Süddeutsche Zeitung

RT DE:Was ist schon Propaganda?

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Mit dem EU-Verbot ist der Streit um RT DE noch nicht zu Ende. Über Medienregulierung in den Wirren des Krieges.

Von Aurelie von Blazekovic

Der Stream ist abgestellt, die Seite läuft noch. Zumindest auf alternativen Domains, die mal funktionieren, dann wieder nicht. So der aktuelle Zwischenstand im Hin und Her um RT DE, dem deutschen Ableger des russischen Staatssenders, der seit Anfang März in der EU und schon länger in Deutschland verboten ist - eigentlich, müsste man hier anfügen. Denn der Sender setzt sich über Verbote hinweg, wo er kann. "Auch nach dem EU-Beschluss, der RT DE das Aussenden von Inhalten innerhalb der EU verbieten soll, gibt es Möglichkeiten, uns zu erreichen," schreibt die Redaktion in einer Mitteilung in eigener Sache auf ihrer Webseite. Wer denkt, der Streit um RT DE sei mit dem EU-Verbot Geschichte, irrt. Er ist sogar wichtiger geworden.

Zur Vorgeschichte: Seit Dezember sendete RT DE lineares Programm in Deutschland, ohne die nötige Lizenz dafür beantragt zu haben. Als die zuständige Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Landesmedienanstalten deshalb Anfang Februar ein Verbot aussprach, wehrte sich RT DE am Verwaltungsgericht Berlin, wo eine Entscheidung in der Sache noch aussteht. Dann begann Russland den Krieg in der Ukraine und die EU reagierte mit einem europaweiten Verbot der russischen Staatssender RT und Sputnik und ihrer Tochterunternehmen. Über alle Verbreitungswege, also per Kabel, Satellit, Plattformen, Websites und Apps sind die Sender seither verboten. Gemeinsam mit der Sperrung von Kanälen der Sender in sozialen Medien wie Youtube, Facebook und Twitter war das ein harter Schlag.

"Das EU-Verbot aller russischen Staatsmedien fußt auf EU-Sanktionsrecht," so Eva Flecken von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB), die sich in einer langwierigen Auseinandersetzung mit RT DE befindet. Der große Unterschied zwischen den beiden Verboten von RT DE, dem deutschen und dem europäischen, ist dieser: "Die von den Landesmedienanstalten ausgesprochene Untersagung des Programms von RT DE in Deutschland ist medienrechtlich begründet," sagt Flecken. Weil RT DE das deutsche Verbot aber ignorierte und weiter sendete, setzte die MABB zuletzt ein Zwangsgeld von 25 000 Euro fest, das bis zum 16. März bezahlt werden muss.

Mit dem Vorwurf der Propaganda wissen die Sender umzugehen - sie drehen ihn einfach um

Das EU-Verbot von RT und Sputnik gilt dagegen als Wirtschaftssanktion, steht damit also in einer Reihe mit Maßnahmen wie dem Ausschluss russischer Banken aus dem Swift-System. Doch kann man Medienunternehmen wirklich wie Unternehmen behandeln, die Finanz- oder Wirtschaftsgüter herstellen? "Das EU-Verbot ist politisch nachvollziehbar, aber medienrechtlich zumindest ungewöhnlich," sagt Tobias Schmid, der Leiter der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen, der auch Teil der ERGA ist (European Regulators Group for Audiovisual Media Services), dem Zusammenschluss der Medienregulierer auf EU-Ebene.

Der ungewöhnliche EU-Verbotsbeschluss gilt seit dem 2. März und beinhaltet auch, dass EU-Länder, die Sendern von RT bereits Lizenzen erteilten, diese wieder entziehen müssen. Nationale Gesetze finden keine Beachtung, es gibt aber eine zeitliche Befristung für das Verbot. Damit wäre man bei einer der Schwachstellen in dem Beschluss des EU-Rats. Denn die Befristung ist dort auf zwei unterschiedliche Weisen formuliert: Das Verbot gelte bis Ende der russischen Aggression in der Ukraine, und, hier wird es komplizierter, bis keine Propaganda mehr gesendet wird. Letzteres wird man aufwändig definieren und belegen müssen. Denn mit dem Vorwurf der Propaganda wissen die Sender gut umzugehen, sie drehen ihn im Zweifel einfach um. "Der Propaganda-Gehalt des Senders wurde bisher jedenfalls durch uns nicht geprüft," so Tobias Schmid. Auf der Webseite von RT DE heißt es, die EU versuche, eine "kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen".

Das ganze Verfahren muss nachgeschärft werden, fordern Medienregulierer

Dass das Verbot als Wirtschaftssanktion gilt, ist ein medienrechtlich nicht ganz unproblematischer Weg, um die Sperrung von RT so schnell durchzubringen wie sie durchgebracht wurde. Denn die EU-Kommission hat eigentlich keinen unmittelbaren Zugriff auf Medien, dennoch war es Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die das Verbot von RT und Sputnik ankündigte. Im Beschluss gibt es auch widersprüchliche Angaben dazu, ob nun eigentlich das gesamte Programm der Sender oder nur lineares Programm verboten ist. Unklar ist immer noch, wer das Verbot in Deutschland durchsetzen muss. Nach Informationen der MABB wird das seit Ankündigung des Verbots zwischen Bund und Ländern geklärt.

"Das ganze Verfahren sollte zukünftig nachgeschärft und in eine noch geordnetere Form gebracht werden," sagt Tobias Schmid. Hintergrund der Sanktion ist laut Schmid: "RT auf Englisch spielt in russischen Anrainerstaaten, also in baltischen Ländern oder in Polen, eine große Rolle." Das gilt der EU in der aktuellen Lage als unmittelbare Bedrohung. Wohl vor diesem Hintergrund muss man auch die scharfen Worte sehen, mit denen Ursula von der Leyen das Verbot begründete: "Wir sind massiver Propaganda und Desinformation über diesen verabscheuungswürdigen Angriff auf ein freies und unabhängiges Land ausgesetzt. Wir werden diesen Sprachrohren des Kreml nicht länger gestatten, ihre toxischen Lügen zu verbreiten, um Putins Krieg zu rechtfertigen und zu versuchen, unsere Union zu spalten."

Nicht nur in Deutschland gingen Medienregulierer schon gegen russische Staatssender vor. Auch in Estland, Lettland, Litauen und Polen gab es bereits Maßnahmen, die auf Desinformation von RT und Sputnik abzielten. Das deutsche Verfahren gegen RT DE ist einzigartig, wegen einer Besonderheit, die es hierzulande aus den historischen Erfahrungen gibt. Der Medienstaatsvertrag schreibt "Staatsferne" vor, was auch die Finanzierung betrifft. Auf die Rundfunklizenz, die RT DE hätte beantragen müssen, hätte er als vom russischen Staat finanzierter Sender kaum eine Chance gehabt.

Der sich rein an formalen Kriterien abspielende deutsche Streit könnte sich noch als wegweisend für die EU herausstellen. Denn mit einem Prinzip wie der Staatsferne könnten auch andere Mitgliedsstaaten Sender wie RT womöglich besser anpacken als mit Begriffen wie "Propaganda" oder "Desinformation".

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