Süddeutsche Zeitung

"Quartett der Querdenker" in der ARD:Gottschalk gegen Maischbergers Talkshow-Profis

Gottschalk, Schwarzer, Cohn-Bendit und Geißler sollen bei Maischberger das Jahr 2015 erklären - aber keiner hat die Absicht, ein Gespräch zu führen. Über eine sehr überflüssige Veranstaltung.

TV-Kritik von Hans Hoff

Kurz vor Schluss sagt Thomas Gottschalk große Worte. "Es ist nichts mehr rein. Die Unschuld ist weg", seufzt er mit einem Hauch gespielter Verzweiflung und meint damit den Zustand der medialen Landschaft in Europa. Von Fifa bis Wetten, dass..? sei so manche Institution ihres guten Rufes verlustig gegangen. Der einst größte deutsche Entertainer darf an diesem Abend solch ein Resümee ein wenig flapsig ziehen. Ihm wird Lockerheit erlaubt, denn er ist mit 65 Jahren der jüngste Gast in der Sendung Menschen bei Maischberger, der letzten in diesem Jahr und der letzten mit "Menschen" im Titel.

Ab Januar kommt die Runde der betagten Diskutanten ohne den Zusatz aus. Dann läuft die Sendung mittwochs und heißt nur noch Maischberger. Ob sie dann besser wird, darf nach dem Eindruck der Abschiedssendung bezweifelt werden.

Eine krude Mischung

Nicht viel weniger als eine Gesamtbetrachtung des Jahres hat sich Sandra Maischberger auf die Fahnen geschrieben und dafür 75 Minuten Zeit bekommen. Es geht um die großen Fragen, um Terror, Flüchtlinge, Pegida und Wetten, dass..?, eine in der Ballung eher krude Mischung, die als Bestandsaufnahme verkauft wird. Weil aber an diesem Dienstagabend König Fußball regiert, beginnt die Veranstaltung erst um zehn Minuten vor Mitternacht, was nicht unbedingt zur Mehrung der Zuschauerschar beigetragen haben dürfte. Im Nachhinein erweist sich das, was man sonst als Programmplanungskatastrophe bezeichnen würde, als eher weise Entscheidung.

Vier Gäste hat sich Maischberger an diesem Abend eingeladen und bewirbt sie mit Begriffen wie "Urgestein" und "Legende". Drei davon gehören zum festen Inventar deutscher Plaudershows. Nur Gottschalk sah man bei solchen Veranstaltungen bislang eher selten. Aus gutem Grund.

Gottschalk ist ein durchaus weltgewandter Mann. Einer, der ins Gefüge der ritualisierten Stuhlkreise passt, ist er nicht. Ihm ist es gegeben, sich auf großer Bühne mit ein paar flotten Sprüchen durchzusetzen. Gegen Talkshowprofis wie Alice Schwarzer, Heiner Geißler und Daniel Cohn-Bendit ist er indes chancenlos, weil er gegen die auf schnellen Effekt erpichten Routiniers stets wirkt, als wäge er seine Worte zu lange, als sei er tatsächlich an einem Gespräch interessiert, also zumindest an einem Gespräch mit ihm als Wortführer.

Niemand hat die Absicht, ein Gespräch zu führen

Über diese Zusammenkunft könnte man indes einen abgewandelten Spruch von Walter Ulbricht setzen: Niemand hat die Absicht, ein Gespräch zu führen. Was will man auch anderes erwarten, wenn man vier Ich-Sager im Halbkreis drapiert und eine Moderatorin dazu setzt, die damit zufrieden ist, zwischendrin mal ein paar Stichworte einzuwerfen, ansonsten aber den Selbstdarstellern das Feld überlässt.

Eine kluge Frau wie Sandra Maischberger sollte wissen, dass man ein Jahr wie 2015 nicht im Schweinsgalopp durchhecheln kann. Aus unbekannten Gründen versucht sie es trotzdem. Sie wirkt dabei ein bisschen wie eine von Ehrgeiz getriebene Anfängerin, die mehr dem Diktat ihrer Kärtchen traut als ihrer Intuition. Dass sie Gespräche führen kann, hat sie vielfach bewiesen. Man weiß auch, wie sehr es ihr gegen den Strich geht, wenn die Gäste alle durcheinanderreden und sie es nicht schafft, solchen Verbaleintopf wenigstens ab und an mal umzurühren. Beinahe hilflos steht sie vor dem Angerichteten und schaut ihrem Gericht beim Schalwerden zu.

Was will man aber auch erwarten, wenn man eine Talkshowmaschine wie Alice Schwarzer einlädt. Die ist bekannt dafür, zu allem eine Meinung zu haben, alles ganz genau zu wissen und jedem, der es wagt, den Mund zu öffnen über eben diesen zu fahren. Schwarzer salbadert zum Islamischen Staat, zum Terrorismus und zur Flüchtlingsfrage. Als Gewissträgerin vom Dienst schürt sie wie erwartet die gängigen Vorurteile gegen manche Menschen, die da ins Land strömen.

"Nicht alle netten jungen Männer, die da kommen, tragen den Feminismus unterm Arm", sagt sie. Das ist natürlich nicht unwahr, aber so wie Schwarzer das sagt, riecht es wie ein in die Mitte gekübelter Jauchesee.

Schwarzer ist geboren zum Rechthaben und teilt sich dieses Schicksal mit Heiner Geißler. Der Politiker wirkt an diesem Abend ein wenig, als versuche er als Reminiszenz an die parallel stattfindenden "Stars Wars"-Premieren den Yoda zu geben. Wenn der 85-Jährige in Sandras Seniorenrunde zum Krieg gegen den IS aufruft und dabei ein einst auf Afghanistan gemünztes Zitat wiederholt, klingt das fast wie direkt aus dem Mund des schrumpeligen Jediritters: "Da mit Feuer und Schwert man dazwischengehen muss."

Es ist Schwarzer und Geißler zu verdanken, dass Cohn-Bendit im Vergleich zu ihnen als geradezu besonnener Gast durchgeht. In der Runde, die vollmundig als das "Quartett der Querdenker" angekündigt wurde, gibt er den Zweifler, der seine Bedenken eher leise einfließen lässt, der aber gegen eine mediale Urgewalt wie Schwarzer naturgemäß chancenlos bleibt.

"Jetzt muss ich den Bürger Gottschalk fragen"

Gottschalk sitzt derweil da und guckt die meiste Zeit hin und her. Ganz offensichtlich fühlt er sich verloren. Das ist nicht sein Revier. Er braucht die Bühne für sich. Das hätte man schon bei der Einladung wissen können. So bleibt von ihm vor allem eine Art Eingangsmonolog in Erinnerung, weil es da um das wichtigste Thema geht, um ihn.

"Ich bin einer Phase meines Lebens, wo die Vermögensbildung abgeschlossen ist", bilanziert er seine finanziellen Verhältnisse und räumt dann gleich mal mit dem ziemlich quatschigen Titel dieses Quartetts auf. "Wer auf die Idee kommt, dass ich ein Querdenker bin, hat mich nicht richtig verstanden", sagt er und wendet ein, dass es ihm stets um die Liebe einer breiten Öffentlichkeit gegangen sei. "Ich habe immer gesagt, ich bin für alle da. Die höchstmögliche Quote ist die richtige Quote."

Zwischendrin wanzt sich Schwarzer an ihn heran, und dann kommt auch noch Maischberger auf die Idee, ihn als Zeugen für die Befindlichkeit von Sorgenträgern aufzurufen. "Jetzt muss ich den Bürger Gottschalk fragen", sagt sie dann, so als könne Gottschalk irgendetwas von der Befindlichkeit eines Durchschnittsbürgers wissen. Wo er auftritt, verändert sich automatisch die Welt. Wie also soll der Mann wissen, was der Bürger denkt?

Beinahe hilflos fragt er dann in die Runde, ob das Erstarken der seltsamen Bewegungen im deutschen Osten möglicherweise auch damit zu tun haben könnte, dass der christliche Glaube dort eher eine Randerscheinung sei. "Müssen wir christlicher werden", fragt Maischberger sofort nach und hält sich dabei offensichtlich für reaktionsstark.

Noch ein flotter Spruch zur Migrationsdebatte

Während der Sendung lässt Maischberger im Zwei-Minuten-Rhythmus Zitate in die Welt twittern, also quasi den schlagzeilenträchtigen Saft aus dem Palaver saugen. Eine Zitrone mit vier so kräftigen Kernen will sauber ausgepresst werden. Zudem haut Maischberger als Showstopper mehrere komplett überflüssige Einspielfilme raus und schafft am Schluss noch einen Dreh, auf den nicht einmal der Moderationskärtchen-abhängige Johannes B. Kerner in seinen schlechtesten Zeiten gekommen wäre.

"Ich möchte noch eine rasante Runde drehen", sagt sie vorab und landet dann von besorgten Bürgern kommend bei Wetten, dass..?, was sogar Gottschalk nachhaltig verblüfft. "Das ist wirklich ein gewaltiger Bogen von Pegida zu Wetten, dass..?, aber ich versuche, dir zu folgen", sagt er höflich und erteilt dann allen Hoffnungen oder Befürchtungen, er könne den Moderationsstab von Europas einst größter Show noch einmal aufnehmen, eine Absage. "Es würde auch mit mir nicht mehr funktionieren."

Für einen Moment sind Schwarzer, Geißler und Cohn-Bendit still, weshalb Deutschlands blondester Entertainer noch rasch die Chance sieht, in gewohnter Gottschalk-Manier einen flotten Spruch zur Migrationsdebatte rauszuhauen. "Mein einziges Flüchtlingsproblem ist, dass eine Million Menschen ins Land kommen, die mich nicht kennen", sagt er, und kurz danach geht Maischberger in den Abmoderationsmodus. "Ich möchte, dass sie alle wiederkommen. Ich habe viel gelernt", sagt sie am Ende, und es klingt wie eine faustdicke Lüge, denn wenn sie in diesen 75 nichtsnutzigen Minuten etwas erfahren hat, was sie vorher nicht wusste, muss sie sich unterstellen lassen, schlecht vorbereitet gewesen zu sein. Niemand hat an diesem Tag die Absicht gehabt, irgendetwas von Belang zu sagen. Alle sagten, was sie immer sagen.

Die einzige Erkenntnis, die sich wirklich aus dieser Veranstaltung saugen ließe, wäre die Antwort auf eine in der Ankündigung gestellte Frage. "Welche Lehren ziehen wir aus 2015?", lautet die und verdient vor allem die Replik, dass es im kommenden Jahr vor allem gilt, solche komplett sinnfreien Veranstaltungen im deutschen Fernsehen zu vermeiden.

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