RBB stoppt Sarrazin-Dokumentation:Kampfplatz Kreuzberg

Vermutlich gibt es in Deutschland keine Journalistin, die einen intimeren Einblick in Thilo Sarrazins Leben bekommen hat als Güner Balci. Ihre Dokumentation zeigt einen Sarrazin, wie ihn kaum einer kennt - hätte sie nicht ihren Auftraggeber verloren.

Thorsten Schmitz

Die Frage müsste also lauten: Wem gehört Thilo Sarrazin? Dem RBB, dem Rundfunk Berlin-Brandenburg? Dem ZDF? Der Produktionsfirma Lona Media?

RBB stoppt Filmprojekt ueber Sarrazin

"Es hat mich viel Kraft gekostet, Sarrazin über Monate hinweg zu begleiten." Regisseurin Guener Balci ist sichtlich enttäuscht über den Stopp ihres Filmprojekts über Thilo Sarrazin.

(Foto: dapd)

Es ist Samstagvormittag, draußen regnet es Bindfäden. Drinnen, in einer geräumigen Berliner Wohnküche mit viel Platz für Freunde und Familie, sitzt Güner Balci und gießt schwarzen Tee nach. "Wem Sarrazin gehört? Mir natürlich!", sagt die Fernsehjournalistin und lacht.

Um die Augen wirkt sie ein bisschen müde, aber das ist nicht verwunderlich, nach der Medienlawine, die in den vergangenen Tagen über sie hinweggerollt ist. Verwunderlich ist höchstens, dass sie noch lachen kann. Anfragen um ein Gespräch hat sie in den letzten Tagen allesamt abgesagt. Sie möchte jetzt nicht mehr Gegenstand der Berichterstattung sein. Balci ist es gewohnt, hinter der Kamera zu stehen und hinter dem Mikrofon zu sitzen, an die Rolle im Rampenlicht möchte sie sich nicht gewöhnen. Sie liege ihr nicht. Ein letztes Interview will sie geben, dann soll erst mal Schluss sein.

Der Grund, weshalb man jetzt in Güner Balcis Wohnküche sitzt, lässt sich mit wenigen Worten erzählen - oder mit sehr vielen. Kommt darauf an, mit wem man spricht, denn jeder hat eine andere Version. Der RBB, Lona Media, das ZDF. Sie alle haben bereits ihre Sicht der Dinge zu Protokoll gegeben, nur Balci nicht, die Journalistin, die eine Langzeit-Beobachtung über Thilo Sarrazin gedreht hat, die nun nicht ausgestrahlt werden soll. Zeit also zu hören, was die in Berlin geborene Fernsehreporterin und Schriftstellerin türkischer Herkunft zu der Geschichte zu sagen hat, in der sie doch selbst die Hauptrolle spielt.

Im vergangenen Jahr, als in Deutschland über Thilo Sarrazins Biologismus-Pamphlet Deutschland schafft sich ab diskutiert wurde, hatte die Produktionsfirma Lona Media die Idee, den Autor ein Jahr lang mit der Kamera zu begleiten. Als Autorin für die Dokumentation konnte man Güner Balci gewinnen, die den Ruf genießt, unabhängigen Journalismus zu betreiben. Balci sagte sofort zu. In Verhandlungen mit diversen Fernsehsendern einigte sich die Produktionsfirma Lona Media schließlich mit dem RBB und dem WDR als Ko-Produzenten. Balci begann zu recherchieren. Sie sagt, es sei ihr gelungen, ein Vertrauensverhältnis zu Thilo Sarrazin und dessen Frau Ursula aufzubauen. Und einen Blick hinter die Fassade von Sarrazin zu gewinnen, den umstrittenen und unbelehrbaren Bestsellerautor. Mehrere hundert Stunden Filmmaterial hat Balci mit Sarrazin gedreht - im Gespräch mit Türken in Neukölln, auf dem Golfplatz, auf Autofahrten, zu Hause im Berliner Wohnzimmer.

Vermutlich gibt es in Deutschland keine Journalistin, die einen intimeren Einblick in Sarrazins Welt bekommen hat als Güner Balci. Wenn sie von Szenen erzählt, die sie gedreht hat, möchte man den Film sofort sehen. Trotzdem haben der RBB und der WDR nun beschlossen, das Projekt abzusagen. Die Begründung: Weil Güner Balci auch einen zehn Minuten langen Beitrag für das ZDF-Magazin Aspekte gedreht hat, der in der vergangenen Woche ausgestrahlt wurde und heftige Reaktionen ausgelöst hat, sahen RBB und WDR die Exklusivität für ihre Sarrazin-Dokumentation bedroht.

Wem gehört Sarrazin?

Es geht also, wie gesagt, um die schlichte Frage: Gehört Sarrazin der ARD?

Güner Balci sagt, sie habe stets mit offenen Karten gespielt. Sie habe ihrer Produktionsfirma von dem ZDF-Angebot berichtet, einen Zehn-Minuten-Beitrag für Aspekte zu drehen über Sarrazin, wie er durch Kreuzberg spaziert. Die Firma sei nicht begeistert gewesen, habe aber gesagt, sie werde das dem RBB kommunizieren. Balci solle auf keinen Fall mit dem RBB selbst verhandeln. "Das war mein Fehler gewesen", sagt Güner Balci jetzt. "Dass ich nicht selbst die Verhandlungen mit dem RBB geführt habe."

RBB-Sprecher Justus Demmer argumentiert, Balci habe mit dem ZDF-Beitrag gegen "eindeutige schriftliche Absprachen" verstoßen. Der Beitrag sei vor der für September geplanten Ausstrahlung des Dokumentarfilms gesendet worden und weise "inhaltliche Dopplungen" mit bereits für den RBB gedrehten Szenen auf. Auch die öffentlichen Diskussionen um die Person Balci (ob also Sarrazins gefilmte Kreuzberg-Visite eine vermeidbare Provokation gewesen sei oder, wie Balci argumentiert, ein naheliegender Versuch, Sarrazin mit jenen Menschen in Kontakt zu bringen, über die er schreibt, die er aber nicht kennt), habe das Projekt "belastet". Von den "Belastungen", die die Produktionsfirma ausgelöst hat mit einer Notlüge, spricht der RBB allerdings nicht. Auch hat er es bis jetzt nicht für nötig gehalten, Güner Balci persönlich über das Ende der Zusammenarbeit zu unterrichten.

Offenbar um das Filmprojekt zu retten, hatten Mitarbeiter der Lona Media Produktionsfirma gegenüber dem Mit-Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, erklärt, die Filmbänder mit Interviews für die Sarrazin-Doku seien gestohlen worden, darunter auch ein Interview, das Balci mit Schirrmacher geführt habe, man müsse ihn daher noch einmal interviewen. Das Interview werde diesmal aber nicht von Balci geführt. Auf Nachfrage Schirrmachers, der am Donnerstag über die seltsamen Methoden der Produktionsfirma berichtete, musste Lona Media einräumen, es habe sich dabei um eine "Notlüge" gehandelt. Lona Media hat auch Sarrazin kontaktiert und gefragt, ob man ihn interviewen könne, jedoch ohne Balci als Autorin. Sarrazin aber steht für eine Dokumentation ohne Balci nicht zur Verfügung.

Die Frage bleibt, wie ein Zehn-Minuten-Beitrag das Ende bedeuten kann für eine 45-minütige Dokumentation, die einen Sarrazin gezeigt hätte, wie ihn kaum einer kennt. Die gezeigt hätte, wie einsam ein millionenfach verkaufter Bestseller einen Menschen machen kann.

Currywurst statt Döner

In Balcis Filmmaterial finden sich Szenen, die einen Sarrazin zeigen, der Misstrauen gegenüber Döner hegt, weil man nie wissen könne, was darin steckt (der sich aber gerne beim Currywurst-Essen auf seinem Golfplatz filmen lässt). Einen, der auf die Frage, ob er nicht auch mal Migranten loben könne, die etwas geleistet haben, sagt: "Selbstverständlichkeiten müssen nicht gelobt werden." Einen, der in Neukölln von Türken freundlich begrüßt wird und von zwei Kopftuchfrauen um ein gemeinsames Foto gebeten wird.

Einen Sarrazin, der so sehr mit seinen früheren Liebschaften prahlt, dass die Filmemacherin ihm sagt, das Prahlen sei jetzt aber sehr "orientalisch". Woraufhin Sarrazin (womöglich geschmeichelt) lächelt. Und sie zeigen schließlich auch einen Vater Sarrazin, der es vermeidet, über seinen psychisch kranken Sohn zu reden, der von Hartz IV lebt, und einen Bürger Sarrazin, der von Furcht erfüllt sein muss, wenn er im eigenen Auto durch Deutschland fährt und sagt: "Deutschland ist ein Paradies auf Erden, von Menschen geschaffen. Es kann auch von Menschen zerstört werden."

Güner Balci nippt an ihrem Tee und sagt: "Es hat mich viel Kraft gekostet, Sarrazin über Monate hinweg zu begleiten. Es wäre sehr schade, wenn der Film nicht ausgestrahlt werden würde."

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