Retro-TV:Das ist doch noch gut

Nichts ist so alt wie der Jugendwahn von gestern: "Jeopardy" und "Glücksrad" sind zurück und zeigen, wie sich das Privatfernsehen seine Zukunft vorstellt.

Von Hans Hoff

Als Anfang der Neunzigerjahre der Dieter-Wedel-Vierteiler Der große Bellheim im ZDF lief, etablierte sich der Name Bellheim rasch als Synonym für ältere Herren, die es noch können und es noch einmal wissen wollen. Im Film rettete damals Mario Adorf als Peter Bellheim mit eigentlich aufs Altenteil abgeschobenen Kollegen ein Kaufhausimperium.

Das Motiv wird freilich auch in Hollywood, wo man sich für deutsches Fernsehen sehr begrenzt interessiert, immer wieder gern benutzt. Im Film Space Cowboys etwa führt Clint Eastwood aus Altersgründen ausrangierte Experten zu einer Weltraummission, und dass RTL diesen Sonntag das Actionkino-Veteranentreffen The Expendables 3 zeigt, werden nur jene als Zufall werten, die den aktuellen Trend in die Vergangenheit noch nicht zur Kenntnis genommen haben. Die Entbehrlichen machen sich wieder wichtig. Die Bellheims blasen erneut zur Attacke.

Auch bei RTL ist man mit dem Defibrillator ins Archiv gestiegen

Das wohl skurrilste Projekt hat dabei Tele 5 im Angebot. Der Minisender hat im Frühjahr vier alte Fernsehrecken auf den Jakobsweg geschickt und zeigt deren Wandertage nun in einer zwölfteiligen Doku-Reihe, die vollmundig als Walkumentary angekündigt wird. Angeführt von Karl Dall strapazieren die Show-Hasbeens Harry Wijnvoord (Der Preis ist heiß), Frederic Meisner (Glücksrad), Jörg Draeger (Geh aufs Ganze) und Björn-Hergen Schimpf (Ein Tag wie kein anderer, Was bin ich) ihre müden Knochen. Vermarktet wird das Projekt unter dem vielsagenden Kürzel OGOT, was für Old Guys On Tour steht und vom 17. September an fast täglich zu sehen ist. "Das hat richtig Spaß gemacht", sagt Schimpf. Eigentlich ist er in Rente, aber als irdischen Space Cowboy hat er sich von Tele 5 gern reaktivieren lassen. Rücksturz in die Neunziger, ja gar in die Achtziger? Kein Problem.

Vom größten Projekt, das sein Sender je auf die Beine gestellt habe, schwärmt dann auch Tele-5-Chef Kai Blasberg am Telefon und kündigt an, seinen Kanal für die Zeit der Doku in Tele 65 umzubenennen. Warum das alles? "Die Zukunft ist grau", sagt er. Und: "Die Alten haben mehr Geld." Das Privatfernsehen beginnt also, sich auf das öffentlich-rechtliche Fernsehpublikum einzustellen.

Tatsächlich passt diese fast schon geriatrisch anmutende Unternehmung durchaus in die Zeit. Schließlich werden rundherum gerade alte Showrezepte neu gebacken; keine Spur mehr vom einst so oft beklagten Jugendwahn. So will der Nostalgiesender Sat 1 Gold vom 19. Oktober an Rudi Carrells Herzblatt reanimieren. Unter dem Titel Herz sucht Liebe soll der ebenso in die Jahre gekommene frühere Kinderstar Thommy Ohrner Paarungswillige verkuppeln. Sogar Säuselstimme Susi ist in der Neuauflage wieder mit dabei.

Auch bei RTL ist man mit dem Defibrillator ins Archiv gestiegen. Familienduell und Jeopardy, im Oktober folgen Ruck Zuck und Glücksrad, sollen den neuen Digitalableger RTL plus attraktiv machen, der das Rückwärtsgewandte praktischerweise schon im Namen trägt. Schließlich hieß RTL bei der Gründung auch RTL plus. Aber dann ist irgendwann das Plus ausgewandert, um nun erneut anzudocken. Allerdings nicht beim Hauptsender, sondern bei einem Beiboot, welches das Beste von gestern mit dem Besten von vorgestern verbindet. Das in den Neunzigerjahren noch junge RTL-Publikum soll sich jetzt, 20 Jahre später, offensichtlich am Vergangenen wärmen können.

Dass alle Shows ohne die einst erfolgreichen Moderatoren auskommen und sich mit Allerweltsansagern wie Oliver Geissen oder Inka Bause abfinden müssen, hält nicht nur Walkumentary-Erfinder Blasberg für einen Fehler. Er hätte lieber die Helden seiner Wanderdoku an den Pulten gesehen. "Das sind gestandene Mannsbilder, die könnten es noch", sagt er. Dass seiner schon öfter ausgesprochenen Empfehlung niemand gefolgt ist, liegt für Blasberg in der traurigen Natur seines Gewerbes. "Die Branche hat ein Jahrzehnt der Ideenlosigkeit hinter sich", sagt er. Da verwundere es wenig, wenn man jetzt das Bewährte hervorkramen müsse.

Der Wanderrentner Schimpf nimmt die Renaissance der Spielshows angesichts der vielen Scripted-Reality-Wucherungen im Tagesprogramm mit Humor. "Ich finde es prima", sagt der 72-Jährige: "Man braucht dann wenigstens keine übergewichtigen tätowierten Mädchen mehr, die ihre Mütter anschreien." Für sich selbst schließt er eine weitere Rückkehr auf den Schirm nicht kategorisch aus. "Ich muss nicht, aber irgendwas mit Reise würde ich schon machen."

Anruf bei Hugo Egon Balder, Tutti-Frutti-Dompteur von einst und heute dank aktueller Auftritte gemeinsam mit seiner Alles Nichts Oder?!-Showschwester Hella von Sinnen selbst auch unter akutem Nostalgieverdacht. Man müsste diese alten Shows mit den noch lebenden Personen machen, die sie früher moderiert haben, findet er. Dann sei es richtig retro. Ein Familienduell ohne Werner Schulze-Erdel könne er sich persönlich nicht vorstellen. Ebenso wenig übrigens, wie für ihn eine Neuauflage der Erotik-Spielshow Tutti Frutti infrage käme. "Da könnte der Kaiser von China kommen oder Frau Merkel, ich würde es nicht machen", sagt der 66-Jährige. Allenfalls eine Neuauflage der Rateshow Genial daneben (seit 2011 nicht mehr auf Sendung) könne er sich vorstellen. "Wir sind da dran", sagt er. Die Verhandlungen laufen. Mit wem, verrät er nicht. Ein richtiger Bellheim muss auch schweigen können.

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