Süddeutsche Zeitung

Privatsender Vox:Alles ganz lieb

  • Andere Privatsender setzen auf das menschliche Scheitern, Vox auf das Gelingen.
  • Das Programm ist verlässlich - und bietet immer irgendetwas mit Dinner, Umdiewetteeinkaufen oder Auswandern.
  • Gegen schwächelnde Quoten will Senderchef Bernd Reichart 2015 Fiktion nach spanischem Vorbild bringen.

Von Hans Hoff

Bernd Reichart macht Privatfernsehen, und er tut niemandem wirklich weh. Das klingt paradox, weil Kommerzkanäle normalerweise von der Ausbeutung verlorener Seelen leben, aber bei dem Sender, dem Reichart seit zwei Jahren als Geschäftsführer vorsteht, läuft ohnehin manches anders als bei anderen. Reichart reicht Kekse. Selbstgebacken. Hat man selten bei Geschäftsführern, die ein imposantes Büro mit Domblick in der Kölner RTL-Zentrale vorweisen können. Aber es gibt eine Erklärung. Reichart leitet Vox.

Vox gilt selbst unter Kritikern als der am wenigsten schlimme Privatsender. Man kann zuschauen, ohne sich ernsthaft zu verletzen. Man kann bestenfalls sogar Spaß haben an der im Übermaß servierten Dokutainment-Mixtur aus Mode-, Koch- und Auswanderungsspielchen. So wie die Juroren des Deutschen Fernsehpreises, die Vox in diesem Jahr gleich zwei Auszeichnungen zukommen ließen, was eine kleine Sensation war, denn bisher galten beim Fernsehpreis die Kommerzkanäle als die ungeliebten Stiefkinder. Die Trauer über das Aus für den Fernsehpreis hielt sich entsprechend bei den Privaten in Grenzen.

Alles ganz lieb

Ein Preis ging an den von Vox groß gemachten Shopping Queen-Juror Guido Maria Kretschmer, ein anderer an Sing meinen Song, ein quotenstarkes Format, bei dem bekannte Sänger ihre Lieder austauschen und sagen, was sie so mögen am Werk des Gegenübers. Alles ganz lieb. Kein Wunder, dass Reichart da prompt reagierte: An diesem Dienstag läuft die Weihnachtsausgabe des prominent besetzten Vorsingetreffens.

Leider korrelieren die Achtungserfolge beim Fernsehpreis nicht mit dem Ergebnis des Gesamtsenders. "Wir schaffen die Sieben diesmal nicht", sagt Reichart mit Bezug auf die Zielgruppe der Menschen unter 50 Jahren. Der 40-Jährige sagt das gelassen. Ohne Frust in der Stimme. Ist halt so. Natürlich ist das eine Niederlage, denn lange galt Vox als der Sender mit der stabilen Sieben im Marktanteil, als einer, der das Zeug hat, auch die Acht im Jahresergebnis zu knacken. Damit wird es wohl nichts werden. Zu sehr haben Olympia und die Fußball-WM bei der Konkurrenz geschadet.

Reichart hat sogar die Hoffnung fahren lassen, dass es starke Werte im Dezember noch rausreißen könnten. "Die Frauen, die unsere größte Quotenlast tragen, sind gerade viel unterwegs", sagt er. Frauen schauen jetzt nicht nur bei Vox zu, wie andere Frauen shoppen, sie nehmen sich vor dem Fest ein Beispiel und kaufen selber ein.

Vox ist sozusagen der größte deutsche Frauensender. Auf einen Frauenanteil von knapp 65 Prozent kommt die Senderbilanz von Januar bis November. Das hat viel damit zu tun, dass Vox weniger auf das Scheitern als vielmehr auf das Gelingen setzt. Woanders wird lustvoll zelebriert, wenn Menschen ihr Unvermögen demonstrieren oder wenn sie vor die Wand laufen. Natürlich laufen sie auch bei Vox mal vor die Wand, aber wenn sie das tun, steht ihnen der Sender stets mit schwesterlichem Mitgefühl zur Seite. Zum Stil des Senders passe keine Häme, sagt Reichart.

So wie er und sein 2013 zum RTL-Chef aufgestiegener Vorgänger Frank Hoffmann Vox konzipiert haben, ist es ein leiser Sender, einer, der weniger auf das große Spektakel setzt als vielmehr auf freundliche Beständigkeit. Auf Vox kann man sich verlassen. Bei Vox läuft immer irgendetwas mit einem perfekten Dinner, mit Umdiewetteeinkaufen oder mit Auswandern.

Guido Maria Kretschmer gilt immer noch als Vox-Star, obwohl er längst auch beim Vox-Mutterschiff RTL Supertalente ermittelt. Auch Daniela Katzenberger ist ein Vox-Gewächs, allerdings eines, das nicht mehr ganz so prächtig sprießt und blüht. "Die Notwendigkeit, mehr zu erzählen als nur ihre persönliche Geschichte, ist offensichtlich", kommentiert Reichart die Quotenschwäche der jüngsten Katzenberger-Sendungen. Er will an ihr festhalten, weil es das Vox-Publikum kaum goutieren würde, wenn der Sender sie fallen ließe.

Vox muss vorsichtig sein. Vertrauen ist schnell verspielt, wird aber nur mühsam zurückgewonnen. Gerade ist Reichart mit dem Versuch, eine ganz eigene Farbe ins Fernsehen einzuführen, krachend gescheitert. Einfach unzertrennlich hieß eine deutsche Kurzcomedy, die mit 15-Minuten-Auftritten den Vorabend beleben sollte und nach einer Quotenbruchlandung früh aus dem televisionären Verkehr gezogen wurde. "Das war eine Spur zu wenig aggressiv zu Ende gedacht. Da fehlte der Punch."

"Das ist unsere Kür"

Der nächste Versuch soll eine Serie sein, die ihn faszinierte, als er in Spanien für die RTL-Gruppe aktiv war. Dort sah er Pulseras rojas, eine Krankenhausserie, die ausnahmsweise nicht aus Sicht der Ärzte, sondern aus der Perspektive der Patienten erzählt wird. "Man fühlt sich ein wenig wie bei Ziemlich beste Freunde trotz bedrückender Kulisse. Es geht um Hoffnung, Optimismus, um Freundschaft", schwärmt Reichart. Wenn er erzählt von dem Projekt, das im Herbst 2015 auf den Schirm soll, weicht für einen Moment seine freundliche Gelassenheit. "Das ist unsere Kür", sagt er und bebt beinahe. Für ihn ist es auch der Versuch, zu zeigen, dass Vox im Fiktionalen mehr kann als US-Serien abzunudeln: "Unter unserem Markenschirm ist mehr Platz, als man uns bisher zuschreibt."

Von Bedeutung ist die neue Serie vor allem, weil seit einiger Zeit Versorgungsengpässe bei amerikanischen Serien absehbar sind. "Die Sachen, die es nur bei Vox gibt, werden wichtiger", sagt Reichart, der sich mit derzeit 70 Prozent Eigenproduktionen nicht zufrieden gibt. "Das werden wir tendenziell ausbauen", sagt er. Die Anweisung im Fall von Misserfolg hat er auch parat. "Mund abputzen und den nächsten Versuch wagen", lautet sein Motto.

Die selbstgebackenen Kekse erweisen sich als ein bisschen zu hart. Das passt irgendwie zum beruhigenden Fazit, dass im Fernsehgeschäft selbst ein ambitionierter Senderchef nicht für ständiges Gelingen garantieren kann.

Sing meinen Song - Das Weihnachtskonzert, Vox, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 16.12.2014/mkoh
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