Süddeutsche Zeitung

Profiler im Fernsehen und Kino:"Was geht im Kopf des Täters vor?"

Profiler erleben einen Hype im Fernsehen, auch weil einige an ihrem eigenen Mythos arbeiten. Aber manchmal ist Vorsicht angebracht.

Von Joachim Käppner

Die Vorträge von Thomas Müller sind ein Gesamtkunstwerk. Mit seinem österreichischen Zungenschlag, dem durchdringenden Blick und seiner Erzählfreude nimmt er die Zuschauer mit in eine Welt, in der, wie er gern sagt, "das Böse keine gelben Augen hat" und somit in allen von uns steckt, irgendwie, irgendwo.

"Was geht im Täter vor?", ist Müllers Lieblingsfrage, und er illustriert sie seinem Publikum gern mal am eigenen Beispiel. Was, fragt er dann, würde wohl geschehen, wenn sein Vortrag einen Anwesenden derart langweilen würde, dass er spontan zu dem Entschluss käme: "Der Müller muss weg." Was, wenn der einfach aufstünde, zum Rednerpult schritte "und bringt mi um"? Natürlich wäre das keine gute Idee. Aber der Täter könnte Müller ja auch auf dem Parkplatz auflauern, ums Leben bringen, die Leiche zerstückeln und an verschiedenen Plätzen an der Donau ablegen. Das wäre doch ein anderer Täter als der erste, nicht wahr, und die Fahnder müssen verstehen: "Was geht im Kopf des Täters vor?"

Als er 1993 eine Methodik nach Wien mitbrachte, die er beim FBI in Quantico gelernt hatte, war das eine kriminalistische Sensation, mithilfe des Profilings trug Müller dazu bei, den Briefbombenmörder Franz Fuchs zu identifizieren und zu stellen. Thomas Müller ist also nicht ganz unschuldig am Profilerhype, der die Kriminalromane und das Fernsehen in den vergangenen Jahren geflutet hat. Im deutschen Fernsehen gehen alleine in einer beliebigen Woche wahrscheinlich mehr Serienmörder um, als es in den letzten 150 Jahren wirklich gab. Und Gegenstück dieser gern als genialisch-irr gezeichneten Killer ist meist der Profiler oder die Profilerin, die, nicht minder zwischen Genie und Wahnsinn schwankend, aus der dunklen Seele des Täters zu lesen verstehen.

Dabei spielt es keine Rolle, dass die meisten solcher Täter armselige Gestalten mit kaputter Psyche sind. Harald Dern, einer der führenden Profiler des Bundeskriminalamts (BKA), hat einmal gesagt: "Einen Hannibal Lecter hatten wir noch nie." Hannibal, der höchst intelligente Kannibale in dem Hollywood-Reißer "Das Schweigen der Lämmer", seinen Verfolgern immer einen Schritt voraus und gejagt von Jodie Foster als junger Polizistin, hat das Profiler-Bild wohl für alle Zeit zementiert, auch wenn es reine Fantasie ist.

Profiler darf sich jeder nennen, der mit psychologischen Profilen arbeitet

Umso mehr liebt das True-Crime-Genre Gastauftritte von Profilern. Doch diejenigen, die aus ihrer Arbeit berichten dürfen und wollen, sind sehr selten; aktive Polizeibeamte lehnen dies meistens ab. Profiler freilich darf sich jeder nennen, der irgendwie mit psychologischen Profilen arbeitet, ob zur Aufklärung von Verbrechen, zum Coaching oder zu Personalfragen im Betrieb - Müller selbst arbeitet schon seit vielen Jahren in der Beratung von Unternehmen.

Der Hype birgt daher Risiken. Zuletzt hat das Pro-Sieben-Format Jenke. Crime einige Kritik einstecken müssen, weil dort als Expertin Profilerin Suzanne auftrat; diese kennt laut Sender "die Triebfedern des Verbrechens, versteht die Mechanismen, die ihnen zugrunde liegen". In der FAZ nannte Martin Rettenberger von der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden derlei "in höchstem Maße unseriös". Auf ihrer Website schreibt Profiler Suzanne als Erstes: "Ich ermittle seit 25 Jahren am weißen Tatort, dem Tatort des alltäglichen Terrors. Wenn Du also meine Hilfe brauchst, ist Dein Karma definitiv nicht im Gleichgewicht." Die Frau, die mit bürgerlichem Namen Suzanne Grieger-Langer heißt, beklagt ihrerseits eine "Rufmordkampagne" seitens ihrer Kritiker.

Wie auch immer, mit der Profiler-Arbeit in Deutschlands Polizei hat es praktisch nichts zu tun. Das fängt beim Namen an. Die Profiler wollen nämlich nicht Profiler genannt werden, ihre Methode heißt Operative Fallanalyse, kurz OFA. Sie arbeiten nach einer aufwendigen Fachausbildung in festen, eingespielten Teams, so gut wie niemals steht also der Fallanalytiker wie sein TV-Kollege einsam am nächtlichen Tatort und murmelt, den Mörder im Sinn: "Was willst du mir sagen?"

Irgendwann setzten die ersten FBI-Agenten psychologische Analysemethoden ein

Schon die ersten Profiler des FBI wie John E. Douglas und Robert Ressler wirkten freilich kräftig mit am eigenen Mythos. Diese Agenten haben sich große Verdienste erworben, denn sie setzten psychologische Analysemethoden zur Aufklärung von Verbrechen ein, bei denen es keine Beziehung zwischen Opfern und Tätern gegeben hatte. Allerdings nutzten sie ihre Erfolge auch zur massiven Vermarktung ihrer selbst. Profiler-Serien wie Criminal Minds oder neuerdings Mindhunter auf Netflix basieren auf den Büchern solcher Gründerväter.

In Deutschland rückte die Operative Fallanalyse viel später und aus einem ganz anderen Grund in den Blickpunkt der Öffentlichkeit - durch die Affäre um die Terrorgruppe NSU, die 2006 bereits zehn Menschen getötet hatte, fast alle von ihnen hatten einen migrantischen Hintergrund. Damals glaubte die große Mehrheit der Fahnder an Taten einer nicht näher bekannten türkischen Drogenmafia - bis die Fallanalytiker des Münchner Polizeipräsidiums unter ihrem Chef Alexander Horn zu einem ganz anderen Schluss kamen: Motiv der Mordserie müsse Ausländerhass sein. Man hat ihnen nicht geglaubt. So kann die Realität dramatischer sein als die Fiktion, und noch trauriger.

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