Programmausweis bei ARD & ZDF:Geheimakte "Küchenschlacht"

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Die ARD zeigt sich in der Sendung "Panorama" besorgt darüber, ob bei RTL alles mit rechten Dingen zugeht - zumindest was die Auszeichnung ihrer Scripted-Reality-Formate betrifft. Doch scheinbar feilen die öffentlich-rechtlichen Sender selbst an ihren Statistiken.

Katharina Riehl

Vor einigen Tagen zeigte die ARD eine Ausgabe ihres Polit-Formats Panorama, die sich mit den Programmen des Privatkanals RTL auseinandersetzte. Moderatorin Anja Reschke besuchte in Das Lügenfernsehen Menschen, die bei RTL oder anderen Privatsendern in einer sogenannten Scripted-Reality-Doku aufgetreten sind - Sendungen, die nach Drehbuch real aussehende Geschichten erzählen. Es ging um moralische Überlegungen, etwa wie die Sender mit ihren Protagonisten umgehen, und ob das Vorgaukeln falscher Realitäten der Gesellschaft Schaden zufügt. Anja Reschke, das wurde deutlich, macht sich da große Sorgen.

Auf der Homepage der ARD wird 'Tim Mälzer kocht! (im Bild: Tim Mälzer, l., und Alfred Biolek, r.) in der Rubrik "Unterhaltung" geführt. Bei der Arbeitsgemeinschaft für Fernsehforschung findet man die Show allerdings unter "Information". (Foto: dpa)

Man dürfte bei RTL über den erhobenen Zeigefinger nicht sonderlich erfreut gewesen sein. Der Grund aber, aus dem die beiden Fernsehanstalten schon im Vorfeld der Ausstrahlung mit Pressemitteilungen Ping Pong spielten, fand sich an anderer Stelle des Films. Es ging dabei um die Frage, wie sauber die Sender ihre Programme als Information oder Unterhaltung ausweisen - Öffentlich-Rechtliche wie Private müssen von Gesetzes wegen ein Informationsangebot bereitstellen. Auf einen hohen Informationsanteil wird zur Untermauerung der eigenen Bedeutung gerne verwiesen. Doch - und das ließ Panorama außen vor: Es ist eine Diskussion, die sich keineswegs nur für die privaten Sender führen lässt, sondern auch für ARD und ZDF.

Anja Reschke also besuchte Hans-Jürgen Weiß, Wissenschaftlicher Leiter des Göttinger Instituts für angewandte Kommunikationsforschung (Göfak) und erklärte: "Das Absurde aber ist, viele dieser Sendungen gelten in den Statistiken der Landesmedienanstalten als Fernsehpublizistik, also als echte Darstellung." In der ersten Pressemitteilung des NDR zur Sendung hieß es: RTL "hübsche so weiter die Statistik auf". RTL konterte: "Wir (. . .) weisen unsere Nachrichten als Information aus, unser Nachmittagsprogramm als Unterhaltung. Ein Blick in die Programmlisten der AGF hätte genügt." Der NDR schoss zurück: Man habe sich nicht auf die Zahlen der Arbeitsgemeinschaft für Fernsehforschung (AGF) bezogen, sondern auf die der Göfak.

Um zu verstehen, worum es ging, muss man die beiden Erhebungen kennen: Die AGF ist der Zusammenschluss von ARD, ProSiebenSat1, RTL, ZDF und seit kurzem des Pay-Kanals Sky. Für deren Statistiken codieren die Sender ihre Programme selbst - als Unterhaltung oder als Information. Die Göfak erstellt ihre Codierungen für die Landesmedienanstalten, die über die Programme wachen sollen. Auch weitere Institute erstellen Programmanalysen. Bei Panorama ging es darum, ob Privatsender Scripted-Reality-Formate nicht ausreichend kennzeichnen - so dass die Göfak sie nicht als solche erkennen und der Unterhaltung zuordnen kann. Scripted Reality gibt es bei der ARD nicht, obwohl das mal zur Debatte stand. Man habe sich, wie es in Panorama heißt, dagegen entschieden.

Der von RTL angeregte Blick auf die Daten der AGF zeigt aber, dass keineswegs nur die Privaten, sondern auch ARD und ZDF nicht nur das als Information kenntlich machen, was jeder im engeren Sinne darunter verstehen würde. Öffentlich zugänglich sind diese internen Listen nicht - wer Einblick will, muss jemanden finden, der ihn gewährt. Gerhard Graf, Geschäftsführer des privaten Instituts GGmedia, hielt vor der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten im März einen Vortrag, bei dem er Beispiele der Codierung nannte. Graf zufolge codiert zum Beispiel die ARD ihre Sendung Tim Mälzer kocht bei der AGF als Information, das ZDF die Sendung Küchenschlacht und Wetten, dass . . ? - Die Promi Party.

Küchenschlacht als "informierende Unterhaltung"

Die ARD erklärte dazu auf Anfrage, bei einer Sendung wie Tim Mälzer kocht stehe "die Information über die Zubereitung von Speisen im Vordergrund" - das sei weder Show noch Fiktion. Und weiter: "Nur Informationssendungen werden auch als solche codiert." Mit den Zahlen der AGF weist die ARD nach eigenen Angaben ihren Informationsanteil "in Publikationen und auf Nachfrage" aus - der liege seit Jahren zwischen 40 und 50 Prozent. Zieht man zum Vergleich die Zahlen der Göfak heran, ergibt sich ein anderes Bild. Hier wird genauer differenziert: Zwischen den Kategorien Information und Unterhaltung gibt es auch die Mischkategorie "Information und Unterhaltung" - in diesen Bereich fallen Weiß zufolge auch Kochsendungen. Bei der reinen Information kommt die ARD hier auf einen Anteil von nur 37 Prozent.

Das ZDF dagegen erklärt, dass der Sender seinen Informationsanteil nicht mit den AGF-Werten ausweise. Diese dienten hier nur als Grundlage für weiterführende Programmanalysen, bei denen zum Teil umcodiert werde. In den ZDF-Statistiken, heißt es, sei etwa die Küchenschlacht als "informierende Unterhaltung" codiert, gehöre also zur Unterhaltung. Die Promi-Party sei "unterhaltende Information". "Verschönerungen" der Statistiken könnten sich daher nicht ergeben. Und: Über eine Umcodierung der Küchenschlacht in der AGF-Statistik werde derzeit beim ZDF diskutiert.

"Kaum beachtet und ziemlich intransparent"

Erstaunlich passend sind die Ergebnisse einer Studie, die die Otto-Brenner-Wissenschaftsstiftung der IG Metall und das Netzwerk Recherche gerade veröffentlichten. Darin werden verwischte Grenzen zwischen TV-Unterhaltung und -Information kritisiert: Die AGF arbeite "von der Öffentlichkeit kaum beachtet und ziemlich intransparent. Da aber mit den Zuordnungen der AGF auch Medienpolitik gemacht wird, etwa indem Sender sich mit ihren Informationsanteilen profilieren, wäre weniger Geheimhaltung und mehr Transparenz nötig."

Auf der Website des Ersten ist Tim Mälzers Show übrigens auch kategorisiert. Man findet sie hier in der Rubrik "Unterhaltung".

© SZ vom 20.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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