Prominente Zeugen im Abhörskandal:Nun sprechen die Opfer

Unheimliche Zeugenaussagen: Vor dem Untersuchungsausschuss im britischen Abhörskandal sagen Schauspieler Hugh Grant und die Eltern der getöteten Milly Dowler aus. Sie sollen helfen, die dubiosen Abhörpraktiken des Skandalblattes "News of the World" aufzudecken. Einige Prominente folgen noch in dieser Woche.

Christian Zaschke, London

Sally Dowler bewahrte Haltung, obwohl sie vom Schlimmsten sprach. 2002 war ihre Tochter Milly entführt worden, die später tot aufgefunden wurde, ermordet. In diesem Jahr erfuhren Sally Dowler und ihr Mann Bob, dass damals das Telefon ihrer Tochter von Mitarbeitern der inzwischen eingestellten britischen Boulevard-Zeitung News of the World (NotW) gehackt worden war.

Mehr noch, die Zeitungsleute hatten Nachrichten von der vollen Mailbox gelöscht, um Platz für neue zu schaffen. Sally Dowler erzählte, wie sie immer wieder das Telefon ihrer vermissten Tochter anrief. Stets war die Mailbox voll, aber eines Tages "kam ich durch zu ihrer Mailbox, ich hörte ihre Stimme, und ich sagte 'Bob, sie hat ihre Nachrichten abgehört. Sie lebt'". Doch zu diesem Zeitpunkt war Milly Dowler bereits tot.

Mit dieser bewegenden Aussage begannen am Montag in London die Zeugenvernehmungen im Untersuchungsausschuss, der im Sommer eingesetzt wurde, um den britischen Abhörskandal aufzuklären. Knapp 6000 Menschen sind über Jahre hinweg von der NotW abgehört worden. Der Ausschuss unter Leitung von Lord Justice Leveson soll zudem das Verhältnis von Politik, Medien und Polizei beleuchten. Leveson sagte, es gehe darum, wer die Wächter bewache. Dahinter steht die Frage, ob und inwieweit die britische Presse reguliert werden soll, um Exzesse wie den NotW-Skandal künftig zu verhindern.

Leveson hatte sich in den vergangenen Wochen zunächst in sogenannten Seminaren einen Einblick in die Arbeitsweisen der englischen Boulevard-Presse verschafft. Seit Beginn der offiziellen Untersuchung in der vergangenen Woche hatten meist die Anwälte der Opfer gesprochen; seit diesem Montag sprechen die Opfer selbst. Das macht die Arbeitsweise der NotW auf teils bewegende, teils beklemmende Weise anschaulich.

Außer den Dowlers traten am Montag die Journalistin Joan Smith, der Prominentenanwalt Graham Shear und der Schauspieler Hugh Grant auf. Diese Auswahl an Zeugen illustriert, an wem die NotW interessiert war: Prominente (Grant), Menschen die Kontakt zu Prominenten haben (Smith, Shear) und Menschen, die Opfer eines furchtbaren Verbrechens geworden sind. Die Erzählungen der Zeugen an diesem Montag hatten etwas Unheimliches. Sie wussten ja nicht, dass ihre Mailboxen abgehört wurden, sie mussten jedoch feststellen, dass intime Details aus ihrem Privatleben in der Zeitung standen oder dass bei vertraulichen Treffen plötzlich Fotografen auftauchten.

"Der Appetit der Boulevard-Blätter ist nie zu stillen"

Die Journalistin Joan Smith war eine Zeit lang mit einem Abgeordneten liiert, dessen Tochter 2004 bei einem Fallschirmsprung ums Leben gekommen war. Vier Wochen nach dem Tod der Tochter ihres Partners begann das systematische Abhören ihrer Mailbox, wie Smith in diesem Jahr von der Polizei erfuhr. "Der Appetit der Boulevard-Blätter ist nie zu stillen", sagte sie bei ihrer Vernehmung, "sie vergessen, dass sie es mit Menschen zu tun haben. Wir sind für die lediglich Futter für Geschichten."

Prominente Zeugen im Abhörskandal: Hörte ihn auch die Mail on Sunday ab? Schauspieler Hugh Grant auf dem Weg zu den Londoner Royal Courts of Justice.

Hörte ihn auch die Mail on Sunday ab? Schauspieler Hugh Grant auf dem Weg zu den Londoner Royal Courts of Justice.

(Foto: AFP)

Der Anwalt Graham Shear traf sich bisweilen an abgelegenen Orten mit seinen berühmten Klienten, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Er sei "entgeistert" gewesen, als er feststellen musste, dass bei einem dieser Treffen plötzlich zwei Autos mit Beobachtern auftauchten.

Der Schauspieler Hugh Grant hat sich in den vergangenen Monaten als mutiger Sprecher wider die Praktiken des britischen Boulevards profiliert. Am Montag führte er aus, dass er nicht glaube, dass das Abhören lediglich auf die NotW beschränkt sei, die zum Medienimperium von Rupert Murdoch gehört. Grant erzählte, dass eine Geschichte aus der Mail on Sunday (aus dem Verlag Daily Mail and General Trust) von 2007 seiner Ansicht nach nur auf das Abhören seiner Mailbox zurückgehen kann. Außerdem hat Grant ein Gespräch mit einem ehemaligen NotW-Mann mitgeschnitten, der ihm erzählte, dass die anderen Boulevard-Blätter selbstverständlich mit den gleichen Methoden gearbeitet hätten.

Als Grant, so sagte er nun, im Juli dieses Jahres bei einem Fernsehauftritt vom Abhören seiner Mailbox berichtete, erhielt seine ehemalige Freundin (die kürzlich die gemeinsame Tochter zur Welt brachte), einen anonymen Anruf: Sie solle Grant ausrichten, er möge "verdammt noch mal das Maul halten". Doch Grant sagt weiter aus.

Zudem werden vor dem Ausschuss in dieser Woche unter anderem die Schauspielerin Sienna Miller, die Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling und Gerry McCann erwartet, dessen Tochter Madeleine im Jahr 2007 bei einem Portugal-Urlaub unter ungeklärten Umständen verschwand. Ihre Telefone wurden ebenfalls gehackt.

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