Serie "Pure":Alle nackt

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Von der Familienfeier in die Großstadt, und doch nicht den Zwängen entflohen: Marnie (Charly Clive). (Foto: Sophia Spring)

Die Serie "Pure" erzählt von einer jungen Frau mit Zwangsstörung - und von Akzeptanz und Freundschaft.

Von Nina Mohs

Dieser Text erschien erstmals im März 2020. Nach dem Start bei Joyn ist die Serie nun auch im ZDF zu sehen.

Sich bei Nervosität vor Vorträgen die Menschen im Publikum einfach nackt vorzustellen - diesen Ratschlag hat fast jeder schon von Freunden bekommen. Dass diese Vorstellung aber zu einem ernsthaften Problem werden könnte, damit rechnet niemand. Besonders nicht Marnie (Charly Clive), die nach einer desaströsen Rede auf der Hochzeitstags-Feier ihrer Eltern die Flucht ergreift und den nächsten Bus nach London nimmt. Denn Marnie stellt sich das Publikum nicht einfach nur nackt vor, nein, vor ihrem inneren Auge haben alle Menschen um sie herum Sex. Vor lauter Aufregung spielt sich in ihrem Kopf eine Orgie zwischen den Partygästen ab, Frauen und Männer im Rentenalter fallen übereinander her.

Das ist die Ausgangslage der britischen Serie Pure, in der die junge Schottin Marnie versucht, ihrem sexuellen Zwangsdenken auf den Grund zu gehen. Es plagt sie. Nicht mal Busfahren geht, ohne dass sie sich die einzelnen Passagiere beim Sex vorstellen muss. Marnie will sich selbst finden in der anonymen Großstadt, und eigentlich will sie ihre Ruhe. Dann aber gerät sie ungewollt in zufällige Freundschaften und auch noch in ein Liebesdreieck.

Die noch recht unbekannte Schauspielerin Charly Clive ist dabei die perfekte Besetzung. Herrlich ungeschickt und sozial unangenehm verkörpert sie eine Figur, die mit sich selbst überfordert ist und zu absurden Übersprungshandlungen neigt. Man möchte Marnie bei der Hand nehmen, wenn sie vor ihrer ersten sexuellen Erfahrung mit einer Frau eine Flasche blaues Mundwasser trinkt - nur weil 26% Alkohol auf der Verpackung steht. Um sich dann in genau dem gleichen Türkisblau eine halbe Stunde später auf die Straße zu übergeben.

Marnie ist derb. Sätze wie "Ich denke daran, meine Mutter zu melken" bringen einen ungewöhnlichen, trockenen Witz in die Serie. Trotzdem sickert immer wieder die Ernsthaftigkeit durch. Denn die Zwangsstörung bringt Marnie in schwierige Situationen. Besonders, weil sie meint, sie könne sich selbst behandeln. Durch Ausraster verliert sie ihren Job.

Als Vorlage für Pure dient der gleichnamige autobiografische Roman von Rose Cartwright, was ein Grund für die Authentizität der Serie sein mag. Denn obwohl Marnie ein absurder und ungewöhnlicher Charakter ist, glaubt man ihr alles. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Figur auf wichtige Fragen des zwischenmenschlichen Lebens hinausweist. Denn letztlich geht es darum, sich selbst zu akzeptieren und mit psychischen Krankheiten umgehen zu können. Und um Freundschaft. Marnie verletzt die Menschen um sich herum. Und hat dann mitten in der Verwüstung eine seltene Erkenntnis: "Wow, ich bin echt ein riesen Arschloch."

Pure , auf Joyn und in der ZDF-Mediathek

© SZ vom 02.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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