Radio:Theater unserer Zeit

In einer Stadt in Thüringen kommen Flüchtlinge an, im örtlichen Theater ist der Hauptdarsteller aus Kamerun und ein Bürgerbund agitiert gegen beides: Paul Plamper inszeniert mit "Altenburg" eine deutsche Identitätssuche - mit tollen Schauspielern.

Von Stefan Fischer

Der Autor und Regisseur Paul Plamper lauscht seine Hörspiele stets der Wirklichkeit ab. Er ist dabei so präzise, dass seinen fiktionalen Verdichtungen immer eine gehaltvolle Gegenwartskritik innewohnt - und eine bewundernswerte Leichtigkeit. So auch in seiner neuen Produktion Der Absprung, von der eine 20-Kanal-Audio-Installation bereits im Residenzschloss Altenburg sowie bei den Hörspieltagen in Karlsruhe live aufgeführt worden ist und deren Sendefassung nun der WDR ausstrahlt.

Die Stadt Altenburg in Thüringen liefert den Stoff. Bei Plamper heißt sie Leerstadt: Das verweist auf den Rückgang der Bevölkerung, aber vor allem auf die vielen Lücken in der Identität. Wie die aufzufüllen sind, daran entbrennt ein exemplarischer Streit in der derzeit überwölbenden politischen und gesellschaftlichen Debatte.

In Leerstadt werden Flüchtlinge einquartiert - die Landrätin sieht darin eine Investition in die Zukunft, weil unter den Fremden viele Heranwachsende sind. Parallel probt am Theater der Stadt ein multinationales Ensemble Der Hauptmann von Köpenick mit einem Hauptdarsteller aus Kamerun. Diese Gemengelage spaltet die Bevölkerung, der Bürgerbund agitiert gegen die Flüchtlinge und das Theater, er ruft zu einem Boykott der Bühne auf.

All das hat sich so ähnlich im Jahr 2015 in Altenburg zugetragen. Paul Plamper hat das genau recherchiert, er hat die Altenburger eingebunden - und sein Hörspiel vor Ort aufgenommen. Mit tollen Schauspielern: Fabian Hinrichs spielt den Demagogen, Peter Kurth den Bürgermeister, Carl Hegemann den Theaterdirektor, Richard Djif den Schauspieler. Dana Weber aus dem örtlichen Laienensemble ist als Landrätin zu hören.

Der Absprung ist trotz der Arbeitsweise kein Dokumentar-Hörspiel und schon gar kein Feature. Sondern eine Interpretation der Realität mit den Mitteln der Kunst - ohne dabei artifiziell zu werden. Beachtlich ist auch hier, wie austariert der Raumklang bei Plamper ist. Und wie er Meinungen, Strömungen und die Dynamik eines Diskurses vor einem entspinnt. Nicht mithilfe einer vereinfachenden Schwarz-Weiß-Zeichnung, sondern indem er die Komplexität begreifbar ausstellt. Mit Figuren, die differenzieren. Und mit solchen, die das nicht tun. Vor allem auf linksliberaler Seite. So führt Der Absprung nicht zuletzt vor Ohren, wie man rechte Demagogen stärkt, obwohl man eigentlich das Gegenteil erreichen will.

Der Absprung, WDR 3, Samstag, 19.04 Uhr.

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