Reality-TV:Zu blöd, um wahr zu sein

das perfekte promi dinner

"So ihr Hater, es reicht!": Helena Fürst bei Das perfekte Promi-Dinner.

(Foto: Andreas Friese/Vox)

"Dschungelzicke" Helena Fürst sieht sich nach Facebook-Attacken als Opfer des Reality-Fernsehens. Doch arm dran ist eigentlich das Publikum.

Von David Denk

Es gibt Menschen, die machen es sich selbst und anderen nicht leicht. Helena Fürst gehört dazu. Der durch ihren Auftritt im RTL-Format Ich bin ein Star - Holt mich hier raus! als "Dschungelzicke" oder gar "Höllena" verschrienen "TV-Anwältin" hängt ihr Biest-Image so hartnäckig nach, dass sie beleidigenden Facebook-Kommentatoren nun, nach einem erneut wenig vorteilhaften Auftritt beim Vox-Promi-Dinner am vergangenen Sonntag, mit dem "Abmahnanwalt" droht. "So ihr Hater, es reicht!", schrieb sie auf Facebook. Und: "Ihr kennt den Unterschied zwischen Fernsehen und Realität nicht, das Dinner war für mich ein Job und kein Treffen mit meinen Freunden! Das ist Unterhaltung!" Fürst ist offenbar davon überzeugt, dass ihr in der medialen Wahrnehmung ihrer Person Unrecht widerfährt. Und dass das Publikum nicht bemerkt, dass im Fernsehen inszeniert wird.

Mitgefühl kann Helena Fürst kaum erwarten. Außer vielleicht von Leuten wie Christian und Yvonne Leps. Das Ehepaar, damals wohnhaft in Zerbst in Sachsen-Anhalt, ließ sich 2009 für die RTL 2-Dokusoap Frauentausch casten, weil sie das Format "lustig" fanden. Bis die Sache mit dem Frühstücksbrettchen passierte. Die nach Zerbst importierte Tauschfrau zerbrach es vor seinen Augen, und Christian Leps rastete aus. Nach der Ausstrahlung der Folge, in der weder er selbst noch die Familie oder Zerbst gut wegkamen, wurde es schnell ernst: Der Briefkasten der Leps wurde mit Frühstücksbrettchen verstopft, ihr Haus mit Eiern beworfen, die Familie wurde gemieden und unter Polizeischutz gestellt. Als auch noch die Vermieterin die Wohnung kündigte, zogen sie weg. "Die Sendung hat unser Leben zerstört", wurde Christian Leps zitiert.

Zwei Beispiele, eine Gemeinsamkeit: Menschen leiden darunter, dass andere Menschen das Fernsehen mit der Realität verwechseln. Dumme Menschen? Vielleicht, teilweise. Vor allem aber ist das natürlich genau so gewollt, arbeiten die Privatsender doch seit Jahren konsequent an der Auflösung der Kategorien "Realität" und "Inszenierung".

Das Genre "Reality-TV" ist in seinem Kern das glatte Gegenteil von real. Weil das echte Leben zu langweilig ist (und man auch sehr lange filmen muss, um es einzufangen), begann man nachzuhelfen: Das Untergenre "Scripted Reality" ist gekommen, um zu bleiben. Ein Gewöhnungseffekt setzte ein - Formate, in denen nichts dem Zufall überlassen wird, sind nicht nur billiger in der Herstellung, sondern auch ungleich fesselnder.

Die Macher behaupten gern, dass es dem Publikum egal sei, ob eine Sendung echt ist oder gestellt. Hauptsache, es fühlt sich vom Gesehenen gut unterhalten. Das mag sein - ist aber kein Naturgesetz, sondern eben Folge einer jahrelangen Konditionierung. Die Verantwortlichen haben dem ohnehin eine selektive Medienrealität transportierenden Medium Fernsehen den letzten Rest Wahrhaftigkeit ausgetrieben - ohne Schuldbewusstsein.

Als bei "Newtopia" betrogen wurde, regte sich niemand auf

Man kann es für eine Petitesse halten, dass in der Pro-Sieben-Datingshow Kiss Bang Love die Kandidatin Veronica eben noch 29 war, im Anschluss im Starmagazin red! aber 26 und auch nicht mehr Einkäuferin in der Modebranche, sondern Dolmetscherin. Oder dass in der folgenden Woche die zweieiigen Zwillinge plötzlich eineiig sind. Oder der ständig als "Unternehmensberater" bezeichnete RTL-Bachelor in Wahrheit Versicherungsvertreter ist. Klar, es ist nur Privatfernsehen. Aber eine gruselige Mischung aus Wurstigkeit und Verarsche ist es auch.

In diesem Zusammenhang soll noch ein letztes Mal an Newtopia erinnert werden. Die Sat-1-Reality-Doku, in der 15 "Pioniere" auf einem vorgeblich von der Außenwelt komplett abgeschnittenen Acker in Brandenburg eine "neue, vielleicht bessere Gesellschaft" aufbauen sollten, erschien nicht mehr ganz so authentisch, als ein nächtliches Produktionsmeeting auf dem Gelände versehentlich live ins Internet übertragen wurde. Der damalige Sat-1-Unterhaltungschef hatte steif und fest behauptet: "Das Programm ist echt, es ist authentisch." Das war offensichtlich nicht wahr. Das Publikum wurde bewusst getäuscht - und niemand, außer ein paar Journalisten, regte sich darüber auf.

Eingestellt wurde Newtopia dann übrigens wegen schlechter Quoten. Wenn das Format erfolgreich gewesen wäre, liefe es womöglich heute noch. Solange der Zuschauer glaubt, was er im Fernsehen sieht, muss es nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist seit der Erfindung des Privat-TV gut darin, sich von dem Unsinn bei RTL & Co. zu distanzieren. Wenn aber etwa in politischen Talkshows Ausschnitte aus Fernsehfilmen gezeigt werden und die fiktionale Auseinandersetzung als Beleg für die Bedeutsamkeit des verhandelten Themas dient, ist die Trennschärfe zwischen Realität und Inszenierung auch nur noch ein schönes Ideal. Die Kulturtechnik der Differenzierung geht so allmählich verloren.

Als Leitmedium prägt das Fernsehen das Weltbild seines Publikums: Ein Fernsehen, dem die Realität egal ist, das sich auch im (vermeintlich) Dokumentarischen darüber hinwegsetzt, wird zwangsläufig zynisch und verspielt Vertrauen.

Leonard, der RTL-Bachelor mit den variablen Berufen, hat in dieser Woche übrigens auch Kontakt mit der Realität aufgenommen. Leonie, seine angeblich erwählte Show-Liebe, erklärte öffentlich, er sei mies und unehrlich. Das sah im Fernsehen noch ganz anders aus.

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