"Rising Star" auf RTL:Independence Day trifft Mini Playback Show

Lesezeit: 3 min

"Rising Star" auf RTL: "The Latonius" auf der Bühne bei der ersten Liveshow des Formats. (Foto: Getty Images)

Um-die-Wette-Singen im Fernsehen ist ja nicht ganz neu. Wenn die Zuschauer aber per App für ihren Lieblingskandidaten abstimmen dürfen, weht auch bei RTL ein Hauch von neuen Medien durch die Kulisse. Der Eindruck von "Rising Star" bleibt trotzdem zwiespältig.

Von David Denk

Am Donnerstagabend hat RTL zwei Menschen zusammengebracht, die sich nie zuvor gesehen hatten. Ob die auch zusammenpassen, ist eine ganz andere Frage. Die Rede ist nicht von Thomas und Ricarda von "Adam und Eva - Gestrandet im Paradies", sondern von Roland Emmerich und Marijke Amado. Ja genau, der Hollywoodstarregisseur mit den krassen Special-Effects, Meister überwältigender Endzeitszenarien, und die Moderatorin der "Mini Playback Show", Meisterin im mütterlichen Streicheln kindlicher Egos.

"Alle waren Sieger - auch wenn einer nur gewinnen kann", sang Amado einst am Ende jeder Sendung. Etwa 20 Jahre später ist das Prinzip "Mini Playback Show" zurück. Bei der neuen, aus Israel importierten, RTL-Castingshow "Rising Star" singen die ersten neun von insgesamt 50 "Talenten" zwar selbst, aber die Juroren, die hier "Experten" heißen - namentlich Sasha, Anastacia, Gentleman und Joy Denalane -, scheinen zur Vorbereitung auf ihre Aufgabe alte "Mini Playback Show"-Videos auswendig gelernt zu haben.

"Wahnsinn", "unglaublich", "einfach großartig"

Auch nach mittelprächtigen Auftritten ist ihr Wortschatz ausschließlich affirmativ - "Wahnsinn", "unglaublich", "einfach großartig", "wonderful". Klar, das Format Castingshow lebt nicht zuletzt von der (wenn auch nur behaupteten) Begeisterung der Juroren, die sich auf die Zuschauer zu Hause übertragen soll. Sie wirken als Katalysator. Wenn allerdings ein vereinzeltes "Mir hat es gesanglich da wirklich gefehlt" von Joy Denalane der härteste Diss des Abends ist, riecht der Zuschauer den Braten. Und ist verstimmt.

Ach ja, und Roland Emmerich? Von dem hat sich der international erfolgreiche Setdesigner Florian Wieder offenbar beim Entwurf des Studios inspirieren lassen. Jedes Mal, wenn sich die zehn Tonnen schwere LED-Wand für einen Kandidaten hebt, wird der Raum mit Effekten wie aus "Independence Day" geflutet. Auch das Studio selbst sieht schon so aus, als wäre da ein goldglänzendes Ufo in Köln gelandet.

Das Kommando auf diesem Ufo hat - um im Bild zu bleiben - tatsächlich jemand, der ganz frisch ins RTL-Universum gebeamt wurde: Moderator Rainer Maria Jilg ist - wie auch Jan Böhmermann, der später am Abend mit "Was wäre wenn?" an den Start ging - ein Beleg dafür, dass die Privaten offenbar die eigene Nachwuchsförderung eingestellt haben und sich lieber bei den Öffentlich-Rechtlichen bedienen, die sowieso nicht wissen, wohin mit all den Talenten aus ihren Spartenkanälen und dritten Programmen.

Weil das "Rising Star"-Prinzip wiederum für die RTL-Zuschauer neu ist, muss Jilg zunächst eine Menge erklären. Alleine zwei von ihm gesprochene Einspieler erläutern die Frage, wie man an die App zur Sendung kommt und wie man damit abstimmt. "Wischen, nicht drücken" wird zum Mantra des Abends. Mindestens 75 Prozent aller App-User müssen für einen Kandidaten stimmen, damit er weiterkommt. Zur Belohnung erscheinen die Profilbilder der Abstimmenden auf der LED-Wand, die sich erst dann hebt und den Weg in die nächste Runde frei macht. Die Unterstützung eines Experten treibt den Balken um fünf Prozent in die Höhe, bei vier Experten also um maximal 20 Prozent. Bei fünf Kandidaten werden die Balken an diesem Abend groß genug, für die anderen vier ist die Reise zu Ende.

Darüber hinaus hatte Jilg sich noch einige nette bis bemühte Sprüche zurechtgelegt, etwa, dass er sich "die Brille bei RTL mit Daniel Hartwich teilen" müsse oder, dass Jörg Pilawa ihm eine SMS geschickt habe, "Ne Sendung mit ner App, na dann viel Glück." Wir erinnern uns an die tagelangen Pannen beim ARD-Quizduell.

Emotionale Nähe

Angesichts all der Vorschusslorbeeren für "Rising Star", des Hypes um dieses angeblich bahnbrechende Format, war die Premiere jedoch reichlich ernüchternd. Weder waren die Kandidaten besser als bei Konkurrenzformaten wie "The Voice of Germany" oder früher "X Factor" - eher im Gegenteil - noch erschloss sich auf Anhieb der (emotionale) Mehrwert des App-Votings - außer für die Leute, die ihr Facebook-Bildchen schon immer mal im Fernsehen sehen wollten.

Immerhin bei den Einspielern zu jedem Kandidaten gelang es, eine emotionale Nähe herzustellen, wie man das von Castingshows bislang nicht kannte, etwa, wenn die 20-jährige Denise sich unter Schmerzen ein altes Tape anhören muss, auf dem sie Tokio Hotel covert, oder der smarte Abiturient Yannik von seinem toten Vater spricht, ohne dabei das böse T-Wort in den Mund zu nehmen. Möglich wurden die Filme erst durch den Umstand, dass "Rising Star" eine Castingshow ohne Castings ist, dass die Vorauswahl ausgeblendet wird. Einerseits ist es dadurch machbar, jedem so einen Film zu widmen, andererseits entfällt dadurch für den Zuschauer ein Teil der Zeit, in der sie sich mit den Kandidaten identifizieren können. Gewonnen ist also wenig.

Der größte Unterschied zu herkömmlichen Castingshows bleibt: Abstimmen per App ist kostenlos, weswegen RTL umso ungenierter Werbung für ein neues Smartphone machte, das nicht nur andauernd in die Kamera gehalten wurde, sondern das sich am Ende der Sendung sogar über den Bildschirm legte und ein Erinnerungsfoto mit der Handykamera simulierte. Für die Kandidaten bleibt "Rising Star" sicherlich auch ohne Foto unvergesslich. Ob das auch für die Zuschauer gilt, müssen die kommenden fünf Wochen zeigen. Weiter geht's am Samstag.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: