Radio:Gleich knallt's

Ganz kurz bevor der ausfahrende Zug explodiert, hat sich die Kellnerin verliebt: Ein Hörspiel über die Sekunden vor einer Katastrophe.

Von Stefan Fischer

Um fünf vor zwölf ist es höchste Zeit. Aber es ist eben noch Zeit. Um das Ruder herumzureißen, eine Vollbremsung hinzulegen oder endlich Gas zu geben. Bei Roland Schimmelpfennig jedoch ist bereits um fünf vor neun alles zu spät. Da explodiert ein ausfahrender Zug. In 100 Songs beschreibt Schimmelpfennig nicht den Moment der Katastrophe, sondern die Sekunden davor. In Miniaturen erzählt er, was Passagiere und Passanten sowie eine Kellnerin des Bahnhofs-Cafés um 8.53 Uhr tun, was um 8.54 Uhr.

Noch ehe das Stück auf der Bühne des Länsteater Örebro in Schweden uraufgeführt wird, hat Leonhard Koppelmann die postdramatische Szenenfolge fürs Radio inszeniert. Acht Schauspieler, darunter Boris Aljinovic und Svenja Liesau, legen Spuren in den deutschen Alltag, der sich für die Figuren in diesem Moment zuspitzt. Nicht in der Explosion, sondern in einer Begegnung oder Begebenheit, für die Kellnerin sogar im Verlieben. Weil besondere Momente oft mit besonderen Liedern verknüpft sind, funktioniert das Hörspiel auch über die gesungene, gepfiffene, gesummte Musik - die (nicht ganz) 100 Songs bringen bei den Passagieren etwas zum Klingen. Wobei die Lieder mehr wissen als die Menschen: Sie werden bei Schimmelpfennig und Koppelmann zu Schicksalsmelodien.

100 Songs , SWR 2, Sonntag, 18.30 Uhr.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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