Roman "Höhere Gewalt":Angeklagte Heinze veröffentlicht Krimi

Doris Heinze steht vor Gericht, weil sie als Fernsehspielchefin dem NDR eigene Drehbücher unter Pseudonym verkaufte. Jetzt ist ihr erster Roman erschienen. Es ist ein erfrischender Krimi, dessen Untertitel auf eine Fortsetzung hoffen lässt.

Joseph von Westphalen

Wer den Fall Heinze verfolgt hat, musste die Nachricht zunächst einmal für einen Scherz halten - und nicht mal für einen schlechten. Doris Heinze soll einen Kriminalroman geschrieben haben? Die Frau war viele Jahre Fernsehspielchefin des NDR und tat in dieser Funktion, wie von verschiedenen Seiten versichert wurde und wird, einen guten Job. Bekannt war sie nur Medieninsidern oder Lesern der Abspänne von Fernsehfilmen. Das änderte sich, als 2009 gewisse Aktivitäten ans Licht kamen, einträgliche Aktivitäten. Der Sender hat damals seiner treuen Dienerin sofort fristlos gekündigt.

Doris Heinze Krimi

Die frühere NDR-Fernsehspielchefin Doris Heinze: Ihr Krimi "Höhere Gewalt" ist für eher unbedarfte Kriminalgemüter hervorragend geeignet.

(Foto: dpa)

"Dummheiten" ist ein schönes Wort. Es klingt nach lächelndem Kopfschütteln und gütigem Verzeihen. Die Übeltäterin selbst sprach in ähnlichem Sinn von einem "irre großen Fehler", den sie gemacht habe. Die Sprache des Gesetzes ist ungnädiger. Die Staatsanwaltschaft benutzt grausame Begriffe für die einst schlauen Tricks. Heinze wurde wegen "Bestechlichkeit", "schwerer Untreue" und "Betrugs" angeklagt. Mittlerweile geht es vor Gericht munter hin und her. Noch im September wird in Hamburg ein Urteil erwartet. Nach den Verhandlungen findet Frau Heinze aber noch Zeit für Lesungen aus ihrem Buch.

Vorverurteilungen sind das letzte. Nennen wir daher die schrecklichen Vorgänge einstweilen sanft und unjuristisch "Verfehlungen". Frau Heinze war in ihrem NDR-Job nicht unkreativ. Sie hat für ihren Sender und damit der ARD nicht nur einfach Filme produzieren lassen, sie hat auch unter Pseudonym Drehbücher geschrieben. Das wäre völlig in Ordnung gewesen, wenn sie dafür nicht das volle Honorar in Rechnung gestellt hätte, das ihr als Angestellte des Senders nicht zustand.

Wer immer darüber berichtete, konnte sich kaum die neckische Bemerkung verkneifen, dass die aparte Story vom Aufstieg und Fall einer heimlich drehbuchschreibenden Filmchefin unbedingt verfilmt werden müsse, dass dieser aus der Wirklichkeit gegriffene Stoff krasser und aussagekräftiger wäre, als die meisten doch eher seichten, mainstreamtauglichen beziehungsweise angeblich mainstreamtauglich sein müssenden Produktionen, die von Frau Heinze zur Primetime ausgestrahlt wurden. Kaum vorstellbar allerdings, dass ein Sender den Mut, die Distanz und die Selbstironie aufbringen wird, aus dem Fall Heinze einen pfiffigen Medienkrimi zu machen.

"Karl Hieromymus Schröders erster Fall"

Nun also hält man tatsächlich noch immer etwas ungläubig und gespannt einen 270 Seiten starken Krimi in der Hand. Höhere Gewalt (erschienen bei Ellert & Richter) heißt der Roman. Auf dem Umschlag spuckt ein Vulkan Glut empor. Kein Pseudonym. Doris Heinze ist als Autorin genannt. Der Untertitel verheißt, dass es weiter gehen wird: "Karl Hieromymus Schröders erster Fall". Um alle Hoffnungen auf Häme hier gleich vorab wegzuwischen: Der Rezensent sieht nach der erfrischenden Lektüre dieses ersten Falls weiteren Fällen durchaus wohlwollend entgegen.

Natürlich hat Doris Heinze nicht ihren eigenen oder einen ähnlich gelagerten Fall verarbeitet. Der ist wohl auch nicht kriminell genug für einen Krimi. Wobei es ein Novum gewesen wäre, mit einem Roman in ein noch schwebendes Verfahren einzugreifen. Sie hätte als Beschuldigte vor Gericht einschlägige Passagen aus ihrem Roman vorlesen können, was kühn aber auch unklug gewesen wäre.

Liebhaber perverserer Morde sollten die Finger davon lassen

Eine Abrechnungen zur Befriedigung persönlicher Rachebedürfnisse ist Doris Heinzes Höhere Gewalt auch nicht. Wie jeder Autor mag sie sich an ein paar Stellen gern mit ihrem knurrigen Helden identifiziert haben: "Er war nicht untergetaucht, vielmehr hatte er sich selbst aus dem Verkehr gezogen. Erst einmal, vorübergehend." Das ist eine hübsche, dezente und souveräne Beschreibung ihrer eigenen Lage. Es hat Entgleisungen gegeben, kann man da herauslesen, aber ich komme wieder ins Geschäft. Von Groll keine Spur.

Der Roman vermischt und verwickelt geschickt und originell den Ausbruch des isländischen Vulkans (2010) und die damals verordnete Sperrung des europäischen Luftraums mit rasenden Aktivitäten von kriminellen Bankern und Softwarespezialisten, die in letzter Sekunde ihre wahnsinnigen Milliardenbetrügereien vertuschen wollen aber in Flughäfen festsitzen. Prima Plot. Erzählt wird immer abwechselnd aus der Perspektive der wichtigsten Protagonisten. Die Klischees, die ich von einem guten Krimi erwarte, kommen nicht zu kurz: bloß nicht Gefühle zeigen, sich über Kaffeeautomaten ärgern, sich vornehmen, ein besserer Vater zu sein. "Klischee" klingt negativ. Nennen wir es "Applikation".

Das Webmuster des Romans ist robust und übersichtlich. Die Erfahrung der Autorin mit dem Film und seinen Schnitten ist unübersehbar und sorgt für Tempo. Wer permanent Krimis konsumiert, dem mag dieser erste Heinze-Fall zu schlicht gestrickt sein, für ein eher unbedarftes Kriminalgemüt ist er genau richtig. Lieber lasse ich mir Verwicklungen von zwei Seiten erklären als die Übersicht zu verlieren. Obwohl neben Indien, Frankfurt und London unter anderem Russland, die Ukraine und das kühle Finnland Schauplätze sind, ist das Buch nicht so dunkel dräuend und blutrünstig wie die hochgehypten Skandinavienkrimis.

Liebhaber perverserer Morde sollten die Höhere Gewalt nicht lesen. Leser, die Investmentbanker hassen, einen Scotland Yard Inspektor mögen, der sich fragt, ob er vielleicht einmal etwas anderes als immer nur olive Cordhosen tragen soll und die für den Charme des verlässlichen und liebeskranken, eigentlich seine Ruhe haben wollenden Sonderermittlers Schröder offen sind, haben von dem Roman mehr als von so manchem konfusen Tatort, der einem am Sonntagabend neunzig kostbare Minuten stiehlt. Man lernt auch allerlei, nicht zuletzt, dass man nicht nur "der", sondern aus "das" Kaugummi sagen kann.

Keine Kritik? Nein! Wozu das übliche Genörgel. Von einem Krimi muss man keine Erleuchtungen erwarten, sondern Klartext und Spannung. Und kein grenzenloses Grauen. Durchhänger stören nicht. (Wer weiß, ob man beim Lesen nicht nur gerade müde ist.) Es muss für die Autorin unabhängig von den NDR-Machenschaften in ihrem Vorleben befreiend gewesen sein, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen und sich nicht in Gremien anderen Geschmäckern anpassen zu müssen. Die Lust an der Freiheit überträgt sich auf den Leser.

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