RTL-Dschungelcamp:Gina-Lisa darf machen, was sie will

Gina-Lisa Lohfink, Dschungelcamp, RTL

Manchmal will selbst Gina-Lisa ihre Ruhe: Ins Dschungelcamp nimmt sie als "Luxusgut" Ohrstöpsel mit.

(Foto: dpa)

Gina-Lisa Lohfink ist die Symbolfigur der Nein-heißt-Nein-Debatte. Jetzt zieht sie ins Dschungelcamp, wo peinlicher Kontrollverlust zelebriert wird. Ein Widerspruch? Nein, verdammt.

Von Johanna Bruckner

Die Welt von Gina-Lisa Lohfink ist eine Parallelwelt. Eine mit eigener Logik und eigenen Gesetzen. Eine, die für Außenstehende vermutlich ähnlich schwer zu verstehen ist, wie die Parallelwelten in manchen Straßenzügen von Berlin-Neukölln oder Köln-Chorweiler. In dieser Parallelwelt wird dem Gott der öffentlichen Aufmerksamkeit gehuldigt. Alle irdische Anstrengung ist allein darauf ausgerichtet, sein Wohlwollen und seine Segnungen zu bekommen. Roter Teppich, Fernsehpräsenz, Titelgeschichten, Likes. Es geht um Anerkennung im grundlegendsten, im rudimentärsten Sinne - als Selbstversicherung: Ihr kennt mich, also bin ich da.

Es ist wichtig, das zu wissen, um sie zu verstehen. Gina-Lisa Lohfink, 30 Jahre alt, blonde Haare und ein durch kosmetische Eingriffe geformter Körper, den sie herzeigt wie einen Berechtigungsschein fürs VIP-Séparée. Aber eben auch: Eine Frau, die im vergangenen Sommer in einen Prozess um Vergewaltigung und falsche Verdächtigung verwickelt war. Die zum Politikum wurde und, vermutlich eher zufällig, zur streitbaren Protagonistin in einer Debatte um sexuelle Selbstbestimmung. Jetzt geht diese Frau also ins RTL-Dschungelcamp - die Entscheidung wurde bekannt, da war der Gerichtsprozess gerade beendet. Die Diskussion darüber ist noch nicht beendet.

Geht es allein danach, wer im vergangenen Jahr die meiste Medienpräsenz hatte, ist Gina-Lisa Lohfink die beste Kandidatin der elften Ausgabe von Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!. Für den Sender, der mit seiner Show jedes Jahr zu Traumquoten verpflichtet ist, ist ihre Besetzung konsequent. Aber was treibt sie an? Warum tut sie sich das an? Muss das sein? Wer sein Leben in die Öffentlichkeit trägt, der macht es schließlich zum Gegenstand von Beurteilung. Daumen hoch, Daumen runter, Fragezeichen, Fragezeichen, Fragezeichen. Gina-Lisa kennt das, sie lebt damit. Nein: Sie lebt davon.

Und wie viele abhängig Beschäftigte, lehnt auch sie sich nicht gegen das System auf, in dem sie funktionieren muss. Mehr noch: Lohfink ist eine ausgewählt klaglose Arbeitnehmerin im Aufmerksamkeitsgeschäft. Eine, die annimmt, was man ihr zuweist. Sie hat die Rolle als Symbolfigur der Nein-heißt-Nein-Bewegung genauso angenommen, wie sie jede Rolle angenommen hat, die ihr in den vergangenen Jahren angetragen wurde. Kandidatin bei Germany's Next Topmodel mit Proll-Charme, Reality-TV-Tussi, Busenwunder. Das Werbegesicht einer Erotikmesse zu sein, scheint für sie nichts anderes zu sein, als mit Feministinnen vor einem Gerichtsgebäude für Fotos zu posieren: ein Job.

Diese Geschäftsmäßigkeit bei wirklich allem, was sie tut, kann opportunistisch wirken. Und ja, Lohfink ist eine Selbstdarstellerin, die nach Jahren im Business dabei auch gnadenlos sein kann. Das muss aber nicht heißen, dass sie über die mutmaßliche Vergewaltigung gelogen hat, dass sie alles erfunden hat für eine Schlagzeile. Oder dass sie es nicht ernst meint, wenn sie sagt: "Ich kämpfe für alle Frauen!"

Die Unschärfe in Gina-Lisas Persönlichkeit macht sie so angreifbar

Man muss das so betonen, weil diese Ambivalenz sie angreifbar macht. Mancher hält sie deshalb für unglaubwürdig. Würde Gina-Lisa, wenn sie wirklich Opfer von sexueller Gewalt geworden ist, wenn sie, wie sie sagt, vergewaltigt und dabei noch gefilmt wurde, einfach so weitermachen? Würde sie ins Dschungelcamp ziehen? Oder würde so etwas nur eine Frau machen, die ihre Anschuldigungen erfunden hat und deshalb problemlos zurückkehren kann zum business as usual?

Das Dschungelcamp bedeutet schließlich in jedem Fall: vollkommene Aufgabe der eigenen Privat- und Intimsphäre. Es bedeutet Kontrollverlust. Ob Gina-Lisa nun Opfer ist oder Lügnerin - die Antwort lautet in beiden Fällen: Ja, sie würde ins Dschungelcamp ziehen. Einziger Unterschied: Wenn ihr wirklich angetan wurde, was sie behauptet, dann braucht es unbedingt einen Nachsatz. Ja, sie würde es tun - und sie hat, verdammt noch mal, jedes Recht dazu!

Es ist ihr Recht - Opfer oder nicht -, eigene Entscheidungen zu treffen. Es ist ihr Recht, ihrem Beruf nachzugehen. Lohfink darf sich von einem Fehler rehablitieren, falls sie einen begangen hat. Die strafrechtliche Bewertung ist davon unbenommen. Und sie darf ihre Rolle als Opfer ablehnen, falls sie eines war. Die Frage ist also weniger, ob das sein muss oder darf, als vielmehr: Was verspricht sie sich davon?

Katharsis durch emotionale Entblößung und Kotzfrucht-Diät

Diese Frage führt, wie so viele große Fragen, zurück zum Gott der öffentlichen Aufmerksamkeit: Es gibt kaum ein Format, das mehr davon generiert als das Dschungelcamp. Und Aufmerksamkeit ist die Währung, in der sich Lohfink vermutlich am liebsten bezahlen lässt, sie ist ihr wertvoller als jedes Geld. Wobei auch die monetäre Bezahlung üppig ausfallen dürfte: Die Bild-Zeitung wusste vorab zu berichten, dass Gina-Lisa 150 000 Euro für ihren 16-tägigen Dauerauftritt bekomme - die dritthöchste jemals ausgelobte Dschungelcamp-Gage.

Gina-Lisa dürfte die Frage, ob sich das lohnt, für sich also sehr eindeutig beantworten (alle anderen - auch die Wohlmeinenden - sollten die Frage gar nicht erst stellen, es wäre eine Anmaßung). Und vielleicht hat sie, die nie aufbegehrende Medien-Malocherin, sogar das Gefühl, dass es diesmal anders ist. Endlich. Dass sie die Bedingungen stellt. Dass sie bestimmt, welche Geschichte über sie erzählt wird. Ob das stimmt, darf bezweifelt werden. Protagonist im Reality-Fernsehen zu sein, bedeutet permanente, selbstgewählte Ausbeutung der eigenen Persönlichkeit. Und, um das zu ertragen, vermutlich auch fortwährenden Selbstbetrug.

Wie lautet die Top-Antwort, wenn prominente Teilnehmer von Reality-TV-Formaten nach ihrer Motivation gefragt werden? "Ich will den Leuten da draußen endlich zeigen, wer ich wirklich bin!" Ausgerechnet jene, deren Jobbeschreibung Selbstinszenierung voraussetzt, haben ein kaum zu befriedigendes Bedürfnis nach Echtheit. (Oder tun zumindest so, als ob, weil das gut ankommt beim Publikum.) Auch dieses Paradox gehört zur Welt von Gina-Lisa. Für Menschen wie sie wird die Sehnsucht nach Authentizität zur zweiten Sucht (neben der nach Aufmerksamkeit). Gina-Lisa machte schon bei Die Alm - Promischweiß und Edelweiß mit, kochte beim Perfekten Promi-Dinner und bewarb sich um den Einzug ins Promi-Big-Brother-Haus. Jetzt also der TV-Dschungel. Auch das ist stimmig.

Allzu offensichtliche Anbiederung an die Schicksalsschreiber kann nach hinten losgehen

In der Kulisse des australischen Buschs lockt nämlich eine besondere Belohnung. Wer seine Lebenssünden ins Camp trägt, sie dort am Lagerfeuer beichtet, mit Tränen Reue beweist und Besserung gelobt, wer als Strafe maximale Erniedrigung in den Dschungelprüfungen akzeptiert - der kann, so geht zumindest die Legende, am Ende als neuer Mensch hervorgehen. Als Mensch mit einem frischen Image. Die Heldenwerdung ist das zentrale Narrativ des Dschungelcamps.

Wer dafür auserkoren wird, liegt allerdings im Ermessen der RTL-Redakteure und -Cutter. Man muss diesen Gestalten also huldigen. Allzu offensichtliche Anbiederung an die Schicksalsschreiber kann allerdings auch nach hinten losgehen, diese Erfahrung mussten unter anderem "Blender" Jay Khan (2011) und "Heulseuse" Ricky Harris (2016) machen.

Akzeptanz der höheren Mächte und Demut vor der eigenen Bedeutungslosigkeit in der großen Dschungelinszenierung - das sind die Grundvoraussetzungen für eine Erzählung, die einen am Ende nicht als Deppen der TV-Nation dastehen lässt. Im vergangenen Jahr wurde aus der DSDS-Witzfigur Menderes Bağcı ein Dschungelkönig, der sein Glück nicht fassen konnte. Er freute sich weniger über Blumenkrone und Holzzepter, als vielmehr darüber, dass ihm das Fernsehen seine Würde zurückgegeben hatte. Larissa Marolt, Gewinnerin einer österreichischen Modelcastingshow, wurde 2014 zwar nicht Dschungelkönigin, schaffte es dafür aber, sich ein intellektuelles Publikum zu erarbeiten. Der inzwischen verstorbene Roger Willemsen schrieb damals anerkennend über sie: "Larissa ist all das, was Marilyn Monroe auch wäre, vor allem, konfrontierte man sie mit Mola Adebisi oder Winfried Glatzeder."

Vermutlich würde es auch Lohfink gefallen, mit einer Hollywood-Ikone verglichen zu werden. Nicht mehr die Trash-Blondine sein, weg vom Schmuddelimage. Katharsis durch emotionale Entblößung und Kotzfrucht-Diät - das ist das Versprechen des Dschungelcamps. Kennt ihr mich? Bin ich also (noch) da? Und wenn ja: Wer bin ich damit wirklich?

Am Ende wird nicht Gina-Lisa die Antwort darauf geben. RTL und das Publikum werden es tun.

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