Reaktionen auf den Terror:Böhmermann und die freie Liberale

Jan Böhmermann

Böhmermanns Magazin war die erste Satire-Show in Deutschland nach dem Terror von Paris.

(Foto: dpa)

Nach den Anschlägen von Paris erwachen die Satiriker langsam aus der Schockstarre. Und Jan Böhmermann kann endlich der Aufklärer sein, der er immer sein wollte.

Von Julian Dörr

Es gibt sie noch, die Konstanten im Leben. Auch nach dieser unfassbaren und ereignisreichen Woche. Der Saarländer-Witz von Jan Böhmermann ist so eine Größe. Die Welt existiere noch, verkündet William Cohn im Vorspann der neuen Folge des Neo Magazin Royale. Jeder könne sagen, was er wolle. Jeder und jede könne heiraten, wen er oder sie wolle. Auch Saarländer ihr Nutzvieh. Mit diesen Worten beginnt eine "besonders unbeugsame Ausgabe" von Böhmermanns Satire-Show, die erste Sendung nach dem Terror von Paris.

Es gibt sie noch, die Konstanten im Leben, und doch ist alles ein bisschen anders. Das Publikum gefasster, der sonst so muntere Sidekick Cohn merklich stiller. Und allen voran der Moderator. Eröffnet Böhmermann sein Magazin sonst mit einem Stand-up-Teil, sitzt er an diesem Donnerstagabend von Beginn an hinter dem Schreibtisch und leitet ein: "Wir sind mit unseren Gedanken bei den Opfern, den Angehörigen, den Ärzten, den Polizisten und den Soldaten." Die Last der vergangenen Woche ist deutlich zu spüren. Die Sendung einfach ausfallen zu lassen, kam jedoch nicht in Frage. Aber darf man das? Einfach so weitermachen mit der fröhlichen Witzelei am Abend? Man darf nicht nur, man muss.

In dieser Woche konnte man erleben, wie die Satiriker der Welt langsam aus der Schockstarre erwachten. Stand der rührende, zweisprachig vorgetragene Eröffnungsmonolog der legendären US-Sketch-Show Saturday Night Live einen Tag nach den Anschlägen noch ganz unter deren Eindruck, war am Tag darauf bei John Olivers Last Week Tonight die Trauer der Wut gewichen. In einem ebenso kurzen wie an Beleidigungen reichen Segment bezeichnete der Late-Night-Talker die Attentäter von Paris als "gigantische Arschlöcher" mit einer Ideologie der "reinen Arschlochigkeit".

In Deutschland war dann am Dienstagabend die dritte Stufe nach Trauer und Wut zu beobachten: der Stoizismus. Nachdem Helge Schneider seine Lesung in Hannover absagen musste, verkündete er ganz gelassen aus seinem Hotelzimmer: "Wenn ich morgen auch noch einmal absagen muss, dann komme ich Donnerstag wieder."

Und was macht Böhmermann? Der benennt kurzerhand seine Studioband in "Dendemann und die Freie Liberale" um und stellt seine gesamte Sendung ins Zeichen der Freiheit. Die erste Hälfte ist ein Pamphlet wider die Verunsicherung. Wie schon in seinen bei Facebook geteilten "100 Fragen nach Paris" betont Böhmermann mehrfach, er habe keine Angst: "Mich kann gar nichts mehr verunsichern." Auch nicht Innenminister Thomas de Maizière, dessen Aussage nach dem abgesagten Fußball-Länderspiel ("Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.") die Vorlage für den Hashtag der Woche (#verunsicherungsvertreter) liefert.

In knapp 40 Minuten nordet Jan Böhmermann den moralischen Kompass. Wir sollten unsere Ängste nicht von Verunsicherern wie Markus Söder oder Matthias Matussek schüren lassen. Wenn überhaupt, dann sollten wir Angst vor Til Schweiger haben - sollte sein Tatort nicht bald gesendet werden. "Falls Sie sich versehen haben, das Neo Magazin Royale ist eine Comedy-Sendung", sagt der Moderator zu Beginn seiner Show. Doch noch viel mehr ist es eine kollektive Therapiesitzung. Sehr überlegt und bis in die letzte Faser politisch.

Die Satire als Mittel gegen den Terror. Indem sie Witz streut, lichtet sie den diffusen Nebel der Angst. In diesem Moment darf Jan Böhmermann der große Aufklärer sein, der er immer sein wollte. Wenn er sich mit dem kleinen Mann - wie immer grandios gespielt von Hans Meiser - einen ziel- und sinnlosen, aber dennoch entlarvenden Schlagabtausch um Religion, Flüchtlinge und Krieg liefert, ist jede ironische Brechung aufgehoben.

Im Gespräch mit Grünen-Chef Cem Özdemir beweist Böhmermann dann auch noch seine Polit-Talk-Qualitäten. Eine Premiere, denn noch nie saß ein Politiker auf der Couch des Neo Magazin Royale. Und auch wenn das Interview zum Ende hin ausfranst, die Tonalität stimmt. Nächste Woche kommt Helge Schneider. Da werden sie dann sitzen, der Stoiker und der Aufklärer, und sie werden weitermachen. Und ein Saarländer-Witz wird auch wieder dabei sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: