Süddeutsche Zeitung

Reform im Südwestrundfunk:"Richtig steil"

Der neue Intendant Kai Gniffke erklärt bei seiner ersten Jahrespressekonferenz, wie er den SWR digital verändern will. Sicher scheint eines: Das klassische Fernsehen verliert einiges an Stellenwert. Die Mediathek ist in Zukunft wichtiger.

Von Stefan Mayr

Die einen im Sender sprechen von Aufbruchstimmung, die anderen von Verunsicherung. Die einen rufen: Endlich! Die anderen flüstern: Oje, das geht mir zu schnell. Dazwischen steht der neue Chef, schneidet einen alten Zopf nach dem anderen ab und sagt munter Sätze wie: "Wir sind hammerstolz" und "das Ding geht richtig steil".

Kai Gniffke ist seit September Intendant des Südwestrundfunks (SWR). In seiner Wahlrede hatte er zuvor angekündigt, er werde den Zwei-Länder-Sender mit seinen drei Standorten Stuttgart, Mainz und Baden-Baden gründlich entstauben und reformieren. An diesem Freitag, fünf Monate nach Amtsantritt, hat er bei seiner ersten Jahrespressekonferenz Details seiner Umbauten vorgestellt: Die Hörfunk-Nachrichten werden von 2021 an ausschließlich in Baden-Baden produziert. Aus Stuttgart und Mainz sollen dann nur noch regionale Beiträge zugeliefert werden. Damit will Gniffke erreichen, dass globale News aus China oder den USA nicht mehr an drei Standorten gleichzeitig für die einzelnen Wellen fabriziert werden. "Wir müssen die Kräfte bündeln", sagt er, "um Dreifach-Befassungen zu vermeiden." Die dadurch gewonnenen Ressourcen will er in digitale Kanäle investieren, um mehr junge Menschen zu erreichen.

Tatsächlich dauert es auf der Pressekonferenz im Fernsehstudio B rekordverdächtig lange, bis das gute alte lineare Fernsehen überhaupt angesprochen wird. Zuallererst geht es um Youtube-Kanäle, Social Media, Apps und Webformate. Und was Kai Gniffke so "hammerstolz" macht, ist die ARD-Mediathek. Sie wurde unter der Federführung des SWR modernisiert. "Es macht jetzt Spaß, das zu nutzen", sagt Gniffke. Die Zugriffszahlen seien seit vergangenem Oktober von 65 auf 87 Millionen pro Monat gestiegen. Damit zeige die ARD-Mediathek den anderen Streamingdiensten, "dass wir das mindestens genauso gut können".

Das klassische Fernsehen ist gar nicht mehr so wichtig wie die Ausspielung in Digitalkanäle

An Gniffkes Seite sitzt Stefanie Schneider, man könnte diese Sitzordnung demonstrativ nennen. Schneider war bei der Intendanten-Wahl gegen Gniffke angetreten und unterlegen, jetzt sagt die alte und neue Landessender-Direktorin Baden-Württemberg: "Die Mediathek ist superwichtig." Vor allem für Menschen, die "zeitsouverän" Programme sehen oder hören wollen und sich dabei "nicht an unsere Programmierung halten" wollen. Deshalb würden viele Inhalte im SWR jetzt auch anders produziert als bisher: maßgeschneidert für Mediathek, Audiothek oder Internet. Es ist ein massiver Umbruch: Die TV-Ausspielung kommt künftig wohl erst danach. Sie ist tatsächlich zweitrangig. Der SWR lebt das Motto "Online first, Mediathek first" jedenfalls sehr entschlossen, vielleicht entschlossener als andere ARD-Sender. "Der SWR meint es ernst damit, ein digitales Haus zu werden", sagt Clemens Bratzler, der neue Programmdirektor Information. In den ARD-Gremien glaubt er zu spüren, dass sich der bislang eher beschaulich-bescheiden vor sich hin dümpelnde SWR zum "Innovationstreiber" entwickle.

Jedenfalls weitet der SWR seine Digitalangebote mit etlichen neuen Formaten aus. So wurde der 23-jährige Youtuber Leeroy Matata engagiert, der seit seiner Kindheit im Rollstuhl sitzt und in einer zehnteiligen Internet-Reihe mit Menschen aus Baden-Württemberg über deren Leben und Schicksalsschläge spricht. Das Online-Jugend-Netzwerk "Funk" bringt im April einen Schwerpunkt über Extremismus, dabei sprechen die Reporter mit Neonazis und Linksextremen. Seit Oktober gibt es auch den Youtube-Channel SWR-Doku. Er hat bereits 30 000 Abonnenten und fast zehn Millionen Abrufe.

Um noch mehr Geld für seine Digital-Offensive freizuschaufeln, will Gniffke auch andere Programmbereiche straffen und bei Studio-Produktionen abspecken. Dabei, so erzählt er am Rande des Jahresgesprächs, stoße er nicht einmal auf Widerstände, sondern auf Wohlwollen; "Die Leute sagen: Endlich!", ruft er und haut mit der Faust in seine flache Hand.

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Quelle:
SZ vom 08.02.2020
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