Süddeutsche Zeitung

RTL: "Dschungelcamp":Liebe deine Made!

Kaum hat einer als verstümmelte Leiche in "Alarm für Cobra 11" debütiert, wird er zum neuen Star ausgerufen - und landet kurz darauf Kakerlaken verschlingend im RTL-"Dschungelcamp". Einer zuverlässigen Schar von Freizeit-Sadisten gefällt das.

Willi Winkler

Andy Warhol wollte selbstverständlich nur einen Witz machen, als er 1968 verkündete, in Zukunft werde jeder fünfzehn Minuten lang weltberühmt sein, doch das Privatfernsehen, das in seinen besten Momenten selber ein gigantischer Witz ist, hat ihn sehr, sehr ernst genommen. Ständig werden neue Stars in allen denkbaren Formaten generiert. Kaum hat einer als grauenhaft verstümmelte Leiche in Alarm für Cobra 11 debütiert, wird er zum neuen Superstar ausgerufen. Das ist die Demokratie, die uns Angela Merkel mitgebracht hat.

Oder kommt das Böse doch nicht aus dem Osten? Ist die Wohlstandsverwahrlosung daran schuld, der Kapitalismus mit seinem Überangebot an Nichtskönnern und Dauernullen, denen ein kurzer Auftritt als Playmate oder Boxenluder den Wahn eingegeben hat, sie dürften jetzt immer mit dem Interesse des Teleobjektivs rechnen. Wie bringt man es ihnen schonend bei, dass es doch nichts mehr ist? In diesem Leben nicht und nicht einmal im nächsten? Ganz einfach, indem man ihnen vormacht, sie seien noch ganz, ganz wichtig. Dafür wird regelmäßig das Dschungelcamp eröffnet.

Eine zuverlässig große Schar von Freizeit-Sadisten ist gern dabei, wenn sich lauter fast unbekannte Größen vor der Kamera spreizen, extreme Naherfahrungen mit Tier- und Pflanzenwelt suchen und vor lauter Langeweile ein bisschen ausfallend gegen ihre Mitinsassen werden. 7,28 Millionen haben am vergangenen Freitag um 22.15 Uhr bei RTL im angenehm schleichwerbungsfreien Camp zugeschaut, am Samstag waren es 6,17 Millionen.

Von draußen hat es natürlich den nicht geringen gesamtgesellschaftlichen Reiz, dass bei den schwitzenden Teilnehmern irgendwann doch die Wirkung selbst der eigenvermarkteten Cremes nachlässt und unterm Hemd das kleine zartrosa Schweinchen hervoroinkt, das wir im Grunde unseres Herzens alle sind.

Nach einer längeren Sendepause ist deshalb am Freitagabend das Dschungelcamp frisch bezogen worden, das offiziell noch immer den nicht ganz so volksmündlichen Titel Ich bin ein Star - holt mich hier raus führt. Damit beginnt mitten im Januar wieder das Festival der knotigen Knie, der zickenden Schwulen jedweder sexuellen Orientierung und der beleidigten Primadonnen, die nie bessere Tage gesehen haben.

Trotzdem ist es ein Jammer um Mathieu Carrière, 60, der nicht nur den besten Namen im Gewerbe hat, sondern einst im Traum von mindestens drei Viertel aller deutschen Frauen ins Bett gezerrt wurde. Jetzt muss er wie an einem Korporiertenabend einen Becher mit dem Saft der Kotzfrucht hinunterstürzen, um dann tapfer auf ein paar Mehlwürmern herumzukauen und es schließlich giftiggrün aus dem linken Mundwinkel laufen zu lassen. Um nicht völlig verblödet zu wirken, erzählt er anschließend seinen Gefährten, dass er sich schon mal mit einigen LSD-Pillen im Stammhirn ans Steuer gesetzt habe und bei Rot (nur Rot?) über die Ampel gebraust sei. Der Kampf gegen Drogen ist um ein gewichtiges Argument reicher geworden.

Bei der ersten Gelegenheit fand dieser Connaisseur ekelhaftester Dschungel-Fauna immerhin den Weg an den großen Busen eines dafür recht unbedarften Mädchens namens Indira. Selbst wenn die Laufbahn bereits heftig nach unten tendiert, so der schön Erkenntnisgewinn am ersten Abend, muss der Künstler also noch nicht um Gotteslohn arbeiten.

"Wir waren Gott", berichtet der nicht weniger entmaterialisierte Rainer Langhans, 70, aus der Kommune 1 und steigt dann in einen "Schneewittchensarg", in dem er elf Minuten mit vermutlich handgezählten zwanzigtausend Maden verbringt. Er zickte nicht und zagte nicht, sondern schloss einfach die Augen und wartete, bis es vorbei war. Die Moderatoren Dirk Bach und Sonja Zietlow waren aufrichtig enttäuscht, dass die "fleischgewordene Pusteblume" so gelassen blieb und forderten die Zuschauer auf, beim nächsten Mal eine richtige Hysterikerin ins Rennen zu schicken.

Wenn in Tunesien innerhalb weniger Stunden ein Regime zusammenbricht, sind die Rundum-Sorglos-Abenteurer im australischen Busch nicht mehr ganz so aufregend. Langhans, vorab am meisten bespöttelt, allerdings auch am meisten interviewt, tut die meiste Zeit, was er am besten kann: nichts. Für den Zuschauer ist das zwar weniger als nichts, aber dramaturgisch lieferte er mit seinem großäugigen Staunen über den Dschungel den Kontrapunkt zu dem Gehühnere der restlichen Belegschaft.

"Geld ist nicht alles", weiß eine ziemlich blonde Sarah mit Sloterdijk-Pathos in die Kamera zu kummern, und dürfte den anderen mit derlei handgeschöpften Weisheiten noch sauber auf die Nerven gehen. Die Moderatoren lachen über die Narren, die sich für 50 000 Euro zum Depp machen, aber sie werden Mühe haben, noch mehr aus dem dürftigen Personal herauszuholen. Wenn ein paar dieser Stars der Lächerlichkeit preisgegeben werden, ist wieder Platz für neue, nicht weniger peinliche Persönlichkeiten, die zu angemessener Zeit ihrerseits in einem Medien-Camp verklappt werden.

Vielleicht erbarmt sich ja auch noch einmal jemand des einstigen Big Brother-Stars Guido Westerwelle, der nach einem Gastspiel im australischen Busch vielleicht nicht mehr ganz so arg über mangelnde Aufmerksamkeit zu klagen hätte.

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Quelle:
SZ vom 17.01.2011/berr
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