Süddeutsche Zeitung

Radio:Riesenzeit

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Das deutsche Hörspiel ist mit Produktionen wie "Der nasse Fisch" enorm erfolgreich. Doch jenseits solcher Prestigeprojekte verschwindet in der ARD gerade das, was Radio zum Ort der Kunst gemacht hat.

Von Stefan Fischer

Das Hörspiel ist bedroht, so stark wie wohl noch nie. In seiner Qualität und in seiner weltweit einmaligen Vielfalt. In seiner Existenz, jedenfalls als ernstzunehmende Kunstform.

Das mag unglaubwürdig klingen, da das reichhaltige und bei Hörern beliebte Genre durch den Erfolg von Podcast-Serien gerade jetzt einen weiteren Schub erhält: Produktionen wie Der nasse Fisch und Unterleuten erfahren hohe mediale Aufmerksamkeit, das in Abrufzahlen messbare Publikum (nicht nur dieser Prestigeprojekte) ist erfreulich groß, zudem erweitern die Serien das stilistische Repertoire.

Wenn sich die Szene also von diesem Mittwoch an in Karlsruhe zu den ARD-Hörspieltagen trifft, die immer auch eine Art Leistungsschau sind, kann sie ihr Schaffen insofern durchaus stolz vorführen.

Doch der Erfolg blendet auch. Insbesondere der von Radioserien. Intendanten und Hörfunkdirektoren sprechen von ihnen gerne als von Leuchtturmprojekten und sonnen sich in deren Lichtkegeln. Ein Leuchtturm aber muss, soll er dauerhaft den Weg weisen, auf einem soliden Fundament stehen. Doch diese Fundamente werden gerade massiv unterspült: Budgets werden gekürzt, Stellen nicht oder nur zögerlich wiederbesetzt und Sendeplätze gestrichen - mehr oder weniger quer durch alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. So hat zuletzt MDR Kultur seinen Hörspieltermin am frühen Sonntagabend verloren, der WDR hat seine renommierte Marke Studio Akustische Kunst abgeschafft, SWR 2 strahlt auf dem Tandem-Platz dienstagabends keine Hörspiele mehr aus. Auch hat beim SWR die Akustische Kunst kein eigenes Budget mehr - der Sendeplatz immerhin bleibt erhalten; dank finanzieller Umschichtungen kann auf niedrigerem Niveau weiter produziert werden. Der Saarländische Rundfunk (SR) kann nach erneuten Etatkürzungen nur noch vier statt sechs Hörspiele pro Jahr inszenieren. All das führt dazu, dass immer weniger Menschen von ihrer Mitwirkung existieren können, sich das Genre auf vielen Ebenen, bei den Autoren, Regisseuren, Sprechern, entprofessionalisiert.

Überdies verabschiedet sich gerade eine halbe Dramaturgen-Generation in den Ruhestand. Nicht überall gibt es Nachfolgeregelungen. Der Bayerische Rundfunk (BR) hat die Stelle von Herbert Kapfer gestrichen. Der war elf Jahre Leiter der Hörspielredaktion, die nun in einer neuen Redaktion Hörspiel, Dokumentation und Medienkunst aufgegangen ist - mit nur noch einer Redakteursstelle fürs Hörspiel. Das klingt harmlos, tatsächlich jedoch gehen Institutionen verloren, an deren Stelle Einzelkämpfer und Kurzzeitlösungen treten. Krimis betreut bei Deutschlandfunk Kultur anstelle eines Redakteurs ein freier Mitarbeiter mit befristetem Vertrag, Jakob Schumann. Weitere Stellen bei DLF Kultur, aber auch beim MDR und SR werden bald vakant. Die Angst, dass sie wegfallen, ist spürbar in den Redaktionen und bei ihren Partnern, den Regisseuren und Autoren. Beim Hessischen Rundfunk (HR) ist die Hörspielredaktion derzeit sogar nur provisorisch besetzt: Nachdem Ursula Ruppel und Peter Liermann knapp hintereinander gegangen sind, hat man das Hörspiel vorübergehend der bisherigen Leiterin des Besetzungsbüros, Cordula Huth, und dem Regisseur Leonhard Koppelmann anvertraut.

Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass künftig nur noch die großen Anstalten Hörspiele produzieren

Nicht nur der zunehmende Mangel an Geld führt zu dieser Nicht-Personalpolitik, sondern auch die Unsicherheit darüber, wie es weitergeht. Womöglich führt die Strukturdebatte, die der ARD aufgenötigt worden ist, damit der Rundfunkbeitrag nicht weiter steigt, zum Ergebnis, dass nur noch die vier großen Anstalten WDR, SWR, NDR und BR Hörspiele produzieren sollen. Das Gerücht hält sich hartnäckig. Beschlossen ist aber offenbar noch nichts.

Gleichzeitig ist eine gewollte Popularisierung zu beobachten: Der nasse Fisch - das Pendant zum Fernsehereignis Babylon Berlin - basiert auf einem Beschluss der Hörfunkdirektoren, angeleitet von Jan Weyrauch (Radio Bremen). Das Motiv liegt erkennbar nicht in einer inhaltlichen und ästhetischen Notwendigkeit, sondern in einem Aufmerksamkeits-Kalkül. Beim HR hat Weyrauchs Amtskollege Heinz Sommer Max Frischs Homo Faber als Sechsteiler produzieren lassen - die Hörspielfassung stammt von ihm selbst. Hier ein mittelmäßiger Krimi, dort die ausgedeutete Schullektüre. Dazu mit Juli Zehs Unterleuten (RBB, NDR) eine Bestseller-Adaption, mit Hilary Mantels Brüder (WDR) ebenfalls ein literarisch bewährter Stoff. Frank Witzels Serie Stahnke (BR), originär fürs Radio konzipiert, ist die Ausnahme. Früher war es die Regel, dass Literaten fürs Medium gearbeitet haben: Günter Eich, Ingeborg Bachmann, Helmut Heißenbüttel .

.. Gegen etliche aktuelle Adaptionen ist wenig einzuwenden, manche sind überaus gelungen. Gefährlich ist, dass sie in den Sendern (jenseits der Hörspiel-Redaktionen) oft als Non-Plus-Ultra angesehen werden. Schließlich zeigen sie, dass das Radio den Serien- und den Podcastboom nicht verschlafen hat. Und dass das Radio auch mit den teuren Hörspielen Quote macht.

So entsteht eine Schieflage mit immer mehr Riesen-Hörspielen bei gleichzeitigem Rückgang des Produktionsvolumens. Auf der Strecke bleiben Originalstoffe. Bleiben Hörspiele, die nicht 150 000 Mal heruntergeladen werden. Bleibt das Experiment, das schwieriger Zugängliche und Vermarktbare, bleibt zusehends das künstlerische Hörspiel. Der Rundfunk hat einen Auftrag als Kulturproduzent - der erschöpft sich zunehmend in Zweitverwertungen. Redakteure und Regisseure befürchten, dass künftig vor allem das Erfolgsmodell der Gegenwart reproduziert werden soll. Das Hörspiel lebt aber davon, sich inhaltlich, formal und ästhetisch immer wieder zu erneuern. Dafür braucht es, das hört man in allen Gesprächen, einen Humus, eine Struktur, in der verschiedene Schulen gepflegt werden und Redaktionen ein Netzwerk aus Autoren, Regisseuren, Komponisten pflegen können. Diese professionellen Zusammenhänge lösen sich gerade auf.

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Quelle:
SZ vom 07.11.2018
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