Süddeutsche Zeitung

Radio Wuppertal:Nach Sendeschluss

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Als die Sendezeit am Abend längst vorbei ist, legt Radio Wuppertal während des Hochwassers eine komplette Nachtschicht ein. Ein Beweis dafür, was Lokaljournalismus leisten kann.

Von Lena Reuters

Das größte Plus, das Lokalredaktionen gern zugesprochen wird, ist, dass sie nah dran seien. Der größte Kritikpunkt an Lokalredaktionen ist, dass sie zu nah dran seien. Chefredakteur Georg Rose vom Radio Wuppertal sagt, er möchte bewusst eine gewisse Distanz wahren, um dann, wenn es nötig ist, klare Worte sprechen zu können. Dreimal fragte man ihn an, einem Service-Club beizutreten. "Da würde ich wahrscheinlich gut Themen kriegen, ich würde mir aber Handschellen anlegen, weil ich dann manche Leute zu gut kenne."

Wenn der WDR mit seinen toll ausgestatteten Ü-Wagen vorfährt, schauen er und seine Reporter nur staunend, sagt Rose. Letztendlich seien die aber nicht so lokal verankert und nicht so flexibel. "Wenn ich entscheide, wir machen jetzt eine Sondersendung, bin ich darauf angewiesen, dass meine Leute mitspielen, aber ich muss niemanden über mir fragen." Ihre Flexibilität zahlte sich während des Hochwassers aus. Radio Wuppertal bewies mit enormem Einsatz: Lokaljournalismus hat auch in der Krise große Stärken.

Am Mittwochabend verabschiedet sich das Team nach den Lokalnachrichten um halb acht in den Feierabend. Kurze Zeit später alarmiert Rose die Redaktion nach einem Anruf aus dem Rathaus: Die Talsperren sind vollgelaufen, die Wupper tritt über die Ufer. Zu acht bereiten sie eine Sondersendung vor. Das Morgenteam Jens und Jasmin kehrt zurück ins Studio, Rose übernimmt die Koordination, das Nachrichtenteam liefert aktuelle Informationen von zu Hause. Drei Personen sind draußen im Einsatz, holen Stimmen ein.

Tausende Nachrichten laufen auf dem Whatsapp-Kanal ein, sonst sind es 150.

Auf dem Whatsapp-Kanal, wo sonst 150 Nachrichten am Tag eintrudeln, laufen Tausende Mitteilungen auf. Das erklärt sich die Redaktion auch mit einem Vertrauensvorschuss aus der Region. "Wir haben uns in Wuppertal ein gutes Standing aufgebaut, vielleicht auch deswegen, weil wir den ein oder anderen Korruptionsskandal in der Stadtverwaltung aufgedeckt haben", sagt Rose.

Zwei bis drei Stunden wollen sie informieren. Danach geht's ins Bett, das ist zunächst geplant. Als die Feuerwehr erklärt, es sei ein Hochwasser, wie es das seit 500 Jahren nicht mehr gegeben habe, werden die Ausmaße klar. Und Radio Wuppertal bleibt auf Sendung. "Man erwartet das von Privatsendern nicht. Aber wir sind kein Dudel-Radio. Wir sind Journalistinnen und Journalisten, keine DJs. Wir verstehen unser Handwerk", sagt Rose.

Ab drei Uhr früh ist der Strom aus. Das Funkhaus ist nur noch über UKW zu empfangen. Sie schalten das Licht aus. Alles, was unnötig Strom zieht, ist ausgesteckt. Ein Mischpult, zwei Rechner und das Sendestudio - mehr ist nicht in Betrieb. Um fünf Uhr morgens kommt es zum absoluten Gau im alten Fabrikgebäude an der Wupper. Das Notstromaggregat ist aufgebraucht. Die Redaktion von Radio Wuppertal muss sich nach stundenlanger Sondersendung geschlagen geben - zumindest bis 11.30 Uhr, als die Stadt den Strom wieder anschließt.

Die Wuppertaler und ihr Radio wurden Mittwochnacht vom Hochwasser überrascht. Um 19.10 Uhr hatte der Wupperverband mitgeteilt, dass ein kritischer Pegel nicht erreicht würde. Rose und sein Team recherchieren nun, wie es zu so einer falschen Prognose kam.

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