Süddeutsche Zeitung

Regulierung der britischen Medien:Report vom Boulevard

Der Hacking-Skandal um Rupert Murdochs "News of the World" hatte seinen Einsatz nötig gemacht, nun liegen die mit Spannung erwarteten Vorschläge zur Presseregulierung des britischen Richters Brian Leveson vor. Die sind moderater als vermutet. Trotzdem sind die Zeitungen nicht glücklich.

Von Christian Zaschke, London

Dem Lordrichter Brian Leveson ist es gelungen, warme Worte für die britische Presse zu finden und ihr trotzdem ein denkbar schlechtes Zeugnis auszustellen. Sie sei ein Eckpfeiler der Demokratie, sagte er, und sie richte dennoch verheerende Schäden im Leben einfacher Menschen an.

Leveson präsentierte am Donnerstag in London die Ergebnisse der umfangreichsten Untersuchung der Presse, die das Königreich bisher gesehen hat. Eine halbe Stunde sprach er, Fragen nahm er nicht entgegen. "Der Report spricht für sich selbst", sagte er. Damit meinte er den 2000 Seiten umfassenden Abschlussbericht der von ihm geleiteten Untersuchung. Premierminister David Cameron hatte diese Untersuchung im Sommer 2011 ins Leben gerufen, nachdem bekannt geworden war, dass Mitarbeiter des Boulevardblatts News of the World (NotW) jahrelang die Telefone von Prominenten und von Opfern von Verbrechen angezapft hatten. Nun sieht sich Cameron im Zentrum einer medienpolitischen Kontroverse, die der Bericht von Leveson ausgelöst hat.

Leveson wies darauf hin, dass es bereits die siebte von der Regierung angesetzte Untersuchung der Presse in weniger als 70 Jahren war - immer ging es darum, dass die Regulierung der Presse nicht zu funktionieren schien. Derzeit reguliert die britische Presse sich selbst. Die sogenannte Press Complaints Commission, eine Beschwerdestelle, erwies sich jedoch zunehmend als toter Briefkasten. Zudem weigerten sich manche Blätter, jedweder Form von Regulierung zuzustimmen und beriefen sich auf die Freiheit der Rede. "So konnte es nicht weitergehen", sagte Leveson, "es braucht eine Veränderung".

Der Richter hatte angekündigt, dass sein Abschlussbericht nicht wie die der vorherigen Untersuchungen folgenlos bleiben solle. Deshalb war mit Spannung erwartet worden, wie weit seine Vorschläge zur künftigen Regulierung der Presse gehen würden. Je nach Standpunkt wurde befürchtet oder erhofft, dass Leveson eine gesetzliche Grundlage empfehlen würde, die alle Zeitungen zwingt, sich den Regeln einer Regulierungsbehörde zu unterwerfen. Das hat er nicht getan. Trotzdem sind die Zeitungen nicht glücklich, was daran liegt, dass Leveson durchaus für massive Veränderungen plädiert.

Er schlägt die Einsetzung eines unabhängigen Rats vor, in dem weder Politiker noch Medienvertreter sitzen sollen. Dieser soll eine Kontrollfunktion haben und die Presse auch sanktionieren können - gemäß eines Verhaltenskodex', den die Presse selber aufstellen soll. Leveson will es nicht gesetzlich verpflichtend machen, dass Zeitungen den Kodex anerkennen, aber es müsse "starke Anreize" geben, das zu tun. Der unabhängige Rat soll "gesetzlich gestützt" sein. Was das genau bedeuten soll, ist die Kernfrage, über die nun heftig diskutiert wird. Sie entzweit das Parlament parteiübergreifend.

Premierminister Cameron dankte Leveson am Donnerstag im Parlament für dessen Arbeit und führte aus, dass er die Vorschläge begrüße. Er lehnte es jedoch kategorisch ab, einem regulierenden Presserat irgendeine Form von gesetzlicher Grundlage zu geben. Damit, sagte Cameron, werde der Rubikon überschritten; jede gesetzliche oder "gesetzlich gestützte" Regulierung sei eine Gefahr für die Pressefreiheit.

Der neue Presserat soll nach dem Willen Levesons - und Cameron stimmt ihm darin zu - weitreichende Kompetenzen haben. Er soll Strafen in Höhe von einer Million Pfund verhängen dürfen, er soll die Befugnis haben, Zeitungen zum Abdruck von Gegendarstellungen und Entschuldigungen auf der Titelseite zu verpflichten. Zudem soll er Chefredakteure befragen und zur Rechenschaft ziehen dürfen.

Offen ist in diesem Modell, was mit Zeitungen passiert, die den Rat und den neu zu entwerfenden Pressekodex nicht anerkennen. Leveson setzt wohl auf öffentlichen Druck, zudem hat er vage angedeutet, dass die staatliche Medienaufsichtsbehörde Ofcom, die bisher nur für den Rundfunk zuständig ist, ins Spiel kommen könnte. Leveson sagte: "Die entscheidende Frage bleibt: Wer bewacht die Wächter?" Mit genau dieser Frage hatte Leveson seine Untersuchung vor gut einem Jahr begonnen. Seine Empfehlungen sind rechtlich nicht bindend. Es soll nun in Gesprächen zwischen allen Parteien überlegt werden, ob und wie sie umgesetzt werden sollen.

Oppositionsführer Ed Miliband widersprach dem Premierminister. Er sagte: "Wir hatten in 70 Jahren sieben Untersuchungen. Die Zeit der ,letzten Chancen' für die Presse ist vorbei. Wir haben jetzt die große Chance, etwas zu ändern, wie sie sich nur einmal in einer Generation ergibt. Das sind wir jedem anständigen Briten schuldig. "Er wolle in den kommenden Tagen alles daran setzen, Cameron davon zu überzeugen, dass ein neuer Presserat auch eine gesetzliche Grundlage brauche. Nach den Statements von Premier und Oppositionsführer ergab sich eine äußert lebhafte Diskussion im Parlament, die zeigte, dass sämtliche Parteien uneins sind darüber, wie mit Levesons Vorschlägen zu verfahren ist. Eine überparteiliche Einigung erscheint deshalb unwahrscheinlich.

Die Gruppe "Hacked Off", die für die Opfer des Abhörens von Telefonen eintritt, kritisierte Cameron scharf. Jahrelang habe insbesondere die Boulevardpresse sich rücksichtslos verhalten und solle sich doch weiterhin selbst regulieren dürfen. Für die Opfer - darunter die Eltern eines ermordeten Mädchens, dessen Telefon von NotW-Mitarbeitern abgehört worden war - sei das unerträglich. Sie fühlten sich von der Regierung allein gelassen.

Als Cameron die Untersuchung unter Vorsitz von Leveson 2011 unter großem öffentlichen Druck einsetzte, sagte er, er werde sämtliche Vorschläge befolgen, es sei denn, sie wären "meschugge". Diese Worte halten ihm Befürworter einer gesetzlich gestützten Presseregulierung nun vor.

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SZ vom 30.11.2012/jufw
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