Ein Dokumentarfilm von Julia Albrecht. Das ist erst einmal kaum mehr als eine Zuschreibung von Urheberschaft. Der Film beginnt mit dem Bild des am 30. Juli 1977 von der RAF ermordeten Vorstandssprechers der Dresdner Bank, Jürgen Ponto.
Eine Doku also über den Terror in Deutschland. Denkt man. Dann benennt eine ruhige Frauenstimme auch die historischen Fakten und ergänzt: "Meine Schwester Susanne war eine der Täterinnen." Und weiter: "Jürgen Ponto und mein Vater waren seit Jahrzehnten engste Freunde."
Der Film ist da noch keine Minute alt, schon hat er die Schiene einer klassischen historischen Reportage verlassen, wird zum Bericht einer Aufarbeitung.
Julia Albrecht hat filmisch darzulegen versucht, wie ihre Familie und die Pontos mit dem absoluten Vertrauensbruch, dem tödlichen Verrat ihrer älteren Schwester umgegangen sind.
Einer Schwester, die zum engeren Zirkel der RAF gehörte. Die auch an einem Anschlag auf den Nato-Oberbefehlshaber Haig beteiligt war, nach dem Ponto-Mord in den Jemen und nach dem Haig-Attentat in die DDR abtauchte, dort unter anderem Namen eine neue Existenz aufbaute, nach dem Mauerfall enttarnt wurde und wegen des Mordes an Ponto verurteilt wurde.
"Alles daran war unvorstellbar"
Da sie geständig war, kam sie 1996 auf Bewährung frei. Auch Susanne Albrecht hätte also im Film ihrer Schwester auftreten können. Das geschieht nicht. Sie spreche nicht mehr darüber, und im "Privaten sind alle Versuche kläglich gescheitert", sagt Julia, die ihre große Schwester verehrt hat - und von ihr völlig vergessen wurde.
Der Film rückt diese Familie ins Zentrum, die seit dem Mord an Ponto, Julias Patenonkel, im Schatten der Schreckenstat steht, fast daran zerbricht, davon wie in Geiselhaft genommen ist - und seit fast vierzig Jahren damit beauftragt, das Geschehene zu bewältigen.
"Es war ja alles, von A bis Z, daran unvorstellbar", sagt Christa, die Mutter, die fast bohrend von der Tochter, zur Zeit der Tat 13 Jahre alt, danach befragt wird, wie es zu dem Abgleiten ihrer älteren Schwester aus besten Hamburger Verhältnissen in den Terror kommen konnte, was dann geschah zwischen den Familien.
"Jahrelang", sagt Julia, "fühlte es sich so an, als hätten auch wir uns schuldig gemacht." Das alles ist erschütternd, vor allem: in der schonungslosen Aufrichtigkeit, in der Mutter Albrecht und auch Bruder Matthias "die Tat" beschreiben, die ihrer aller Leben seither geprägt, fremdbestimmt hat.
Private Schnappschüsse, um den Abgrund zu illustrieren
Sie hatten ja nicht nur mit den Konsequenzen dieses Anschlags für sich selber zu kämpfen - "Mördermutter", haben anonyme Anrufer Christa Albrecht genannt; die Familie hatte auch die nahe Freundschaft zu den Pontos verloren - und Susanne, von der man ja 13 Jahre lang nicht wusste, ob sie überhaupt noch lebt.
Julia Albrecht mischt in die alten Bilder des deutschen Fernsehens zu der Mordtat auch private Schnappschüsse und Super-8-Sequenzen aus dem Hause Albrecht, um alles plastischer zu machen.
Einerseits. Andererseits aber auch, um die Diskrepanz zwischen familiärem Wohlsein - man spielte Tennis und Polo, grillte im Garten, schwamm im eigenen Pool - und der Radikalität des terroristischen Verbrechens zu verdeutlichen, kurz: um den Abgrund zu illustrieren, der sich mit dem Mord aufgetan hatte.
Nach einer Dreiviertelstunde sagt Matthias, dass auch er sich als Opfer empfunden habe, als "Opfer zweiter Klasse". Das versteht man, der Film drückt nicht auf die Tränendrüse, um Empathie für diese Wahrnehmung auszulösen. Und doch wohnt der Zuschauer gewissermaßen auch familientherapeutischen Angängen bei, die nicht mehr nah an die Untat, aber sehr, sehr nah an die Familie einer ehemaligen Terroristin führen. Auch dieser Film kann in Geiselhaft nehmen.
Die Folgen der Tat , ARD, 22.45 Uhr.