Süddeutsche Zeitung

Radio:Schleichwege eines Scharlatans

Ein akustischer Irrgarten, in dem man sich als Zuhörer gern verläuft: Der Schriftsteller Frank Witzel hat für den Bayerischen Rundfunk eine großartig besetzte Hörspiel-Serie geschrieben.

Von Stefan Fischer

Einen Vornamen hat dieser Stahnke nicht. Dafür drei Bewusstseinsebenen: Martin Feifel spielt die reale Hauptfigur in Frank Witzels Hörspiel-Serie Stahnke, Götz Schulte dessen Über- und Oliver Nägele dessen Unter-Ich. Stahnke hat eine Menge darzustellen in der vielgestaltigen Geschichte: In dem Maße, wie sein Leben zerbröselt, löst sich auch die deutsche Provinz auf. Woran er wiederum Anteil hat. Zudem verleugnet Stahnke sich, sein Handeln, seine Verantwortung. Wie auch gesamtgesellschaftlich oft genug die Augen vor unangenehmen Wahrheiten verschlossen werden. Wobei das mit der Wahrheit so eine Sache ist. Stahnkes Realität entlarvt sich mehr und mehr als Illusion. Das gipfelt in der vorletzten der 15 Folgen in der grotesk-komischen Imagination eines Jüngsten Gerichts. Zwischendurch verschwindet Stahnke sogar aus dem Hörspiel.

Hebbelsfurt, Bad Gammerstätt, Molksbühl, Diemelsbach, Tiefenroda - so heißen all die Orte, durch die er tingelt im Auftrag einer Firma, die diesen Gemeinden Bauprojekte aufschwatzt. Die siechende Provinz, so das Versprechen, werde dadurch wieder erblühen. In Wahrheit beschleunigen die blödsinnigen Investitionen, beispielsweise in einen Konzertsaal, nur den Bankrott.

Stahnke ist ein Menschenfänger. Selbst ist er kaum zu fassen. Das ist - neben dem hellsichtigen Deutschlandporträt und einer klugen Kapitalismuskritik - die dritte spannende Ebene der Hörspiel-Serie, die Frank Witzel mit dem Regisseur Leonhard Koppelmann original fürs Radio entwickelt hat. Stahnkes Freundin, seine Ex-Frau, seine Chefin, ein Kommissar, ein Gericht und etliche Betrogene und Belogene mehr mühen sich über 15 Folgen hinweg, diesen Mann zu begreifen. Er, stenzhaft und zugleich zutiefst verloren, hat jedoch selbst schon keinen Bezug mehr zu sich.

Die Serie ist toll besetzt, unter anderem mit Jutta Speidel, Rita Russek, Wiebke Puls, Nicole Heesters, Axel Milberg, Steven Scharf, Fabian Hinrichs und Helmfried von Lüttichau. Und sie traut sich etwas: Widersprüchlich zu sein beispielsweise, mysteriös und nicht immer gleich zu durchschauen. Witzel und Koppelmann haben mit Stahnke einen akustischen Irrgarten errichtet. Es macht Spaß, sich als Hörer darin zu verlaufen.

Stahnke, Bayern 2, sonntags, 15.05 Uhr. Ab 26.10. steht die Serie als Podcast zur Verfügung, unter anderem auf hörspielpool.de.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2018
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