Selbstinszenierung in Videos:"Ich bin in einer Scheune"

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Achtung auf die Details. Hat Meryl Streep alle ihre Oscars aus dem Regal geräumt? Außerdem: Michael Jordan, Jake Gyllenhaal und John Legend (im Uhrzeigersinn) mit Hintergrund.

(Foto: twitter.com/ratemyskyperoom)

Schauspieler, Sportler und Journalisten gewähren derzeit ungewohnte Einblicke in ihr Zuhause. Der Twitter-Account "Ratemyskyperoom" bewertet die Video-Inszenierungen- und das alles andere als gnädig.

Von Jürgen Schmieder

Niemand mag Angeber, deshalb ist die Frage: War es wirklich notwendig, dass Michael Jordan bei einem Interview, in dem es ohnehin einzig um die Großartigkeit des Basketballstars ging, all seine Trophäen im Hintergrund präsentierte? Oder muss die Pastorin Paula White (das ist die, die US-Präsident Donald Trump als "Gottgesandten" bezeichnet und seine Kritiker als Hexen, die vom "Blut Jesu gestürzt werden") tatsächlich gleich zwei Exemplare ihres Buches zeigen? Und warum muss Musiker John Legend vor unzähligen Awards hocken?

Es ist die Benimmfrage des Jahres, seit die Leute wegen Corona daheim bleiben sollen und deshalb einen Teil ihrer Arbeit per Videokonferenzen erledigen müssen: Wie präsentiere ich mich den Kollegen? Freunden? Der Öffentlichkeit bei Interviews? Vor einer neutralen Wand im Wohnzimmer? Vor einem gefüllten und gut sortierten Bücherregal, um auch richtig gebildet zu wirken? Vor einem verschwommenen Hintergrund, weil man zu faul zum Aufräumen ist? Mit den Kindern, damit auch ja alle merken, wie stressig das ist, wenn dauernd jemand was von einem will? "Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist", meinte Goethe. Heute gilt: "Zeige mir deinen Hintergrund, so sage ich dir, wer du bist."

Bei Twitter gibt es deshalb den Account @RateMySkypeRoom, der mittlerweile mehr als 120 000 Fans hat, und wie so viele grandiose Ideen der Menschheitsgeschichte entstand auch diese aus Quatsch. "Meine Freundin und ich haben oft die gleichen Sendungen geguckt, und dann haben wir uns über die Einrichtung der jeweiligen Wohnungen und Häuser unterhalten", sagt Claude Taylor am Telefon, der unter dem Namen RoomRater twittert. Er lebt in Washington, war Reisefotograf und, wie er selbst sagt, "ein kleines Licht" im Stab des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton. Seit 2017 leitet er die Firma Mad Dog Pac, die politisch motivierte Plakatwände zum Beispiel gegen die Waffenlobby NRA erstellt: "Es kann schon sein, dass meine Bewertungen der Einrichtungen deshalb ein bisschen subjektiv sind."

Tatsächlich kommen gerade konservative Politiker wie Ted Cruz und Mike Pence sowie Leute vom Sender Fox News nicht besonders gut weg. Vor allem aber sind die Bewertungen urkomisch - schon allein durch das Vorzeigen der oft ziemlich schrägen Bilder, aber auch deshalb, weil die Bewerteten mittlerweile darauf reagieren. Der berühmte Filmemacher Ken Burns zum Beispiel bekam neun von zehn Punkten, weil er sich offenbar auf dem Dachboden seines Hauses positionierte. "Ich bin in einer Scheune", schrieb Burns zurück und forderte einen Extrapunkt. "Wir beraten darüber", sagt Taylor, der sich zudem ein kleines Duell mit dem Journalisten John Heileman über die Frage liefert, welche Früchte der als Nächstes in die Schüssel auf dem Küchentisch legen wird.

Wer sich direkt vor eine Wand setzt, sieht aus, als sei er entführt worden

Man sieht ja tatsächlich allerhand, wenn man sich mal wirklich nur auf die Hintergründe dieser Leute konzentriert, die da einen kleinen Einblick in ihre privaten Räume gewähren. Es sind vor allem die kleinen Details: die Voodoo-Puppe hinter dem einstigen Basketballprofi Bill Wennington, das Klopapier im Bücherregal des Football-Experten Jim Gray, der Kuchen neben dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Oder natürlich die psychedelische Tapete von Professorin Gigi Gronvall, die aussieht wie auf einem LSD-Trip beim Musikfestival 1969 in Woodstock entworfen. "Ich glaube, dass es tatsächlich etwas über die Persönlichkeit aussagt. Jeder kann ja bewusst wählen, was er den Zuschauern zeigen will", sagt Taylor.

Ein kleiner Tipp der Jury, die aus Taylor und seiner Freundin ("Sie ist Kanadierin, deshalb sind ihre Bewertungen immer ein bisschen positiver.") besteht: nicht direkt vor eine Wand setzen, wie es Filmemacher Michael Moore, Politikerin Tammy Baldwin oder Unternehmer John Schnatter tun und deshalb aussehen, als wären sie entführt worden. Lieber Raum hinter sich lassen - und den so füllen, wie man gerne gesehen werden möchte. Das kann ein Regal mit den Lieblingsbüchern sein (keine, die man selbst geschrieben hat!), ein Gemälde oder auch der Ausblick auf den Garten.

RateMySkypeRoom ist ein Spaß-Account - gnädig ist Taylor deshalb lange nicht

Ebenfalls eher verpönt: Bilder von sich selbst mit Promis. "Es gibt in Washington diese Tradition, Fotos mit Leuten zu machen, für die man mal gearbeitet hat - und die stellt man dann aus", sagt Taylor: "Die sogenannte Vanity Wall ist das 'Name Dropping' dieser Pandemie-Zimmer." Noch ein Tipp: sich nicht selbst zum Zentrum des Bildes zu machen, lieber seitlich positionieren und mit Winkeln spielen.

RateMySkypeRoom ist ein Spaß-Account, gewiss. Doch wer glaubt, dass Taylor ein gnädiger Richter ist, der irrt gewaltig. Eine Legende des Videotelefonie-Hintergrunds ist der Professor Robert Kelly, der im März 2017 dem Sender BBC World News ein Interview aus dem Home-Office zur Lage in Südkorea gab: Zuerst wackelt darin seine vier Jahre alte Tochter ins Zimmer, dann kommt der neun Monate alte Sohn im Lauflernwagen hinterher - es folgt Ehefrau Jung-a Kim, die panisch ins Zimmer eilt, die Kinder holt und halb liegend die Tür schließt. Es ist ein wahnsinnig komisches Video, das Urteil von Taylor allerdings: nur acht von zehn Punkten - auch deshalb, weil Kelly hinter sich einfach ein paar Bücher aufs Bett gelegt hatte.

Jeder hat die Chance, sich zu rehabilitieren, und das wird dann auch gewürdigt. Ein paar Tage nach dem Twitter-Eintrag bei RateMySkypeRoom ist Michael Jordan wieder zu sehen, und es ist perfekt: viel Raum dahinter, gut ausgeleuchtet, schöner Winkel - und keine einzige Trophäe.

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