Privatsender:Die letzten bunten Wochen

RTL 2 spart sich künftig die Nachrichtenredaktion für junges Publikum. Dabei war die mal ein Vorzeigeprojekt. Ein Biergartenbesuch mit den Machern.

Von Jan Schwenkenbecher

Von einem "Arschtritt" ist die Rede, auch das Wort "Geier" fällt. Ein paar Mitarbeiter der RTL 2 News sind an diesem Augustabend, nachdem die täglich um 20 Uhr erscheinende Nachrichtensendung gelaufen ist, in einen Berliner Biergarten gekommen. Sie wollen nun doch ihre Sicht der Dinge erzählen, die sie aus Angst um ihre Abfindungen bisher für sich behalten haben. Es sei "ein Schlag ins Gesicht" gewesen, als die Senderverantwortlichen der Redaktion sagten, dass sie ab kommendem Jahr nicht mehr gebraucht würde, sagen sie.

Jeden Abend um 20 Uhr sendet der Privatsender RTL 2 seine 15-minütige Nachrichtensendung, die RTL 2 News. Vor drei Jahren wurden sie von Köln nach Berlin verlagert, das Konzept wurde komplett erneuert. Eigenes Studio statt eines virtuellen Hintergrunds. Eigene Reporter, die Beiträge erstellen, auch mal zur Fußball-WM nach Russland fahren oder Interviews mit Spitzenpolitikern führen. Dazu - denn RTL 2 versteht sich seit jeher als ein Sender fürs junge Publikum - werden die sozialen Netzwerke gepflegt, ein Mal in der Woche gibt es einen Live-Chat via Facebook. Es sollte das Nachrichtenkonzept der Zukunft sein, doch die ist jetzt offensichtlich schon wieder vorbei.

Die RTL-Produktionsfirma, die nun übernimmt, stellt auch "Punkt 12" oder "Explosiv" her

Am Freitag, 27. Juli, teilte die Pressestelle von RTL 2 mit, dass die RTL 2-Nachrichten von Januar an nicht mehr in Berlin produziert werden, sondern in Köln. Es wird dann kein Studio mehr geben, sondern eine Greenbox. Die Sendezeit wird von 20 auf 17 Uhr verlegt. Die RTL-eigene Produktionsfirma Infonetwork, die etwa Punkt 12 oder Explosiv dreht, produziert die Sendung künftig, und die Redaktion in Berlin wird samt der RTL 2 Produktion GmbH & CO. KG, einer Tochter der RTL 2 Fernsehen GmbH & Co. KG, aufgelöst. Am Tag vorher wurde das in der Gesellschafterversammlung beschlossen und abends der Redaktion verkündet, zwei Wochen zuvor hatte man mitgeteilt, dass das diskutiert würde. Am Montag danach kam der Personalleiter des Senders, führte Einzelgespräche, zeigte den Sozialplan herum, Abfindungen wurden verhandelt. "Keiner hat damit gerechnet", sagt nun jemand im Biergarten. Ein Schlag eben, ins Gesicht.

Tatsache ist, dass der Marktanteil der RTL 2 News zwischen 2014 und 2017 sank, sogar bei den 14- bis 29-jährigen Zuschauern. Er liegt jetzt bei etwa neun Prozent. Tatsache ist aber auch, dass der ganze Sender im selben Zeitraum an Marktanteil verlor und die RTL 2 News stets zu den drei am meisten gesehenen Sendungen des Tages gehörten. In diesem Jahr scheint die Quote der RTL 2 News sogar wieder anzusteigen. Doch geht es Sender und Gesellschaftern bei ihrer Entscheidung überhaupt um Quote oder Qualität?

Die Runde im Biergarten bezweifelt das. Die Geschäftsführung habe "immer gesagt, dass die Qualität stimmt". Die Sendung sei immer gelobt worden, "eine reine Sparmaßnahme ist das". Es gehe nur um Profit. "Und das, obwohl der Sender hochprofitabel ist." Laut Jahresabschluss lag der Überschuss im Jahr 2012 bei 36 Millionen Euro, 2016 waren es 61 Millionen, die wurden an die Gesellschafter (die RTL-Gruppe, den Heinrich-Bauer-Verlag und die Tele-München-Gruppe) ausgeschüttet. Auf Nachfrage, ob es sich um eine Sparmaßnahme handele, schreibt der Sender: "Die jetzt beschlossenen Neuerungen sind Teil eines Entwicklungsprozesses und wirtschaftliche Aspekte spielen bei einem privatwirtschaftlichen Unternehmen immer eine Rolle."

Als die Redaktion erfuhr, dass ihre Existenz auf dem Spiel steht, drehte sie ein Video, in dem sie sich direkt an die Gesellschafter richtete. Da sagt etwa Christoph Hoffmann, einer der Moderatoren: "Uns ist klar, man kann mit Nachrichten kein Geld verdienen. Man darf mit Nachrichten auch kein Geld verdienen." Meike Gehring ergänzt: "Ohne uns geht in Zeiten gezielter Desinformation und Fake News eine unabhängige journalistische Stimme verloren."

Eingefleischte Tagesschau-Fans würden nun vielleicht anzweifeln, ob es die Demokratie stärkt oder ein politisches Bewusstsein fördert, wenn in einer Nachrichtensendung Bilder von Heidi Klum und Bill Kaulitz analysiert werden. Denn neben Politik und Wirtschaft bestand ein ordentlicher Teil der Sendung auch aus Promi-News und Buntem. Die Biergarten-Runde entgegnet, dass viele Zuschauer sich darüber freuten, wenn neben den Breaking News auch mal wer über Kino-, Musik- oder Gamingthemen berichtet.

Mit ihrer Kritik stehen sie nicht alleine da, die kam auch von außerhalb. "In Zeiten von Desinformation und Falschmeldungen sind verlässliche und eigenproduzierte Nachrichten- und Informationssendungen wichtiger denn je", sagte Cornelia Holsten, Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten. RTL 2 erreiche mit seinem Nachrichtenformat eine Zielgruppe, die sonst eher keine Nachrichtensendung und Politikberichterstattung anschauen würde. "Ausgerechnet dieses Programmangebot zu beschneiden, bedeutet Sparen am falschen Ende." Und Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, sagt: "Es ist offensichtlich, dass RTL 2 auf dem Rücken der Journalistinnen und Journalisten einen skrupellosen Sparkurs fahren will." Er sehe in der Kooperation mit dem Kölner RTL-Dienstleister die Gefahr, dass die Vielfalt leide.

"Wir sitzen da jetzt jeden Tag und versuchen, uns zu motivieren."

Tatsächlich wird das Land künftig eine unabhängige TV-Nachrichtenredaktion weniger haben. Infonetwork, die künftig die Beiträge für die RTL 2 News liefern, erstellen auch die Nachrichten für andere RTL-Sendungen oder für Vox oder für n-tv. Es ist ähnlich wie bei der Redaktion des Senders, der früher N 24 hieß und jetzt den Namen Welt trägt, die auch die Nachrichten für Pro Sieben, Sat 1 und Kabel 1 liefert.

Glaubt man der Biergarten-Runde, dann könnten bei Infonetwork künftig zwei bis drei Personen bereits für andere Formate produzierte Beiträge etwas umschneiden und ausstrahlen. Der Sender sagt, das redaktionelle Konzept der Sendung werde gerade erarbeitet, und "wie viele Mitarbeiter an den RTL 2 News beteiligt sein werden, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen".

In knapp fünf Monaten müssen sich die mehr als 30 Mitarbeiter der RTL 2 News neue Jobs suchen. "Wir sitzen da jetzt jeden Tag und versuchen, uns zu motivieren, eine gute Sendung zu machen", sagen sie. Schließlich könnten ja potenzielle neue Arbeitgeber zuschauen. Und "nebenbei reden wir übers Arbeitsamt oder wo gerade wer sucht".

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