Raabs "TV total Turmspringen":"Schöne Netto-Fleischeinwaage"

Ist der Sport schon uninteressant, muss zumindest die Oberweite stimmen: Wie kein zweites TV-Event balanciert Stefan Raabs Turmspringen an der Grenze von sportlichem Wettkampf und seichter Unterhaltung. Schön, wenn der Schmerz wieder vorbei geht. Und das Spannendste haben Sie am Bildschirm sowieso verpasst.

Christopher Pramstaller

Live-Sendung 'TV Total Turmspringen'

Sportlich, sportlich: Wenn Elton und Stefan Raab (vorne) wie hier in der Münchner Olympia-Schwimmhalle vom Turm springen, sieht das so aus. 

(Foto: dpa)

Hallenbäder sind ungemütlich und Turmspringen ist fernsehuntauglich. Eigentlich. Denn wenn Stefan Raab mit seinem Tross in der Münchner Olympia-Schwimmhalle Halt macht und dort die achte Auflage seines "TV total Turmspringens" steigen lässt, dann ist die Halle ausverkauft. Auch 2,29 Millionen Zuschauer lassen es mehr als vier Stunden über sich ergehen, B- und C-Promis dabei zu zu sehen, wie sie mehr oder weniger gelenk ihre Übungen vorzeigen, die sie sich in wochenlangem Training draufgeschafft haben, wie stets betont wird.

Dabei ist das ganz und gar nicht selbstverständlich: Sogar bei Großereignissen wie den olympischen Spielen sind die Einschaltquoten für Turmspringen derart niedrig, dass es die Damen und Herren Wasserspringer, so heißt es sportlich korrekt, auch bei Spartenkanälen kaum ins Programm schaffen.

Sieht man sie dann doch einmal vom Brett oder dem Turm hüpfen und mit Hocke, Streckung, Drehung und Salto gen Oberfläche tauchen, hat man als Zuschauer das Gefühl, als würde die feuchtwarme Hallenluft und der penetrante Chlorgeruch selbst vor der Mattscheibe keinen Halt machen. Das Wohnzimmer wird zum kommunalen Schwimmbad.

Wie schafft es Raab, Turmspringen erfolgreich zu vermarkten?

Doch wie schafft es Raab, bei derart vielen negativen Vorzeichen Jahr für Jahr dieses Event erfolgreich zu vermarkten? Vor Ort trotz im subtropischen Klima ist die Veranstaltung derart zäh, dass man sich die Werbung auf dem heimischen Sofa herbeisehnt. Stattdessen laufen auf der Leinwand in der Schwimmhalle alte Folgen von "Raab in Gefahr" - eine Ode an den Macher.

Und der ist vom sportlichen Wert überzeugt, wie kaum ein anderer. Immer wieder betont er in Interviews, dass keine seiner Shows als Witz verstanden werden soll. Weder das Turmspringen, noch die "Wok-WM" oder die "Stock Car Challenge".

Für das Publikum und die Vermarktung scheint der Wettkampf jedoch nicht auszureichen. Da müssen zwei weitere Komponenten die Lücke füllen: Körperschau und Knalleffekt. Respektive Bauchplatscher.

Anzügliche Bemerkungen

Während es beim männlichen Teil der 26 Starter noch ausreicht, durch mehr oder minder große Prominenz zu punkten, um an dem Event teilnehmen zu dürfen, so scheint bei den Frauen Grundvoraussetzung zur Einladung zu sein, dass man den entsprechenden Körper hat, um in Badeanzug oder Bikini eine testosteronsteigernde Wirkung zu erzielen. Oder, im Fall der Reporterin Sonya Kraus, diesen mit entsprechenden Kommentaren zu garnieren.

Knappe Ein- und Zweiteiler haben wahrscheinlich schon immer zu anzüglichen Bemerkungen aufgefordert. Und so fragte Kraus - das im Wettkampf wenig überzeugende IT-Girl und Nackig-Modell - Micaela Schäfer, wieso sie denn so viel anhabe. Und die Hoffnung hinterher schickte: "Hoffen wir, dass vom Bikini nicht viel übrig bleibt."

Beim Synchronspring-Paar Illka Semmler und Annabelle Mandeng ("Die Beine sind so lang, wie Fabian Hambüchen groß ist") sowie Modell Amelie Klever und Moderatorin Annica Hansen ("Wenn gesetzliche Frauenquote bei TV total so aussieht, bin ich dabei") mag das noch als Kompliment verstanden werden. Doch wenn Miss März und Miss Juli aus dem Playboy namenlos bleiben, dann wird deutlich, durch was hier gepunktet werden soll. Moderator Steven Gätjen ("Der Moment, auf den die meisten männlichen Zuschauer wahrscheinlich gewartet haben") und Becken-Reporter Olaf Schubert ("Schöne Netto-Fleischeinwaage") machen es da nicht viel besser.

Der Knalleffekt beim Turmspringen hatte dem Event im Vorfeld Ärger eingebracht. Von zu viel Risiko wurde geschrieben, mehr Sicherheit gefordert. Stephen Dürr war bei einem Trainingssprung vom 3-Meter-Brett so ungeschickt mit der Stirn auf die Wasseroberfläche aufgeprallt, dass es ihm den Kopf in den Nacken schlug und er sich an der Wirbelsäule verletzte. Noch immer liegt er im Krankenhaus und muss operiert werden. Bei der Live-Sendung: kein Wort dazu.

Auch in München landen einige der Springer unsanft auf der Wasseroberfläche. Elton aus fünf Meter auf der Seite, Björn Otto aus derselben Höhe auf dem Gesicht, Raphael Holzdeppe im Sitzen. Doch die Unfallgefahr bei diesen Ungeschicklichkeiten scheint kaum höher zu sein, als bei anderen halbstarken Hobby-Springern im Freibad. Wer auf dem Rücken oder dem Bauch landet, kommt an diesem Abend zwar mit geröteter Haut aus dem Becken und wird mit Salbe eingerieben, betont aber mantraartig: "Ich bin gut runtergekommen, alles ist noch dran."

Sportler halten Raabs Turmspringen für die drittbeste Sportsendung

Doch das "TV-Total-Turmspringen" hat auch schon vor Dürr zahlreiche Verletzte gefordert. 2011 wurde Queensberry-Sängerin Gabby nach einem verunglückten Trainingssprung mit einer Wirbelsäulenstauchung ins Krankenhaus eingeliefert. Daniel Aminati klatschte aus zehn Metern während einer Live-Sendung auf den Rücken. Auch Raab selbst wurde zum Opfer der eigenen Risikobereitschaft. 2005 sprang der, damals in Berlin, von knapp unter der Hallendecke aus 16 Metern in Wasser. Konsequenz: ein gebrochenes Steißbein.

"Mehr als ein bisschen weh tun, kann man sich hier ja nicht", sagt Raab. "Jeder der schon mal da runter gesprungen ist, der weiß, dass es ganz ordentlich zieht. Aber das schönste ist doch, wenn der Schmerz wieder vorbei geht." Doch Raab betont nach dem Event am Beckenrand, dass keiner teilnehmen dürfe, der nicht vorher eingehend trainiert habe - mit Trainern des Deutschen Schwimmverbandes. Teilweise gehe das wochenlang. "Da haben wir auch Leute wieder ausgeladen, bei denen das Niveau nicht gestimmt hat."

Irgendwann, wohl nach viereinhalb Stunden gehobenem Geplantsche steht dann schließlich auch noch Sieger fest. Ob es wirklich jemanden interessiert, wer hier gewonnen hat, bleibt fraglich. Nicht wenige der Sitze in der Olympia-Halle sind zu diesem Zeitpunkt schon verwaist.

Wirklich Spektakuläres gibt's abseits der Kamera

Im Einzel landet Ronja Hilbig auf dem dritten Rang, der Rapper B-Tight auf dem zweiten Platz. Den Sieg holt sich Isabelle Mandeng. Beim Synchronspringen sind gleich acht Springer auf dem Treppchen. (Ex-)Sänger Joey Kelly und Moderator Peter Imhof teilen sich dabei mit Musicaldarstellerin Ronja Hilbig und Schauspieler Joe Weil den dritten Platz. Auf dem zweiten Rang landen hier Beachvolleyballerin llka Semmler und Schauspielerin, Moderatorin und Modell Isabelle Mandeng. Stabhochspringer Björn Otto und Raphael Holzdeppe dürfen sich ein Jahr als "TV total Turmspring"-Sieger feiern lassen.

Wirklich Spektakuläres gibt es nur dort zu sehen, wo die Kamera nicht hinschaut - oder auch bewusst nicht hinschauen will. Bevor Raab und Elton zu ihrem ersten Synchronsprung antreten stürmt ein Mann, Mitte 20, auf das 3-Meter-Brett. Es ist für einen kurzen Moment unklar, ob es sich dabei um eine geplante Einlage handelt. Doch der Mann zieht Handschellen aus seiner Tasche und kettet sich am Eisengeländer fest. Auf seinem T-Shirt ein rotes Herz und die Aufschrift "WWF, Greenpeace, Unicef". Raunen in der Halle.

Sekunden später, im Fernsehen läuft gerade noch die Werbung, stürmen Sicherheitskräfte hinterher, reissen an seinem Arm. Doch augenscheinlich sind die Handschellen aus dem Karnevalssortiment. Die Sicherheit hat wenig Mühe sie zu lösen und den Protestierer in Mannschaftsstärke vom Brett zu tragen. nach wenigen Sekunden ist er wieder aus der Halle. Und der Fernsehzuschauer hat das Spannenste des Abends verpasst.

Bei aller Kritik am sportlichen Wert der Veranstaltung: Als 10.000 Sportler einst befragt wurden, welche die beste Sportsendung im deutschen Fernsehen sei, da landete das Raab'sche Hallenbad-Event zwar nicht auf Platz eins. Doch hinter der "Sportschau" und dem "Aktuellen Sportstudio" belegte das "TV total Turmspringen" den dritten Rang. Und Zehntausend können sich ja nicht irren.

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