"Reconquista Internet":Sieht aus wie Satire, ist aber Aktivismus

Böhmermann

"Comandante" Böhmermann ruft zum Gegenschlag auf.

(Foto: ZDF neo)

Jan Böhmermann zeigt mit seiner explosionsartig gewachsenen Bürgerrechtsbewegung "Reconquista Internet", wie man heute politisch mobilisieren kann.

Von Julian Dörr

Der Stahlhelm hängt ironisch auf dem Kopf von Jan Böhmermann, so viel ist sicher. Beim Rest ist die Sache aber schon gar nicht mehr so klar. Der Moderator hat gerade "Reconquista Internet" gegründet, ein Netzwerk, dem Menschen beitreten sollen, um sich aktiv gegen Hass und Hetze im Internet zu stellen. Nun sitzt Böhmermann in seinem TV-Studio in Köln-Ehrenfeld, schwarze Sturmhaube unter Helm, und spricht ein Manifest in die Kamera, während im Hintergrund ein Marsch aus den Boxen poltert: "Wir sind die Wichser, die den Wichsern, die uns den Spaß am Internet verderben, den Spaß am Internet verderben." Erste Reaktion, auch ob der herrlich redundanten Wortwahl: eine weitere witzige Satireaktion Marke Neo Magazin Royale. Doch das greift in diesem Fall zu kurz.

Vorbild und Gegenpart von Böhmermanns Aktion ist "Reconquista Germanica", ein Netzwerk rechtsradikaler Internet-Trolle, die sich zusammengeschlossen haben, um möglichst viel und möglichst effektiv Hass zu verbreiten: gegen Politiker, gegen Medien, gegen Personen des öffentlichen Lebens. Sie wollen damit die gesellschaftliche Stimmung zu ihren Gunsten beeinflussen. In Stahlhelm und Sturmhaube persifliert Böhmermann den Duktus und die Taktik von "Reconquista Germanica", nur um sie sogleich ins Gegenteil zu kehren. Liebe statt Hass. Herz statt Nazi-Rune.

Das ist zunächst einmal ganz klassische Satire. In der Spiegelung zeigt sich die Drastik. Aber da ist noch mehr: "Reconquista Internet" ist kein Gedankenexperiment. Denn Böhmermann meint es diesmal ernst. Und das wirkt. In nur einer Woche haben sich bei der Chat-Anwendung Discord mehr als 50 000 Mitglieder der Gruppe "Reconquista Internet" angeschlossen. Und die starten nun erste Aktionen. In Dresden hat die Bewegung in der Nacht zum Montag aufmunternde Parolen an die Fassade der Frauenkirche projiziert: "Durchhalten, freundliches Dresden! Ihr seid nicht alleine!"

In einer "Montagsdemonstration der Liebe" rufen die Mitglieder dazu auf, eine Reihe von Orten und Organisationen in Dresden durch positive Bewertungen und Kommentare in sozialen Medien stärker in den Fokus zu rücken. Versehen werden sollen diese Beiträge mit Hashtags wie #DurchhaltenDresden oder #Dresdenistnichtalleine. Eine Strategie, der sich für gewöhnlich rechte Internetaktivisten bedienen, um dem medialen Diskurs beispielsweise über Migration einen negativen Spin zu geben. Und um so aus einer eigentlich überschaubaren und kleinen gesellschaftlichen Blase heraus Einfluss auf große Debatten zu nehmen - bis hinein in den Bundestag.

Böhmermanns satirischer Ernst ist unterhaltsam genug, um im Newsfeed seiner Konsumenten zu bestehen

"Wir haben aus Versehen eine Bürgerrechtsbewegung ins Leben gerufen", sagte Böhmermann während einer Videoschalte auf der Gesellschaftskonferenz Republica in der vergangenen Woche. Restironie, sanfte Worte, die nicht der Realität entsprechen. Denn so aus Versehen war das gar nicht. Böhmermann ist schon länger nicht mehr der Typ für den schnellen Witz. Seine Kunst hat Agenda, sein Spott hat eine Mission. Mit "Reconquista Internet" wird es nun überdeutlich: Was aussieht wie Satire, ist eigentlich Aktivismus.

Ironie ist das Handwerkszeug des Satirikers, denn Ironie schafft Distanz. Distanz, die notwendig ist, um den Witzelnden aus der komplexen und graustufigen Tagesaktualität zu heben. Gut lachen hat, wer über allem schwebt. Natürlich sind auch in der Performance des Jan Böhmermann noch Spuren von Ironie enthalten. Die Stahlhelm-Verkleidung, das überzeichnete Pathos. Aber: Wo Ironie distanziert und unangreifbar macht, wagt sich Böhmermann vor. Er bezieht Haltung, er meint es ernst. Ironie ist bei ihm kein Schutzschild mehr, kein Mittel der Abgrenzung. Im Gegenteil: Mit Hilfe von Ironie schafft Böhmermann Nähe. Nähe zu seiner Zielgruppe, einer im Zeitalter der Ironie sozialisierten Generation. Ironie ist das Rekrutierungsinstrument des "Comandante" Böhmermann.

"Reconquista Internet" ist so etwas wie Böhmermanns trojanisches Pferd. Im Korpus einer Satire-Aktion schmuggelt er ein politisches Anliegen in die gesellschaftliche Debatte. Das Besondere ist nun, dass Böhmermann damit nicht, wie so oft, eine mediale (Schein-)Debatte für die eigene gesellschaftliche Blase anstößt, sondern tatsächlichen Widerhall in der echten, realen Welt findet. Dem Satiriker gelingt, woran gerade vor allem linke Politiker scheitern: die Mobilisierung der Basis. Denn Böhmermann hat etwas ganz Entscheidendes verstanden: Es ist redlich und gut auf Solidaritätsveranstaltungen für den damals noch inhaftierten Deniz Yücel "Die Gedanken sind frei" zu singen. Aber Ernst im Gewand der Ernsthaftigkeit bringt die Masse seiner Anhänger nicht in Bewegung. Die SPD singt bei ihren Parteitagen ja auch immer das alte Arbeiterlied "Wann wir schreiten Seit' an Seit'" - zu neuen Solidaritätswellen führt das aber nicht.

Böhmermanns satirischer Ernst, er ist witzig, unterhaltsam und spektakulär genug, um im Newsfeed seiner Konsumenten zu bestehen. Das ist der Mobilisierungsmechanismus, den Böhmermann, der Grundgesetz-Rapper, für sich entdeckt hat. Wie ernst ihm dieses Anliegen tatsächlich ist, zeigt sich bei seiner Videoschalte. Auf der Republica rief er seinen Zuhörerinnen und Zuhörern entgegen: "Macht mit, habt keine Angst, öffnet euch. Die Idee durchdenken und der Debatte auch Aktionen folgen lassen!" So spricht ein Aktivist, kein Satiriker.

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