Süddeutsche Zeitung

Radio:Immer 3. Klasse

Nach dem Ersten Weltkrieg hat Andreas Thom den Roman "Ambros Maria Baal" verfasst. Der Protagonist: ein dekadenter Banker-Sohn. Ulrich Gerhardt hat für den BR daraus ein starkes Hörspiel gemacht.

Von Stefan Fischer

Der Erste Weltkrieg ist zu Ende, seine Erschütterungen sind noch nicht verebbt. Da schreibt Andreas Thom den expressionistischen Roman Ambros Maria Baal. Und erschafft mit der Titelfigur einen Prototyp des dekadenten negativen Helden, wie er sich in der Literatur des 20. Jahrhunderts zu der Zeit etabliert. Dieser Baal hat nicht zuletzt auch Bertolt Brechts gleichnamiges Theaterstück beeinflusst. Ulrich Gerhardt, inzwischen 82 Jahre alt, hat Thoms Roman nun souverän als Hörspiel inszeniert - mit einem einzigen Sprecher, dem wunderbaren Wolfram Berger, um den reduzierten, knappen Ton des Romans zu erhalten.

Dieser Baal ist der Sohn eines reichen Bankiers, mit dem er im Streit lebt. Denn von der Pflichtversessenheit seines Vaters hat er nichts. Er selbst ist dekadent und größenwahnsinnig. "Ich bin der beste Darsteller des Menschlichen. Ich bin die Skizze aller Möglichkeiten, und mir allein bleibt überlassen, welche ich ergreife", so redet Baal sich stark. Letztlich ergreift er keine der Optionen. Wobei er durchaus wagemutig ist, lässt er sich doch auf eine Ehe ein mit "der interessantesten Frau und dem modernsten Weib". Der er nicht Herr wird und deren Lachen ihn irgendwann steinigt. Wie sagt er selbst so treffend: "Das Leben fährt immer 3. Klasse, nur die Menschen sitzen im Luxuswagen." Auch Baal lebt über seine Verhältnisse, nicht nur im materiellen Sinn.

Baal , Bayern 2, 21.05 Uhr.

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SZ vom 05.08.2016
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