20 Jahre RTL 2:Vorsicht - kann Spuren von Relevanz enthalten

RTL2, Köln 50667, Scripted Reality, Dokusoap

Gewinner: Fototermin zur neuen RTL-2-Soap "Köln 50667" im November 2012.

(Foto: dpa)

Die Mutter aller deutschen Trash-Sender wird 20 Jahre alt und ist nicht mehr der große Bildungsverderber. Längst blaffen sich übergewichtige und bildungsferne Menschen auf so vielen anderen Kanälen in Dauerschleife an, dass RTL 2 vergleichsweise brav erscheint. Es gibt noch viel Müll im Programm, aber er stinkt längst nicht mehr so penetrant wie anderswo.

Von Hans Hoff

Vor gut zweieinhalb Jahren flatterte eine Pressemitteilung ins Haus, die für Erheiterung sorgte. "Wir legen Wert darauf, dass RTL 2 als ein Sender wahrgenommen wird, der Unterhaltung und innovative, auch kontroverse Formate mit einem Gespür für Mitgefühl und gesellschaftliche Verantwortung verbindet", stand da zu lesen. Zuerst hielten das viele für eine Fälschung - eine absurdere Paarung als gesellschaftliche Verantwortung und RTL 2 erschien nicht denkbar.

Der Münchner Kanal galt als Inbegriff des Trashfernsehens. Hatte dort nicht just ein paar Tage vorher die Drag-Queen Olivia Jones in einer Dokusoap namens Das Tier in mir hautnahe Bekanntschaft mit einem Kübel Kameldung gemacht? War die Station aus der zweiten Privatsenderreihe nicht berüchtigt für ihre Art, alle Arten von audiovisuellem Müll im Programm endzulagern?

Doch die Presseerklärung war kein Fake, auch nicht die Ankündigung, künftig alle Formate einen "standardisierten Evaluationsprozess" durchlaufen zu lassen. Zudem gab man die Trennung von der Unterhaltungschefin bekannt. Alles sollte anders werden bei RTL 2. Wer mochte, konnte das glauben.

Wer heute, kurz vor dem 20. Geburtstag des Senders am 6. März, mit dem Wissen von damals bei RTL 2 ins Programm schaut, stellt tatsächlich Änderungen fest. Nicht alle haben mit einem verbesserten Angebot zu tun. Manches erscheint in Zeiten des beschleunigten medialen Wandels und veränderten Zuschauerverhaltens einfach nicht mehr so durchweg abscheulich wie noch vor 30 Monaten. Zu tun hat das vor allem mit der massiven Zunahme von Scripted-Reality-Formaten bei anderen Sendern. Dort blaffen sich übergewichtige und bildungsferne Menschen in Dauerschleife an: "Ich kann nicht mehr", heißt es, oder auch: "Ich ruf die Polizei." Prägendes Kommunikationselement ist der Vorwurf, Aggression liefert den Grundton. Da erscheinen ähnliche Formate, die bei RTL 2 laufen, beinahe schon zahm.

"Wenn es das Thema zulässt"

"Es ist angenehm, nicht immer im Fokus zu sein", sagt Jochen Starke, 47. Er leitet den Sender seit 2005 und hat schon viel Kritik einstecken müssen. Meist zu Recht. Aber es ist weniger geworden. "Aus Fehlern zu lernen, das ist das Wichtigste im Prozess", sagt er. "Wir probieren viel aus und agieren schnell, aber nicht hektisch", sagt er. Trotzdem könne es natürlich passieren, dass dabei das ein oder andere Mal über die Stränge geschlagen werde.

Vor allem bei den Doku Soaps habe sich einiges getan. "Die Art und Weise, wie wir da erzählen, hat sich verändert. Wir erzählen inzwischen vieles mit einem leichten Augenzwinkern - wenn es das Thema zulässt", sagt Starke. Offenbar lässt es das Thema noch nicht überall zu, aber nicht selten kommt das Gefühl auf, dass es zunehmend schwerer wird, RTL 2 anhand des Programms als großen Bildungsverderber zu überführen. Natürlich gibt es noch viel Müll im Programm, aber er stinkt längst nicht mehr so penetrant wie anderswo.

Junge Proleten bei Facebook

Zudem beweist die Bilanz der jüngsten Jahre, dass es durchaus auch ambitionierte Versuche gab, dem Angebot einen Hauch Ernst zu verleihen. Mehrfach hatte RTL 2 durchaus sehenswerte Dokumentationen im Programm, beschäftigte sich mit der Aufarbeitung der Love-Parade-Katastrophe ebenso wie mit der Problematik von Jugendbanden. Einiges davon hätte durchaus auch auf öffentlich-rechtlichen Sendern laufen können.

Dass sich RTL 2 nach wie vor seiner täglichen Nachrichten rühmt, kann man indes getrost zur Eigen-PR zählen. Eigentlich müssten die News um 20 Uhr einen Aufkleber tragen: Vorsicht! Kann Spuren von Relevanz enthalten. Tatsächlich gibt es Berichte aus Parlamenten, aber die sind in der Regel so schnell vorbei, dass man sie leicht übersieht. Nachrichten bei RTL 2 machten Nachrichten eben unterhaltender, behauptet man im Hause. Man kann auch sagen, dass sie schlicht und einfach Unterhaltung zu Nachrichten machen. Natürlich erreicht man mit so etwas mehr Jugend als andere Sender, aber ernst nehmen muss man dieses Angebot deshalb noch lange nicht.

Verblüffend starke Präsenz in sozialen Medien

Wichtiger erscheint da schon, dass RTL 2 es im Jubiläumsjahr wieder einmal geschafft hat, Trendsetter zu sein. Der Sender, bei dem 2000 Big Brother startete, bei dem im selben Jahr das Popstars-Casting zuerst lief, bei dem früh die US-Serie 24 einen Platz fand, hat etwas geschafft, was Konkurrenten sich bislang nur wünschen können. Die tägliche Serie Berlin - Tag und Nacht verbindet RTL 2 perfekt mit einer verblüffend starken Präsenz in den sozialen Medien. Etwa 2,5 Millionen Menschen mögen die Art, wie sich die jungen Proleten aus der Serie bei Facebook präsentieren, und der erst im Januar gestartete Ableger Köln 50667 erreicht schon 620.000 Möger.

Dazu passen Einschaltzahlen, die jeden Vorabendplaner bei den Mitbewerbern jubeln lassen würden. Man muss die Geschichten der Serien inhaltlich nicht mögen, kann ihnen aber trotzdem bescheinigen, dass sie produktionstechnisch auf hohem Niveau wandeln. Dass sich diese Erfolge noch nicht in der Jahresbilanz spiegeln, liegt daran, dass der Start von Berlin - Tag und Nacht anfangs wenig Erfolg versprach. Die Zahlen waren mau, aber RTL 2 hielt durch - und wurde in der zweiten Jahreshälfte mit steigenden Quoten belohnt.

"Wir sind ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen", sagt der Chef des Kanals, an dem die RTL Group, Tele München, der Heinrich Bauer Verlag und die Burda GmbH Anteile halten. Nach den Erfolgen vom Vorabend will er verstärkt auf Eigenmarken setzen. "Da haben wir das größte Potenzial." Nicht so dolle läuft es bei den eingekauften Serien. Starke verweist auf den Umstand, dass der Sender aufgrund der Marktsituation über verhältnismäßig wenige Serien verfügt und gezwungen sei, so genanntes Cherry Picking zu betreiben.

Fragt man ihn, wie er die 20 Jahre beim Sender erlebt hat, sagt er natürlich, dass es eine tolle Zeit war, "vor allem, wenn man bedenkt, dass wir Anfang der Neunziger New Economy waren, und jetzt ist Fernsehen Old Economy." Er prognostiziert dann noch, dass der Jahresmarktanteil von 2012 in diesem Jahr wohl zu steigern sei. Während anderswo die Marktanteile mit dem Niveau sinken, bleibt sich Starkes Sender weitgehend treu und gehört damit schon zu den Gewinnern. Manchmal kann das Fernsehgeschäft so verdammt einfach sein.

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