Süddeutsche Zeitung

RTL-Dschungelcamp:Menschen mit Vergangenheit

Lesezeit: 2 min

Die elfte Staffel von "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" bei RTL beginnt äußerst emotional. Der Zoom hat Hochkonjunktur. Nur Fußballweltmeister Thomas "Icke" Häßler sagt nicht viel. Muss er auch gar nicht. Sein Gesicht spricht Bände.

Von Johanna Bruckner

Was die schlimmste Schlagzeile gewesen sei, die er über sich lesen musste, wird Jens Büchner vor seinem Einzug ins "Dschungelcamp" gefragt. Büchner, genannt "Mallorca-Jens", bekannt aus einer Reality-Doku bei Vox, zitiert diese: "TV-Auswanderer versäuft 17 000 Euro am Ballermann".

Als Eingangsstatement für die elfte Staffel der RTL-Show I ch bin ein Star - Holt mich hier raus! mag das manchem Beobachter passend erscheinen: Schnapszahl, Alkoholnase - fast schon ein Gag, den sich Sonja Zietlow und Daniel Hartwich auf ihren Moderationskärtchen notieren könnten. Aber eigentlich geht es genau darum ja nicht im Dschungelcamp, jenem Ort, an den es sogenannte Prominente zum Image-Entgiften zieht. Nach 16 Tagen Entbehrungen und Erniedrigungen unter Dauerbeobachtung entsteht - so es die irdischen Gesandten des Fernsehgottes wollen (also RTL-Redakteure und -Cutter) - ein neuer Mensch. Schluss mit Fake und Fehlern. Endlich Gewinner sein statt Würstchen.

Doch wie sang schon Neue-Deutsche-Welle-Star Stephan Remmler? Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Und so markiert der TV-Dschungel für die meisten natürlich nicht den Beginn eines neuen Lebens. Er ist für viele Teilnehmer ein Schritt tiefer hinab in die Fernsehhölle. Am deutlichsten wird das in diesem Jahr an einer Kandidatin: Gina-Lisa Lohfink, hervorgegangen aus der dritten Staffel Germany's Next Topmodel, im Sommer zur umstrittenen Symbolfigur der Nein-heißt-Nein-Debatte geworden (Lohfink hatte zwei Männer unter anderem wegen Vergewaltigung angezeigt und war im August selbst wegen falscher Verdächtigung verurteilt worden), jetzt gerüchteweise bestbezahlte Kandidatin im australischen Busch.

Gina-Lisa Lohfink

Schon als junge Frau nahm Gina-Lisa Lohfink bei Misswahlen teil. Dabei wurde sie unter anderem "Miss Darmstadt". 2008 trat die damals 22-Jährige bei Germany's Next Topmodel an. Obwohl sie nur Platz zwölf belegte, folgten Auftritte in etlichen Reality-Shows und Musikvideos, die Gründung eines Modelabels und eine (gescheiterte) Adoption durch Prinz Frédéric von Anhalt. Im vergangenen Jahr wurde Lohfink wegen "falscher Verdächtigung" zu einer Geldstrafe von 20.000 Euro verurteilt. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten sah es als erwiesen an, dass sie zwei Männer "wider besseres Wissen" bezichtigt hatte, sie vergewaltigt zu haben. Durch den Prozess wurde Lohfink wenigstens zwischenzeitlich zur Gallionsfigur der "Nein heißt nein"-Bewegung. Im Sommer 2016 sah man sie dann bei einer bizarren Kunst-Performance ihre eigene Privatsphäre beerdigen. Wieso sie jetzt wieder freiwilig die Öffentlichkeit sucht, wirft natürlich viele Fragen auf. Vielleicht birgt der Auftritt im australischen Dschungel ja die Chance, einige davon zu beantworten.

Markus Majowski

Fun, Fun, Fun brachte Markus Majowski in die WG der "Dreisten Drei" von 2003 bis 2008. Ansonsten kennt man den Berliner unter anderem aus "Die sieben Zwerge", "Tatort" oder "Let's Dance". Sein Skandal-Potenzial ist eher gering: Wegen eines Klingelstreiches soll Majowski 2002 Kinder mit Kieselsteinen beworfen haben. Über seine Alkohol- und Drogenabhängigkeit in der Vergangenheit redete er bereits sehr offen und ausführlich. Damit scheint der gelernte Schauspieler eher die Rolle des seriösen Kandidaten zu übernehmen, bei dem man sich fragt, warum er sich die Blöße des "Dschungelcamps" gibt.

Hanka Rackwitz

Durch ihre Expertise aus der Vox-Sendung mieten, kaufen, wohnen wird Hanka Rackwitz sicherlich wissen, welche der Holzpritschen im Camp die beste Lage hat - und im Notfall streitschlichtend zwischen mehreren Interessenten agieren. Die Immoblienmaklerin ist außerdem kameraüberwachtes Zusammenleben mit anderen Promis gewohnt. In der zweiten Staffel von "Big Brother" überstand sie 56 Tage. Die Hand sollten die anderen Campbewohner ihr aber nicht geben. Aus Angst vor Kontamination gibt sie diese ihrer Immobilienkundschaft nämlich auch nicht.

Marc Terenzi

Auch Marc Terenzi bezieht das Lager im Regenwald. Bekannt wurde der Italo-Amerikaner vor allem durch seine Ehe mit Sarah Connor. Seinen beruflichen Höhepunkt erreichte er mit der Boyband Natural. Seit deren Trennung 2004 wirkte Terenzi unter anderem in Horrorshows im Europapark mit - oder spielte sich selbst in deutschen Fernsehproduktionen wie der ARD-Komödie "Sophie Kocht". Dort immerhin neben der Schauspielerin Anette Frier. Bei "Let's Dance" schied er 2012 bereits in der zweiten Live-Show aus. RTL könnte ihn auch für sein Konfliktpotenzial verpflichtet haben: Er und Gina-Lisa Lohfink hatten einst eine Affäre - in der Logik der Sendung pures Gold.

Thomas Häßler

Beim Dschungelcamp machte bisher immer ein Kandidat aus der Fußballwelt mit. In der elften Staffel ist das: Thomas Häßler. Der deutsche Nationalspieler war 1990 Weltmeister, 1996 Europameister und zweimal Deutschlands "Fußballer des Jahres". Außerdem trainierte er den iranischen Verein Padideh Maschad. Die vergangenen Staffeln haben gezeigt, dass Kandidaten ohne allzu offensichtliches Erregungspotenzial meisten früh rausfliegen. Und abgesehen von seinen Titeln hat "Icke" wenig zu bieten, was für Schlagzeilen im Camp sorgen könnte.

Nicole Mieth

Als jüngste Teilnehmerin zieht Nicole Mieth in den australischen Regenwald. Die Schauspielerin aus Berlin kennt man vor allem aus der ARD-Serie Verbotene Liebe in der Rolle der Kim von Lahnstein. Seit 2014 gibt sie auf ihrem Youtube Kanal Beauty-Tipps. Mieth dementierte bislang am lautesten, wegen des Geldes beim Dschungelcamp mitzumachen, da sie ja als Schauspielerin nach wie vor tätig sei. Für den Playboy zeigte sie sich erst kürzlich freizügig. Auch das inzwischen eine Tradition: Im vergangenen Jahr war Jenny Elvers diejenige, die sich kurz vor Campeinzug mit dem Magazin zusammentat.

Sarah Joelle Jahnel

Wie lückenlos die Verwertungskette der RTL-Gruppe ist, zeigt der Lebenslauf von Sarah Joelle Jahnel: Teilnahme bei "Deutschland sucht den Superstar", "Big Brother", "Adam sucht Eva im Paradies", Gastrollen in "Niedrig und Kuhnt - Kommissare ermitteln", sowie "Köln 50667". Dazu gab es Rap-Features mit Farid Bang und Erotikmessen-Auftritte an der Seite von Micaela Schäfer.

Jens Büchner

Der ehemalige Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit und derzeitige Schlagersänger ist vor allem durch sein Mitwirken an der Vox-Sendung "Goodbye Deutschland! Die Auswanderer" bekannt. Wenn er Zeit hat, aus seiner Residenz auf Mallorca nach Deutschland zu jet-setten, sieht man ihn in Formaten wie "Das perfekte Promi-Dinner" - oder er trällert, dass er "pleite, aber sexy" sei. Damit wäre wohl alles über Jens Büchner gesagt.

Kader Loth

Weil die Frage vermutlich auftaucht: Nein, Kader Loth war noch nie beim Dschungelcamp dabei. Das Allround-Talent (Modeln, Moderation, Schauspiel) nimmt zum ersten Mal an der RTL-Show teil, nachgerückt anstelle von Schauspielerin Nastassja Kinski. Durch Auftritte in diversen Reality-Formaten weiß Loth mit dem Trubel um ihre Person umzugehen. Wenn Loth spricht, wirkt das meist sehr auf Etikette bedacht. Ob sie die Rolle der feinen Dame auch im Dschungel durchhält, wird sich zeigen. Die eigene Dixi-Toilette, die sie verlangte, hat RTL jedenfalls schon abgelehnt.

Fräulein Menke

Ältere Zuschauer und Fans von Achtzigerjahre-Partys werden Fräulein Menke vor allem durch Songs der Neuen Deutschen Welle kennen. Ihre erste Single "Hohe Berge" erschien 1982, landete sofort in den Top 10 und sicherte ihr Auftritte unter anderem in der "ZDF-Hitparade". Unter ihrem bürgerlichen Namen Franziska Menke veröffentlichte sie in den Neunzigern weitere Alben. Nach langer Abstinenz vom Musikgeschäft erschien im Juli 2016 ein YouTube-Video mit der Rap-Gruppe Mahonie Records, bei dem Menke im gewohnt bunt-trashigen Dirndl "Das Leben ist ein Ponyhof" singt. Ihr ist wohl der Titel der "Camp-Mutti" gewiss.

Alexander "Honey" Keen

Noch eine Teilnahme, die sich "Germany's Next Topmodel" verdankt - zumindest indirekt: Als Kandidatin Kim ihrem Freund Alexander Keen ihre für die Sendung gestutzten Haare zeigte, konnte der seinen Unmut nur sehr bedingt verbergen. Der kurze Streit per Skype reichte aus, um ihm 2016 zu mäßiger Bekanntheit zu verhelfen. Keen, fortan "Honey" genannt, ist seither nicht mehr nur Marketingmanager, sondern auch Person des öffentlichen Lebens. Bei der RTL-Serie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" bewarb sich Keen im Sommer des vergangenen Jahres, wurde jedoch abgelehnt.

Florian Wess

Die Familienähnlichkeit ist nicht zu verkennen: Florian Wess, Sohn von Arnold und Neffe von Oskar Wess, die als Unterhaltungsduo "Botox-Boys" bekannt wurden, ist seinen Verwandten, nun ja, wie aus dem Gesicht geschnitten eben. Der Durchbruch gelang ihm 2011 mit seiner Teilnahme bei Big Brother. Botoxspritze und Moncler-Jacke muss der selbsternannte It-Boy, Designer und Eventmanager jetzt aber gegen leichte Camp-Bekleidung eintauschen. Die innige Freundschaft zwischen ihm und Lohfink könnte auf die Probe gestellt werden - beide dürften gute Chancen haben, es zumindest nah ans Finale zu schaffen. Fotos: dpa Quellen: SZ.de/alpi/biaz​

Gleich zum Start muss Lohfink einen Ex-Freund als Camp-Mitbewohner begrüßen und sich am Lagerfeuer zum Stand ihrer rechtlichen Auseinandersetzung befragen lassen. Das zum Thema: die Vergangenheit loswerden. Das verdammte Image ist immer mit dabei. Und so wissen auch die übrigen elf Kandidaten, was RTL in erster Linie von ihnen erwartet: schockierende Geständnisse, Drogenbeichten, Wahnsinn.

Schon am zweiten Tag gibt es Stress für die Kameraleute. Hunger und Hitze greifen nicht nur die körperliche Form an, sondern auch den Verstand. Gefühlt alle drei Minuten will ein anderer Dschungelbewohner von seiner schlimmsten Lebenskrise erzählen, der emotionale Zoom hat Hochkonjunktur. Nur einer mag nicht viel sagen. Das Gesicht von Ex-Fußballweltmeister Thomas "Icke" Häßler spricht dafür Bände, immer wieder ein und denselben Satz: Was hab' ich mir bloß angetan?

Auch Lohfink bekam vor ihrem Einzug im Übrigen eine Frage gestellt: Wovor sie sich am meisten fürchte im Dschungel? Sie sagte: "Ich finde die Menschen schlimmer als die Tiere."

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Quelle:
SZ vom 16.01.2017
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