Radio:Filmriss

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Dass es "Desperados" von 1919 wirklich gegeben hat, war lange nur ein Gerücht. Zwei Minister der Räteregierung Kurt Eisners hatten den Film in Auftrag gegeben, als Propagandawerk. Die Premiere fand vor Soldaten statt. Ein staunenswertes Hörspiel über das Kinofrühwerk.

Von Stefan Fischer

Immens ist die Zahl früher Kinofilme, die nicht erhalten sind. Auch Desperados von 1919 gehört dazu - lange war das Werk nicht mehr als ein Gerücht. Nun ist einiges Material aufgetaucht, das immerhin seine einstige Existenz beglaubigt: Fotos, sogenannte Filmstills, dazu ein Treatment sowie ein Briefwechsel. Vor allem dieser ist spannend, weil der Film als Propagandawerk in Auftrag gegeben worden ist von zwei Ministern der Räteregierung Kurt Eisners. Und es in dem Film um den Versuch von Anarchisten geht, die Arbeiterschaft zu unterwandern. Als er erstmals gezeigt wurde, war Eisner jedoch bereits ermordet und die Linksregierung Geschichte - in München tobte der sogenannte Weiße Terror der rechten Gegenrevolution.

Rudolf Herz und Julia Wahren erzählen in ihrem staunenswerten Hörspiel Desperados oder Hitler geht ins Kino die Geschichte dieses denkwürdigen Machwerks - anhand der Bilder und Zusammenfassungen können sie ihn inhaltlich leidlich rekonstruieren, die Korrespondenz über seine Finanzierung erzählt viel über die Wirrnisse jener Monate in der ersten Jahreshälfte 1919. Zur Pressevorführung Mitte Juli des Jahres sind 50 Soldaten von der Produktionsfirma eingeladen worden, die Desperados dem Bayerischen Reichswehrgruppenkommando schmackhaft gemacht hat als einen Film mit "antispartacistischer Tendenz". In Auftrag gegeben als Propagandafilm, der in einem Konflikt innerhalb der politischen Linken Einfluss nehmen sollte, befeuert er im Ergebnis die Rechtsradikalen. Herz und Wahren malen sich aus, dass - theoretisch denkbar - Adolf Hitler unter den 50 Soldaten im Publikum war.

Stilistisch ist das klar, beinahe spröde inszeniert. Die Absurdität der Umstände steht für sich. Und angesichts der vielen dokumentarischen Zeugnisse über die bayerische Revolution von 1919 ist diese monströse Posse in ihrer Unglaublichkeit eine gewitzte Alternative, sich in das Thema zu vertiefen.

Desperados oder Hitler geht ins Kino, Bayern 2, 21.05 Uhr.

© SZ vom 09.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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