Türkei:Ein weiterer Schritt zur umfassenden Zensur

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Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan gängelt derzeit die Medien. (Foto: ADEM ALTAN/AFP)

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan muss sich spätestens 2023 Wahlen stellen. Deshalb macht er jetzt schon Wahlkampf und fordert von den Medien die Wahrung "nationaler Werte" ein.

Von Tomas Avenarius

Mit einem Rundschreiben in der Staatszeitung hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan angekündigt, dass die Medien des Landes nun nichts mehr veröffentlichen dürfen, was die "nationalen Grundwerte" in Frage stellt. Geschützt werden müssten nicht nur die landeseigene Kultur, sondern vor allem auch die Kinder: Sie und die gesamte "Familien- und Sozialstruktur" dürften durch "schädliche Medieninhalte nicht negativ beeinflusst werden", weder schriftlich noch durch Bild und Ton.

Erdoğans Erklärung, die nach Meinung türkischer Juristen und Wissenschaftler kein Dekret ist und deshalb auch keine echte Rechtskraft hat, ist auf jeden Fall ein weiterer Schritt zur umfassenden Zensur der türkischen Medienlandschaft und möglicherweise auch wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Die meisten Zeitungen und Sender des Landes sind ohnehin schon auf Linie, als Staatsmedien oder in der Hand regierungsnaher Unternehmer. Das oppositionelle Portal Duvar veranschlagt die Zahl der gleichgeschalteten Medien auf 90 Prozent.

Wie so oft richtet sich das Vorgehen der Regierung vor allem gegen Inhalte, die sich mit Gender-Fragen, Homosexualität oder weiteren LGBTQ-Themen beschäftigen. Themen also, mit denen sich in einem kulturell stark konservativ geprägten Land Stimmung machen lässt. Hierzu äußert sich der Staatschef des Öfteren, flankiert von Vertretern seiner Regierungspartei AKP und dem Chef der Religionsbehörde Dianet: Sie alle vereint sehen die Jugend durch LGBTQ-Gruppen und Gender-Verfechter gefährdet.

Es geht aber auch um die politische Opposition, die in den vergangenen Monaten Boden gut gemacht hat. Der seit fast 20 Jahren regierende Erdoğan, der sich spätestens im Sommer 2023 Wahlen stellen muss, weiß dies und kämpft auf seine Art.

Die immer unverhohlenere Stimmungsmache von oben kann sich auch gegen die Stimmungsmacher wenden

Jüngstes Beispiel politischer Zensur ist das Vorgehen gegen eine bekannte Fernsehjournalistin: Sedef Kabaş hatte in einer Live-Sendung des oppositionsnahen Senders Tele-1 ein Sprichwort zitiert, mit dem der Staatschef angeblich lächerlich gemacht wurde: Kabaş wurde wegen Präsidentenbeleidigung festgenommen. Gegen den Sender Tele-1 verhängte die Rundfunk-Aufsichtsbehörde RTÜK eine Geldstrafe sowie eine mehrwöchige Sendesperre für die kritisierte Talkrunde: Die Öffentlichkeit sei von Kabaş und dem TV-Programm "zu Hass und Aufruhr" aufgestachelt worden.

Mehmet Yılmaz, Kolumnist des unabhängigen Portals T24, fragte darauf trocken, seit wann der Staatschef über die vermeintliche Moral und Unmoral einer Gesellschaft zu urteilen habe: ,Jeder weiß, wo der Ein- und Ausschaltknopf seines Fernsehers ist und jeder weiß auch, wie er das Programm wechselt. Welchen Knopf wir drücken, entscheiden wir selbst."

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Dass sich die immer unverhohlenere Stimmungsmache von oben auch gegen die Stimmungsmacher wenden kann, hat sich vor einigen Tagen erwiesen. Religiöse Eiferer, erkennbar mit politischer Agenda, hatte sich auf Sezen Aksu eingeschossen, die Pop-Ikone der Türkei. Die Sängerin habe mit einem ihrer Songtexte Adam und Eva beleidigt und so die religiösen Gefühle der Muslime verletzt: Adam gilt im Islam als der allererste Prophet.

Nachdem Präsident Erdoğan den Ball aufgenommen und die Grand Dame der türkischen Unterhaltungsmusik persönlich auf das Härteste angegangen war, gab es einen landesweiten Aufschrei. Der Populist Erdoğan musste zurückrudern und eine Art von Das-war-ganz anders gemeint-Entschuldigung aussprechen.

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