Fernsehen laufen, ist es doch klar, dass das eine gewisse Aufmerksamkeit erregt, oder?

Entscheidend für uns ist die Mischung. Mich macht es als Journalist stolz, wenn wir um 20.15 Uhr Reportagen über so schwierige Themen wie Brustkrebs zeigen, von denen viele sagen, das würden wir gern auch mal bei einem öffentlich-rechtlichen Sender um diese Uhrzeit sehen, oder investigativen Journalismus mit Team Wallraff oder Das Jenke-Experiment. Wir möchten die Massen ansprechen durch unseren Programmmix und keine Echokammern bedienen, wo Menschen oft nur das hören, was sie ohnehin hören möchten. Zudem finde ich absolut nichts Schlechtes daran, wenn Menschen sich auch mal nur unterhalten lassen wollen, im Gegenteil.

Ist Ihr Publikum auch ein bisschen arm und ein bisschen fettleibig, wie der frühere Pro-Sieben-Chef Thomas Ebeling das Publikum des deutschen Privatfernsehens aus seiner Sicht geschildert hat - in Abgrenzung zu dem mutmaßlich elitäreren Netflix-Zuschauer?

Finde ich reichlich despektierlich, diese Annahme. Ich weiß, dass es manches Klischee über das Privatfernsehen gibt, bezeichnenderweise zumeist bei denen, die uns lange nicht mehr geschaut haben. Diese Klischees werden jedoch weder unseren Zuschauern gerecht noch jenen, die das Programm machen. Manchmal bin ich sogar etwas erstaunt, dass Netflix und Amazon ausschließlich als Heilsbringer dargestellt werden. Wenn ich mir vorstelle, nur ein Algorithmus würde bestimmen, was unsere Zuschauer sehen, dann würde unser Programm, so sehr ich sie mag, vor allem aus Castingsendungen, Soaps und vielleicht noch Wer wird Millionär? bestehen. Aber wir liefern als Privatsender einen Public Value. Natürlich bei den News und Magazinen, oder nehmen Sie die Diversität: seit Jahrzehnten ist bei Cobra 11 der Hauptcharakter ein Ermittler mit türkischem Hintergrund, ohne dass das groß thematisiert würde. Bei Let's Dance gibt es ganz selbstverständlich eine Multikulti-Jury. In unseren täglichen Serien behandeln wir höchst relevante Themen wie Flüchtlinge, Mobbing oder häusliche Gewalt. Und wir stellen fest, dass wir viele Zuschauer genau deshalb erreichen, weil wir es verstehen, Relevantes unterhaltsam zu verpacken.

Was bringt Ihnen das wirtschaftlich?

Glaubwürdigkeit. Das ist ein enormer und an Bedeutung wachsender Wert. Wenn es jetzt eine Breaking-News-Situation gibt, sind wir, neben unserer Schwester n-tv, der einzige große private Sender auf Augenhöhe mit den Öffentlich-Rechtlichen. Das zahlt sich hervorragend aus, denn seit vielen Jahren sind wir hochprofitabel.

Der Schwestersender RTL2, an dem die RTL-Group etwas mehr als ein Drittel hält, hat gerade die Redaktion seiner RTL2 News wegrationalisiert und die Sendung an die hauseigene Firma Infonetwork übergeben. Dabei waren diese News gedacht als Experiment für ein junges Publikum.

Programmentscheidungen bei RTL 2 treffen allein die Kollegen in München. Aber auch Infonetwork kann bekanntlich junge Newssendungen erfolgreich machen. Wenn sich plötzlich Aufsicht und Politik für die Nachrichten von RTL 2 Interessieren, ist das grundsätzlich zu begrüßen.

Politiker interessieren sich immer für Nachrichten.

Ja, aber leider oft erst bei Veränderungen und nicht bereits dann, wenn sie ganz selbstverständlich programmiert werden. Wir möchten schon einen Anspruch ableiten aus dem, was wir freiwillig tun.

Was heißt das?

Wir sollten als Private beim Gesetzgeber für Public-Value-Angebote auch eine Wertschätzung erfahren, das geschieht eindeutig zu wenig. Wir sollten besser auffindbar sein auf der Voreinstellung der Fernseher. Nicht zu akzeptieren wäre, wenn Programmplattformen eigene Werbung auf unsere Sendungen aufblenden. Die gesetzlichen Regeln, die uns noch immer auferlegt werden, sollten auch für unsere Konkurrenten Youtube, Google, Netflix, Facebook, Amazon gelten - oder eben für keinen von uns. Das nennt man fairen Wettbewerb, wobei die Regulierung eher Anreize setzen sollte als auf Repression auszuüben. Wer mag, kann an dieser Stelle auch auf das Jahr 2012 zurückblicken, als das von uns mitinitiierte und sogenannte deutsche Hulu vom Kartellamt verboten wurde als eine Videoplattform, an der sich alle hiesigen Sender hätten beteiligen können. Die Folgen dieser Entscheidung waren gravierend, weil sie hiesige Marktentwicklungen ausgebremst haben. Deshalb konzentrieren wir uns auf den Ausbau unserer eigenen VoD-Plattform TV Now.

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Quelle:
SZ vom 25.10.2018
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