Süddeutsche Zeitung

Deutsch-russischer Medienkrieg:Schuld und Bühne

Im Konflikt um RT Deutschland will Moskau das Sendeverbot der Bundesregierung anlasten. Rekonstruktion eines eskalierten Streits.

Von Georg Mascolo

In diesen Tagen werden im Kanzleramt die Vorbereitungen für eine besondere Reise getroffen, am kommenden Dienstag besucht Olaf Scholz den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Pünktlich zur Reise ist zur großen Krise um die Ukraine eine zweite hinzugekommen: kleiner zwar, aber ebenfalls mit Eskalationspotenzial. Es geht um Medien.

Aus Wut über eine Entscheidung der deutschen Medienaufsicht, RT DE den Live-Sendebetrieb - und übrigens nur den - zu untersagen, hat die russische Regierung das Büro der Deutschen Welle in Moskau schließen lassen. Und nennt das drohend nur die "erste Phase" der Reaktion. Niemand kann sagen, ob es bald auch weitere deutsche Russland-Korrespondenten treffen wird. Scholz will versuchen, auch diesen Konflikt zu entschärfen. Aber wie?

In der Bundesregierung ist die Ratlosigkeit groß, der Konflikt hangelt sich seit Monaten von Höhepunkt zu Höhepunkt. Im September kam es zu einem ersten harten Schlagabtausch - Youtube hatte zwei Kanäle von RT DE gesperrt, weil diese Corona-Falschinformationen verbreitet hätten. Die russische Regierung beschuldigte die Bundesregierung, hinter dieser Aktion zu stecken. RT-Chefredakteurin Margarita Simonyan schrieb in einem Tweet von einem "echten Medienkrieg", den Deutschland begonnen habe, der Kreml müsse jetzt die Deutsche Welle verbieten und die Büros von ARD und ZDF schließen. Das war maßlos. Denn in Berlin mussten Beamte des Innenministeriums erst einmal mit Google sprechen, um herauszufinden, warum genau das Unternehmen die Sanktionen verhängt hatte. Die Vorwürfe seien einfach absurd, ließen höchste Regierungsstellen den Kreml wissen. Aber deren Hausherr ist seit Langem davon überzeugt, dass "unsere Kanäle zu Tode stranguliert" werden.

So folgten auf die erste Drohung weitere. Mindestens zwei Mal hat das russische Außenministerium in den vergangenen Monaten verlangt, dass RT DE in Deutschland endlich live auf Sendung gehen darf. Immer wird behauptet, dass die Bundesregierung eben dies mit Störaktionen und Einflussmaßnahmen behindere. Am 7. Oktober lud der russische Außenminister Sergej Lawrow in dieser Sache den deutschen Botschafter, Géza von Geyr, in Moskau zum Gespräch. In Berlin wurde das als direkte Botschaft an die gerade gewählte neue Koalition verstanden. Dann schlug Lawrow Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch im Januar "Verhandlungen" vor. Damit die Angelegenheit nicht eskaliere.

Es wurde nicht einmal erwogen, ob man dem Konflikt mit einem möglichen Entgegenkommen die Spitze nehmen könne

Das ist sie jetzt, aber auch nach der Eskalation bleibt die Position der deutschen Seite gleich: Man könne hier überhaupt nichts tun, die Frage einer Lizenz für RT DE liege allein in den Händen der in Deutschland unabhängigen Medienaufsicht. Diese wiederum agiere allein nach den Vorgaben des Rundfunkstaatsvertrages, für den wiederum die Bundesländer zuständig sind. Die Anforderung, dass Medien für eine Lizenz staatsfern sein müssen, sei eine Frage des deutschen Rechts. Und nicht der Politik. Nur: Je stoischer die deutsche Seite diese Position wiederholt, umso wütender behaupten die russische Regierung und auch RT das Gegenteil. Bereits bei der Ablehnung des ersten Lizenzantrags in Luxemburg habe die Bundesregierung Einfluss genommen, heißt es in ansteigender Tonlage.

Als Beleg hierfür wird immer wieder ein Bericht aus der Süddeutschen Zeitung bemüht: Danach kam es am 28. Mai des vergangenen Jahres zu einem Treffen zwischen deutschen und luxemburgischen Spitzenbeamten aus Regierungen und Medienaufsicht - unter Beteiligung der Geheimdienste beider Länder. Damals ging es darum, dass RT sich über den Umweg über Luxemburg um eine Lizenz bemühe - und schon Kanzlerin Angela Merkel musste sich bei einem Besuch bei Putin anhören, dass dieses Treffen doch ganz eindeutig eine Einmischung belege.

Dass bei diesem Treffen Vertreter des Verfassungsschutzes und des luxemburgischen Dienstes SREL mit am Tisch saßen (sie hatten vor allem für eine sichere Videoverbindung gesorgt) - war selbst nach Ansicht von Gesprächsteilnehmern ein echter Fehler. Aufschlussreicher ist allerdings ein direkt nach dem Treffen erstelltes Protokoll, das die SZ einsehen konnte. Danach wurde den Luxemburger Behörden bei einer Besprechung schlicht die deutsche Rechtsauffassung erklärt: Wer in und aus Deutschland senden wolle, brauche eine Lizenz in Deutschland. "LUX hat sehr deutlich gemacht, dass sie in diesem Fall die Rechtsauffassung" teilen, steht in dem Papier. Nach Beeinflussung klingt das nicht. Zudem wurde noch festgelegt, dass nur die deutsche Medienaufsicht Informationen nach Luxemburg übermittele - dies sichere ein "staatsfernes Verfahren".

Bemerkenswert ist auch eine Passage, in der es um das mögliche "außenpolitische Risiko" geht. Dort heißt es, egal wie ordnungsgemäß und ohne jeden staatlichen Einfluss die Entscheidung zustande komme, jede Lizenzverweigerung werde "von russischer Seite der Bundesregierung zugerechnet". Und dies mit allen zu erwartenden "außenpolitischen Implikationen". Auch dafür, was dann geschehen würde, hatten die Beamten ein gutes Gespür. Genannt wurde ausdrücklich die jetzt eingetretene Situation: "Zu erwartende russische Maßnahmen, u.a. gegen die Deutsche Welle". Dennoch wurde nicht einmal erwogen, ob man dem Konflikt mit einem möglichen Entgegenkommen die Spitze nehmen könne. Im Protokoll heißt es: "Eine Entscheidung pro Lizenz RT DE in DEU wurde von allen Ressortvertretern nicht als Alternative gesehen, zumal auf diese Entscheidung ohnehin kein politischer Einfluss besteht."

Dass der Fall RT DE jetzt in den Händen der unabhängigen Justiz liegt, deuten manche in der Bundesregierung als Fortschritt

Im Vorfeld des Scholz-Besuches versucht es Berlin jetzt weiter mit Überzeugungsarbeit. Als Beleg dafür, dass es keine Lex RT DE gibt, wurden russische Diplomaten ausdrücklich auf eine frühere Entscheidung der Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) hingewiesen. 2017 war der Axel-Springer-Verlag mit "Bild TV" auf Sendung gegangen, eine Lizenz hierzu wollte Springer nicht beantragen, das sei gar nicht notwendig. Die Medienaufsicht zog vor das Verwaltungsgericht in Berlin und gewann den Fall. Bild-TV beantragte und erhielt schließlich eine Lizenz. RT DE dagegen hat noch immer keinen förmlichen Antrag gestellt, worauf Bundesregierung und Medienaufsicht immer wieder hinweisen.

Dafür gibt es jetzt immerhin einen anderen Antrag. RT DE ist vor das Berliner Verwaltungsgericht gezogen und klagt gegen den Bescheid der MABB. Man vertraue darauf, dass die "Fehlentscheidung" aufgehoben werde, erklärt RT DE. Die Berliner Richter sind erfahren, auch mit russischen Sendern haben sie nicht zum ersten Mal zu tun. So befassten sie sich mit einer Entscheidung der MABB aus dem Jahr 2018 - damals hatte die Behörde die Verbreitung des Radiosenders Mega Radio SNA im Berliner DAB-Netz untersagt. Grund hierfür war, dass der Sender täglich rund zwölf Stunden Programm von dem staatlichen russischen Medienunternehmen Rossiya Segodnya (Russland heute) zugeliefert bekam - und dafür auch noch bezahlt wurde. Das Verwaltungsgericht, die Berufungsinstanz und sogar das Bundesverfassungsgericht hatten an der Untersagung durch die MABB nichts auszusetzen.

Dass der Fall RT DE jetzt in den Händen der unabhängigen Justiz liegt, deuten manche in der Bundesregierung als Fortschritt. Das werde es der russischen Seite künftig schwerer machen, die Frage der Lizenzerteilung zu einer politischen Frage zu machen. Andere sind skeptischer und verweisen auf die Erklärung von Mega nach der damaligen juristischen Niederlage: Dies beweise doch nur, dass auch der Rechtsstaat nicht vor "Willkür" schütze, hieß es damals. Es sei nur darum gegangen, "dass die Meinung Russlands in Berlin politisch wohl nicht erwünscht ist".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5526896
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/RJB
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.