Rezension:Sand im Getriebe

Tabula Rasa

Um gegen ihre Amnesie anzukämpfen, schreibt Mie (Veerle Baetens) alles in ihr Buch.

(Foto: ZDF/Sofie Silbermann)

Mystery und Klamauk: In der Thrillerserie "Tabula Rasa" kann sich eine Frau nicht merken, was ihr passiert.

Von Veronika Wulf

In Film und Literatur ist die Amnesie beliebt. Ob in den Bourne-Filmen, Der englische Patient oder Memento: Der Held hat sein Gedächtnis verloren und weiß oft nicht mehr, ob er zu den Guten oder zu den Bösen gehört. Erzählerisch ist das reizvoll, denn Zuschauer und Hauptfigur können gemeinsam herausfinden, was passiert ist. Eigentlich kann es nur spannend werden.

Das ist auch das Prinzip der belgisch-deutschen Psychothriller-Serie Tabula Rasa, die von diesem Mittwoch an bei ZDFneo zu sehen ist. Seit einem Autounfall leidet Mie an einer besonderen Form der Amnesie: Sie weiß noch alles, was vor dem Unfall war, nur was danach passiert, kann sie sich nicht merken. Doch Mie ist gezwungen, sich zu erinnern: Ein Mann ist verschwunden und sie war die Letzte, die ihn gesehen hat. In Rückblenden wird erzählt, was vor dem Verschwinden geschah.

Vor lauter quietschenden Türen vergisst man fast, worum es geht

Ein Leitmotiv der Serie ist der Sand: Er rieselt von der Decke und aus dem Wasserhahn. Schon im Vorspann lösen sich Bäume, Arme und Mie selbst in Sand auf. Eine Metapher für das Vergessen. Damit der Zuschauer das versteht, lässt Serienschöpferin Malin-Sarah Gozin Mies Mann schon in der fünften Minute Mies Amnesie plump erklären: "Mie beschreibt es als eine Art Sandsturm, der ab und zu alles wegweht."

Leider traut Gozin dem Zuschauer auch im weiteren Verlauf der Serie nicht viel zu. Die Dialoge wirken oft hölzern und bemüht. Als Mies Mutter den gut gebauten Griechen Moses als den neuen Pfleger ihres alzheimerkranken Mannes vorstellt, hat der Zuschauer längst kapiert, was Sache ist. Trotzdem sagt Mies Schwager noch mal: "Ich schätze, dieser Moses greift nicht nur deinem Vater unter die Arme."

Es wird nicht so richtig spannend, obwohl die Macher alle Gruseleffekte auffahren: ein verlassenes Haus im Wald, skelettartige Puppen, quietschende Türen und kreischende Krähen. Ein Kapuzenmann taucht im Gebüsch auf, eine Stimme keucht ins Telefon und die Lichtschalter im Keller sind natürlich immer kaputt. Sollte man zwischendurch einnicken, weckt einen die Musik - Dissonanzen, Crescendo, Wumm - verlässlich an den vermeintlichen Höhepunkten. Auch wenn es nur die Tochter ist, die Mie erschreckt, akustisch hat gerade ein Monster angegriffen. Bei all dem Mystery-Klamauk vergisst man fast, worum es eigentlich geht: den Vermissten.

Angenehm natürlich dagegen spielt Veerle Baetens (The Broken Cicle), die auch als Koautorin beteiligt war, die Hauptfigur - sowohl die vernünftige, selbstbewusste Mutter Mie, als auch die verwirrte, fahrige Mie. Auch Stijn Van Opstal als Ehemann Benoît fällt neben ihr kaum ab.

ZDFneo setzt bei seinen Serien in letzter Zeit vermehrt auf europäische Kooperationen. Mit der zuletzt ausgestrahlten belgisch-deutschen Produktion Sylvia's Cats, einem überraschend gelungenen Mix aus Rotlicht- und Familienserie, kann Tabula Rasa jedoch nicht mithalten. Folgerichtig läuft der Neunteiler im Nachtprogramm. Vielleicht wirkt die Grusel-Trickkiste ja so kurz vor Mitternacht.

Tabula Rasa, ZDFneo, 23.15 Uhr.

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