Von Donnerstag an wird auf den Philippinen ein neuer Präsident regieren, der einen alten Namen trägt: Ferdinand Marcos jr., genannt Bongbong - Sohn des früheren Diktators Ferdinand Marcos. Für Maria Ressas Investigativplattform Rappler wird die Arbeit aber nicht vorbei sein. Im Gegenteil. Am Mittwoch verkündete die Wertpapier- und Börsenkommission der Philippinen (SEC) eine Anordnung, die sie erstmals im Januar 2018 erlassen hatte: Rappler soll schließen. Wegen eines Verstoßes gegen die Beschränkung des ausländischen Eigentums an Medienunternehmen. Der Verstoß war bereits korrigiert, die Sache zurückverwiesen worden.
Wieso diese erneute Attacke ausgerechnet am letzten Amtstag von Präsident Rodrigo Duterte kommt? Ist das ein finaler Schlag gegen seine Erzrivalin? "Ich kann keine Gedanken lesen", sagt Maria Ressa bei einer virtuellen Pressekonferenz am Mittwoch dazu. Rappler-Anwalt Francis Lim ergänzt, dass er die SEC um eine erneute Prüfung bitten werde. "Es ist nicht das Ende der Welt für uns", so Lim. Doch dann sagt Ressa: "Es ist wie Treibsand, wenn man sich nicht mehr auf das Recht verlassen kann." Für ihren Mut, sich mit der Duterte-Administration anzulegen, hat die 58-Jährige vergangenes Jahr den Nobelpreis gewonnen.
Duterte war vor allem über einen Artikel erbost, in dem der Rappler seinen engsten Mitarbeiter der Korruption bei einem Beschaffungsgeschäft mit der Marine beschuldigt hatte. Duterte bezeichnete das Magazin fortan als "Fake News Outlet" und schloss dessen Reporter eine Zeit lang von seinen Pressekonferenzen aus. Auch der zukünftige Präsident, Ferdinand Marcos Jr., regte sich auf, weil der Rappler selbstverständlich über die Geschäfte seiner Familie berichtete, die das Land ausgeplündert und damit einen wirkungsvollen Wahlkampf finanziert hat, vor allem in den sozialen Medien.
"Wir müssen den Philippinos erklären, dass die Technik, die sie täglich benutzen, um Nachrichten zu lesen, voreingenommen gegen Fakten und Journalismus ist", sagt Maria Ressa. "Was sich tatsächlich verbreitet, sind Ärger, Hass und Verschwörungstheorien." Facebook und Youtube sind die dominanten Nachrichtenkanäle auf den Philippinen, wo die tägliche Bildschirmverweildauer obendrein weltweit am höchsten liegt. Facebook hatte auf den Philippinen unter anderem den Rappler engagiert, um Fakten-Checks für zweifelhafte Meldungen durchzuführen.
Ressa will, dass Duterte zur Rechenschaft gezogen wird - und auch Facebook
Die sogenannte Troll-Army, die den Marcos-Wahlkampf in den sozialen Medien befeuerte, griff auch Maria Ressa persönlich an. "Informelle Kriegsführung wird hier gegen einzelne Journalisten eingesetzt", sagt Ressa. Eine halbe Millionen Attacken habe es gegen sie auf Social Media gegeben. "60 Prozent davon zielten darauf ab, meine Reputation zu zerstören. 40 Prozent sollten mich persönlich kleinmachen." Dabei war Ressa bereits über 50, als dieser Sturm losbrach. Wie sollen sich junge Journalisten in ihrem Land so etwas aussetzen, ohne durchzudrehen? Sie möchte nicht nur erreichen, dass Rodrigo Duterte nach seiner Amtszeit endlich zur Rechenschaft gezogen wird - sondern auch Facebook und Mark Zuckerberg. "Denn sie verändern die Gesellschaft, sie verändern die Menschheit. Unsere Kultur, unsere Handlungen in der echten Welt."
Unter Rodrigo Duterte wurden zehn Verfahren gegen Ressa und acht Verfahren gegen Rappler eingeleitet, alle mit dem Ziel, die Website zu schließen. Abgesehen von dem aktuellen SEC-Beschluss sind Ressa und ihr Magazin derzeit mit fünf Fällen von Steuerhinterziehung konfrontiert, in einem Fall werden sie beschuldigt, gegen ein Strohmann-Gesetz verstoßen zu haben, und in einem weiteren Fall geht es um Cyber-Kriminalität. Die jüngste Drohung, Rappler zu schließen, kam nur wenige Tage, nachdem die Internet-Regulierungsbehörde zwei weitere Nachrichten-Websites gesperrt hat, die vom Militär beschuldigt werden, kommunistische Propaganda verbreitet zu haben. Sie hatten vor allem über Gewerkschaften und Bauerngruppen berichtet.
Die philippinische "Commission on Human Rights" untersucht Tausende Fälle von Gewalt und Übergriffen aus der Duterte-Zeit, auch gegen Journalisten. "Die meisten haben nur die Regierung kritisiert und werden dafür als kommunistische Terroristen gebrandmarkt. Das ist in diesen Zeiten gefährlich", sagt Menschenrechtsanwältin Jacqueline Ann de Guia. Die Medien waren unter der Präsidentschaft Dutertes stark unter Druck geraten. Während seiner Amtszeit wurde dem größten Fernsehsender des Landes, ABS-CBN, die Lizenz entzogen, auch ein Grund für die Nachrichtendominanz der Social-Media-Kanäle. Medien und Aktivisten, die seine Regierung kritisch unter die Lupe nahmen oder Duterte missfielen, wurden regelrecht gejagt, meistens unter Vorwänden. Es entstanden vor allem in den sozialen Medien parallele Welten, deren Einwohner überzeugt sind, das Richtige zu wissen und zu tun. "Aber wir müssen weiter in der echten Welt arbeiten. Zugang verlangen, berichten, vor Gericht gehen", sagt Maria Ressa.
"Wir können nur hoffen, dass es besser wird", sagt Maria Ressa am Mittwoch
Und: "Es gibt ein existentielles Gefecht um die Fakten." Was könnte bei dieser Schlacht helfen? "Unity zum Beispiel", sagt Ressa und lacht. Die "Unity" - die Einheit des Landes, das war quasi die einzige Wahlbotschaft von Marcos jr. und seiner Vize-Präsidentin Sara Duterte-Carpio, der Tochter von Rodrigo Duterte. Aber Maria Ressa meint natürlich den Zusammenhalt unter Journalisten. Gerade jetzt, wenn die neue Regierung antritt.
Ferdinand Marcos jr., so seltsam sich das anhört, wenn man sich an die Gewaltherrschaft seines Vaters erinnert, wurde demokratisch gewählt, es liegen keine Hinweise auf Wahlmanipulation vor. Die letzten Einsprüche, die ihn wegen Steuerbetrugs disqualifizieren sollten, wurden vor Gericht abgewiesen. Er und seine Familie wollen den Ruf der Marcos wieder herstellen und werden sich anschließend wohl daran machen, die jüngere Geschichte der Philippinen umzuschreiben. Und außer dem Rappler gibt es nicht mehr viele Nachrichtenkanäle, die kritisch darüber berichten werden. Daher vielleicht die Attacke.
Immerhin, es gibt ein paar politische Beobachter, die sich vorstellen können, dass es unter Marcos jr. ein wenig besser wird als unter Duterte. Zumindest hat Marcos sich nicht mit dem Image des harten Kerls an die Macht gebracht, der persönlich Drogenhändler jagt. Er hat genau genommen so wenig Politisches gesagt, dass niemand so recht weiß, was kommt. "Wir können nur hoffen, dass es besser wird", sagt Maria Ressa am Mittwoch. "Und so wie es aussieht, müsste die neue Regierung eigentlich beweisen wollen, dass sie für eine bessere Zukunft der Philippinen arbeiten will. Und dafür stehen wir bereit."