Süddeutsche Zeitung

Radio France:Im Wind des Wandels

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Frankreich soll tiefgreifend reformiert werden, so will es Staatspräsident Emmanuel Macron. Ausgerechnet jetzt verliert die Rundfunkanstalt wegen Günstlingswirtschaft ihren Intendanten.

Von Joseph Hanimann

Der Schock ist vorbei, die Fragen bleiben. Der wegen Günstlingswirtschaft in seinem vorherigen Amt in erster Gerichtsinstanz verurteilte Intendant von Radio France, Mathieu Gallet, wird Ende März die Führung des Hauses abgeben müssen, so entschied die Medienaufsichtsinstanz CSA (Conseil Supérieur de l'Audiovisuel). Bis zur Ernennung eines Nachfolgers dürfte es Monate dauern. Interims-Vorsitzender der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt wird voraussichtlich das bisherige Verwaltungsratsmitglied Jean-Luc Vergne.

Ungünstiger hätte der Zeitpunkt dieser Turbulenz an der Spitze von Radio France kaum kommen können. Die Regierung bereitet für dieses Jahr eine von Staatspräsident Emmanuel Macron angekündigte tiefgreifende Umgestaltung der öffentlich-rechtlichen Hörfunk- und Fernsehanstalten vor. Das Personal und die Mitarbeitervertretungen der sieben Programme von Radio France befürchten nun, dass das Geisterschiff ohne starken Mann am Steuer hilflos im Wind der Regierungspläne treiben wird. Und der CSA dürfte sich mit seiner gequälten Entscheidung, den vor drei Jahren einstimmig Gewählten wieder zu feuern, keinen Gefallen getan haben.

Dieses siebenköpfige Gremium löste 1989 eine Vorgängerinstanz ab, um die in Frankreich traditionell eng an die politische Macht gebundenen öffentlichen Anstalten vor deren allzu direktem Zugriff abzuschirmen. So ist der CSA zuständig für die Wahl der Intendanten. Den Verdacht, im Hintergrund würden die Fäden doch weiterhin von der Regierung gezogen, konnte er aber nie ganz abschütteln. Macron will nun die Kompetenz der Intendantenwahl auf den Verwaltungsrat der Anstalten übertragen. Paradoxerweise haben die Medienaufseher durch die Entlassung Gallets dem Verdacht der Regierungshörigkeit gerade zusätzlichen Vorschub geleistet, denn noch vor ihrer Entscheidung hatte die Kultur- und Kommunikationsministerin Françoise Nyssen etwas voreilig den Wunsch ausgesprochen, Gallet infolge seiner Verurteilung aus dem Amt entfernt zu sehen. Dem hat der CSA nun stattgegeben. Doch hatte er in diesem Fall nur schlechte Karten in der Hand. Mit einem Festhalten an Gallet hätte er sich offen der Regierungsdevise von der "Vorbildlichkeit" in den staatlichen Führungsposten widersetzt.

Seit Ernennung 2014 hat der 41-Jährige beim Koloss Radio France mit einem Jahresbudget von 600 Millionen Euro unbestreitbare Erfolge erzielt. Der Digitalisierungskurs ist weit fortgeschritten. Die Programme haben an Profil gewonnen, die Quoten sind gut. France Inter ist mit 11,3 Prozent an Marktführer RTL herangerückt und der anspruchsvolle Kanal France Culture kam mit 2,5 Prozent auf sein bisher bestes Ergebnis, mit über 100 000 neuen Hörern. Zudem wurde das Sparprogramm ohne große Proteste der 4500 Angestellten eingeleitet.

Selbst an die etwas verschlossene, schwer fassbare Persönlichkeit Gallets, der früh wegen einer teuren Renovierung seines Chefbüros unter Beschuss geriet, hatte man sich allmählich gewöhnt. Einem Wunderkind verzeiht man vieles. Der ehemalige Kulturminister Frédéric Mitterrand nannte ihn beinah zärtlich "Tancredi", nach dem jungen Offizier im Visconti-Film Der Leopard. Das Straucheln des Wunderkinds bringt in Frankreich viele Pläne durcheinander.

Auch für die Regierung kann es kein Traumszenario sein, ihre Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einem Übergangsintendanten bei Radio France in Angriff nehmen zu müssen. Das Verhältnis der Journalisten zu Präsident Macron ist ohnehin belastet, seit dieser im Dezember in einer internen Runde erklärt haben soll, Frankreichs öffentlich-rechtliche Medien seien die "Schande der Republik". Worin die Reform genau bestehen wird, weiß man noch nicht. Gerüchte aus dem Kultur- und Kommunikationsministerium nannten die mögliche Zusammenlegung von France Télévisions und Radio France in einer Holding nach BBC-Vorbild. Anfang Januar hat sich die Ministerin in London gründlich umgeschaut. Nichts sei jedoch entschieden, es gebe mehrere Optionen, versicherte Nyssen. Klar scheint indessen, dass eine engere Koordination und Zusammenlegung der Mittel angestrebt wird. Die Intendanten von France Télévisions und Radio France wie auch die von France Médias Monde und von Arte wurden aufgefordert, Vorschläge zu machen. Ende März soll eine parlamentarische Arbeitsgruppe Maßnahmen vorlegen und dann will die Ministerin erste Angaben zur Reform machen. Sollte es nur um Kostensenkung und nicht um eine überzeugende Gesamtrevision von Struktur und Aufgaben gehen, werde es in den Anstalten stürmisch werden, warnte Gallet im Dezember noch selbstbewusst. Das zumindest bleibt auch ohne ihn wahr.

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SZ vom 14.02.2018
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