Ein Buch von immerhin 220 Seiten in ein 75-minütiges Hörspiel zu pressen, ist im Fall von Tom McCarthys Satin Island definitiv statthaft. Denn der Autor legt selbst viele Fäden aus, die ins Leere laufen. Satin Island setzt sich erst im Kopf des Lesers oder Hörers zu diesem gigantischen Gegenwartskonstrukt zusammen, für das die Vorlage lediglich die Startrampe ist, selbst der Titel ist ein Assoziation aus dem Schriftzug der New Yorker Staten Island Ferry. Und so erlaubt auch die verdichtete Radioversion noch weite gedankliche Sprünge.
Die Hauptfigur U., gesprochen "You", verweist darauf, wer der Erzähler dieser Geschichte ist. U. selbst scheitert an dieser Rolle. Aber wie soll das auch gehen: die Gegenwartsgesellschaft in ihrer Totalität zu erfassen, wie U.s Auftrag lautet? Das machen die Algorithmen der Digitalkonzerne, und es geht bei der Erfassung sozialer Interaktion längst nicht mehr um Kultur, nur noch um Kommerz. Tilmann Hecker hat die kluge Vorlage mit Christoph Luser in der Hauptrolle adäquat umgesetzt. Satin Island ist Ausdruck jener Orientierungs- und Ratlosigkeit, die eine der größten Herausforderungen westlicher Gesellschaften ist.
Satin Island , HR 2, Sonntag, 14.04 Uhr.