Eigentlich wäre Ingmar Weitemeier eine prima Besetzung für die Rolle des Hauptkommissars in der ARD-Krimireihe Polizeiruf 110. Mit menschlichen Abgründen und sogar mit Verfolgungsjagden in Anstalten kennt sich der Ex-Polizist aus. Weitemeier war Chef des Landeskriminalamts Mecklenburg-Vorpommern. Dort, im Land der tiefen Seen, liefen viele düstere Gestalten herum.
Das richtige Alter für den Hauptkommissar in der mittlerweile vierzig Jahre alten TV-Reihe hat Weitemeier jedenfalls. Er ist 57, also etwas jünger als die Hauptkommissare Herbert Schneider (Wolfgang Winkler, 68) und Herbert Schmücke (Jaeckie Schwarz, 65), die sich schon seit 1996 durch die Krimilandschaft im Osten bewegen. Bisher hatten sie 45 Einsätze, sonntags, 20.15 Uhr.
Auch der frühere Kriminalbeamte Weitemeier ermittelt wieder, allerdings auf einem Gelände, das viel Stoff für echte Krimis liefert. Der reaktivierte Pensionär ist unterwegs beim Mitteldeutschen Rundfunk. Der MDR, das sind: 2000 Beschäftigte, drei Landesfunkhäuser, acht Hörfunksender, ein Fernsehballett - und jede Menge echte Skandale.
Als Externer soll Weitemeier mit einem Team aufklären, was die da drinnen nicht verstehen können: Wie konnte immer wieder betrogen werden? Intendant Udo Reiter hat Weitemeier gebeten, die Arbeitsabläufe im mit Gebühren finanzierten Sender zu durchleuchten. Leicht gesagt. Das Polizeifachwort "Prävention" müssen die vom Sender nicht kennen, aber warum klappt oder gibt es eigentlich nie eine ordentliche Kontrolle, stattdessen Skandale?
Immer wieder staunen die Sendermanager über die Affären in ihrem Haus, vertrauter sind sie mit Intrigen. Ende September soll ein Nachfolger für Reiter gewählt werden, der nach zwanzig Jahren seinen vorzeitigen Rücktritt angekündet hat. Der letzte Dinosaurier des öffentlich-rechtlichen Geweses wird dann noch dieses Jahr aufhören - und wer ihm folgen? Wurde der eine oder andere Skandal frisch aufbereitet, um den Wahlkampf zu manipulieren? Politisch steht für die Akteure viel auf dem Spiel.
Langjähriger Unterhaltungschef abgetaucht
Manche Affäre ist aber nur das Werk von Kriminellen gewesen. Erst neulich wurde der frühere Kika-Herstellungsleiter Marco K. in Erfurt zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte vor Gericht eingeräumt, den Kinderkanal jahrelang mit Scheinrechnungen und fingierten Aufträgen geprellt zu haben. Der MDR, für die ARD verantwortlich für den Kika, bezifferte den durch diesen Betrugsfall entstandenen Schaden mit 8,2 Millionen Euro. Gehen musste deshalb auch der Verwaltungsdirektor. Immer muss einer mitgehen.
Derzeit ist der langjährige Unterhaltungschef Udo Foht abgetaucht, der sich selbst "König der Volksmusik" nannte. Foht werden merkwürdigste Geldtransfers vorgeworfen, deren Sinn und Zweck nicht ganz klar sind - der Fall liegt in Weitemeiers Händen, der mit seinen Leuten auf die Unregelmäßigkeiten in Fohts "Königreich" gestoßen war.
Zwanzig Jahre gibt es jetzt den Mitteldeutschen Rundfunk, der vor allem in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gern gesehen wird, wo knapp zehn Millionen Menschen leben. Wenn Beobachter von draußen auf die zwei Jahrzehnte zurückblicken, reden sie meist über Politfilz, geschäftliche Sauereien, übelste Geldgeschichten und Stasi-Verwicklungen der Sender-Mannschaft.
Die in der Anstalt reden lieber über ihre Erfolge: Der MDR zeige, was die Leute daheim gern schauten, sagen sie dann: also Ostiges, Musikanten-Stasi gewissermaßen. Chef Reiter rühmt die "Heimatverbundenheit und die Nähe zum Publikum". Alexander Kluge macht dieser Sender nur fassungslos. Der MDR veranstalte "das schlimmste Unterhaltungsprogramm, das ich überhaupt kenne", stellte TV-Produzent Kluge fest - und er ist wirklich weit herumgekommen und hat viel gesehen. Auch Furchtbarstes.
Wenn die Leitung des MDR Fremden das mit der Heimat erklärt hat, weist sie gerne darauf hin, dass sie das regional erfolgreichste unter allen dritten TV-Programmen liefere. Das MDR Fernsehen hat im Vergleich mit allen anderen Anstalten des Verbundes die besten Quoten. Andererseits leben ganz viele Hartz-IV-Empfänger im Sendegebiet. Das ist sehr gut für den Marktanteil, denn die Arbeitslosen haben Zeit für fernsehen, aber es ist schlecht für die Kasse, weil sie von den Gebühren befreit sind.
Die Gebührenzahler, die nicht immer bloß schunkeln wollen, gehen in den Westen. Ist der Osten zu blöd für ein ordentlichen Fernsehprogramm? Es wird in der Tat sehr viel gesächselt und geträllert im Erzgebirge, und die Nation verdankt dem Sender Großgestalten wie Florian Silbereisen und Achim Mentzel. Danke MDR. Aber das Bayerische Fernsehen sei "eben auch weiß-blau-krachledern" betont Reiter. Aus den Hierarchien des BR hat Reiter im Sommer 1991 in den Osten rübergemacht. Das war sehr mutig. Mit dem Betriebsausweis 0001 fing er an, und er war ziemlich allein. Oft schon hat er erzählt, wie das damals war, als Pionier. Telefone gingen nicht, oder es gab sie nicht. Es fehlten Steckdosen, also fehlte es an allem - vor allem an Leuten.
Als Anschubfinanzierung erhielt der Sender umgerechnet 280 Millionen Euro. Kein Klacks, aber auch die Viertelmilliarde reichte vorne und hinten nicht. Reiter spekulierte mit dem Geld ein bisschen an der Börse - und gewann sehr viel. Als dann eine wirklich riskante Anleihe platzte und der Riesengewinn um ein paar Milliönchen schrumpfte, taten plötzlich alle entsetzt: Wie konnte das passieren? Heuchler.
Es ist nicht einfach, Udo Reiter gerecht zu werden. Sein Geschäft war nie einfach. Er hatte es nie leicht, und dafür hat er eigentlich eine Menge geschafft. Aus seiner Sicht hat der Sender unter seiner Führung sogar, wie er neulich in einem Interview sagte, "ein Stück Wiedervereinigungshilfe geleistet".
Das Erbe der Stasi
Zur Wiedervereinigung gehörte das Erbe der Stasi. In der größten Ost-Anstalt wurden immer wieder ehemalige Spitzel des Ministeriums für Staatssicherheit entdeckt. Unter den Enttarnten waren sogar Fernsehlieblinge. Nach der Jahrtausendwende war es besonders wild. Reihenweise fielen ehemalige Stasi-Spitzel auf, die Namen von dreißig Verdächtigen kursierten. Der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) kritisierte den MDR: Es sei so lange vertuscht und verschleiert worden, bis die Vergangenheit den Sender eingeholt habe: "Ich habe nicht bemerkt, dass Reue beim (. . .) MDR eine Rolle spielte". Reiter erklärte trotzig: "Wir haben die Menschen da abgeholt, wo sie waren, nicht, wo die Wessis sie gern haben wollten."
Er kündigte aber auch an, dass sämtliche MDR-Mitarbeiter überprüft würden, auch die festen Freien. Eine Liste - auf ihr waren mehr als 200 der wichtigen Angestellten und Modertoren - brachte er selbst zur damaligen Stasi-Beauftragten Marianne Birthler nach Berlin.
Der MDR reagiert immer, und zwar immer sehr spät. So war es beim Fernsehsportchef Wilfried Mohren. Erst, als sein Korruptionsfall (Betrug, Bestechlichkeit) in der Welt war, wurde ein Unternehmenskodex verabschiedet, der Anstand in die Anstalt bringen sollte. Es wurde sogar eine Anti-Korruptionsbeauftrage eingesetzt. Doch auch die hat es seither: nicht leicht.
Vieles erklärt sich vielleicht damit, dass der MDR nach der Wende neu aufgebaut wurde. Der ARD-Kinderkanal (Kika) wurde Mitte der neunziger Jahre aus Erfurt gemacht. Er sollte viel produzieren und wenig kosten. Statt einer ordentlichen Finanzabteilung mit ordentlichen Buchhaltern wurden freie Mitarbeiter als "Finanz-Controller" eingesetzt. Nicht einmal eigene Kamerateams sollten den Etat belasten. Gerechnet wurde in Sendeminuten oder Belichtungseinheiten. Redakteuren fehlte oft der Überblick, welche Kosten sie verursachten.
Das machte sich der Herstellungsleiter, Marco K., zunutze. Von 2002 an begann er, Geld in die eigene Tasche umzuleiten. Ein armer Kerl eigentlich, ein Spieler. Die Millionen, die er einsackte, trug er zumeist direkt ins Erfurter Casino, das ein paar hundert Meter entfernt vom Funkhaus liegt. Niemand will seine Spielsucht bemerkt haben.
Lange Zeit unbemerkt blieben auch die merkwürdigen Machenschaften des Unterhaltungschefs Udo Foht. Bis sich Ende Mai ein Firmenrepräsentant meldete, der Foht Geld geliehen haben wollte, das der MDR-Mann nicht zurückgezahlt hatte. Foht wurde zur Rede gestellt und erklärte die Angelegenheit für einen Einzelfall. Das war sie offenbar nicht. Noch ist unklar, wen Foht alles angepumpt hat - außer noch den Burda-Vorstand Philipp Welte. Bei Welte waren es 30 000 Euro. Pikant daran ist, dass der MDR und namentlich Foht für die ARD-Ausstrahlung des Burda-Medienpreises Bambi verantwortlich war. Zu Fohts Gönnern zählte außerdem der bayerische Musik-Unternehmer Hans Beierlein. Er half mit 180 000 Euro aus, wie er einräumte.
Nach derzeitigem Stand könnte Foht Geld für TV-Produktionen hin- und hergeschoben haben. Dass dabei womöglich ein bisschen bei Foht selbst landete, wird vom MDR gegenwärtig nicht ausgeschlossen. Kommenden Mittwoch will MDR-Intendant Reiter den suspendierten Unterhaltungschef anhören. Von Fohts Anwalt war auf SZ-Anfrage keine Stellungsname zu erhalten.
Die TV-Show Schlager einer Medienstadt, für die sich Foth das Geld von Beierlein geliehen hatte, ging im April 2009 tatsächlich auf Sendung - mit rund 1,4 Millionen Zuschauern, wie der MDR stolz berichtete. Auch Beierlein und Foht kennen sich gut. Auf der Homepage des Medienmanagers aus München ist beschrieben, wie Foht zwei aufstrebende "Knaben" der Volksmusik kennenlernte: "Beierlein führte die beiden ( das sind Florian Silbereisen und Stefan Mross) Udo Foht vor, dem Unterhaltungschef des MDR, der für volksnahes Musikgut stets zugänglich ist. Er erkannte die Talente und übertrug ihnen die Moderation regionaler Sendungen." Beierlein war einmal Manager von Silbereisen. Ging das eine in das andere über?
Als ginge es um die Darstellungsmacht im Osten
Quote, Kohle, Hass - und viel Nutzwert für die Parteien. Anders als in den ARD-Häusern der West-Bundesländer kommt dem MDR bei der politischen Willensbildung in den Landschaften zwischen Görlitz und Stendal, Wittenberg und Plauen eine große Bedeutung zu. Dass Reiter nun bald ersetzt wird, löste in den Staatskanzleien der drei Ost-Länder großes Engagment aus - als ginge es um die Darstellungsmacht im Osten. Wunschkandidat in der Dresdner Staatskanzlei soll der Chefredakteur des Leipziger Volksblattes, der 52-jährige Bernd Hilder sein. Im MDR wird die derzeit stellvertretende Intendantin Karola Wille, 52, gehandelt. Auch der Chef des Erfurter MDR-Funkhauses Werner Dieste, 54, macht sich wohl Hoffnungen.
Im September soll im 43 Mitglieder starken Rundfunkrat abgestimmt werden. Noch herrsche eine "höchst unübersichtliche Gemengelage", wie ein sächsischer Unionspolitiker konstatiert. Vermutlich passt es manchem, dass es im Funkhaus des Ostens drunter und drüber geht. Das könnte den Ruf nach einem starken Mann von außen verstärken - einem, der den Staatskanzleien genehm ist, versteht sich. Kommissar Weitemeier, selbst CDU-Mitglied, wird weiter ermitteln.