Süddeutsche Zeitung

Privatfernsehen:Wahlkampf in der neuen Welt

Der politische Anspruch ist ein Versprechen, das vom Privatfernsehen bisher nicht eingelöst wurde. Jetzt rufen die privaten Sender zur "Programmoffensive" in Sachen Politik auf. Hier treffen zwei fremde Welten aufeinander.

Ein Kommentar von Claudia Tieschky

Auch das Privatfernsehen ist ein öffentlicher Ort. An diesem Ort macht Günther Jauch Millionäre; Frauentausch gilt dort als tolle Programmidee, und alle paar Tage wird jemand in einer Show zum Superstar oder Supermodel erklärt. Da könnte man es für eine ziemlich exzentrische Idee halten, dass dieses Privatfernsehen jetzt ausgerechnet die Politik als Thema ausruft und Pro Sieben sogar eine "Programmoffensive" ankündigt.

Besonders junge Leute und Nichtwähler will der Sender für die Bundestagswahl mobilisieren. Wo Zuschauer üblicherweise mit dem Claim "We love to entertain you" besäuselt werden, wirbt der TV-Konzern nun für eine "aktive Beteiligung an unserer Demokratie". Mit dem Aufruf "Geh wählen!" ist ausnahmsweise mal keine SMS-Abstimmung darüber gemeint, ob ein Castingkandidat in die nächste Runde vorrücken darf.

Nun gab es immer mal wieder die Behauptung, von jetzt an werde das Politische im Privat-TV viel, viel wichtiger. Besonders vor Bundestagswahlen gehört das zum Ritual, ohne dass davon auf Dauer viel bleibt. In Wirklichkeit ist der politische Anspruch das nie eingelöste Versprechen aus der Gründerzeit des Privatfernsehens: Vor 30 Jahren wünschte sich vor allem die Union den neuen Rundfunk als politischen Gegenpol zum angeblich roten öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Statt Politik gab's aber Tutti Frutti und Hans Meiser.

Große Chance für die Demokratie

Dass 2013 alles anders wird, ist unwahrscheinlich - und trotzdem: Politische Sendungen für Jungwähler im Privatfernsehen sind eine große Chance für die Demokratie. Nur ist diese Chance bisher vor allem großartig vertan worden. Das schadet der Politik und es schadet der Gesellschaft: Bei RTL oder Sat 1 gibt es junge Zuschauer, die anderswo kaum noch für die Debatten der Demokratie zu erreichen sind; schon gar nicht im komplett überalterten öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Aber irgendwer muss doch das Gespräch organisieren angesichts einer Gesellschaft, deren junge Mitglieder längst in einem digitalen Neuland zu Hause sind, in dem viele Ältere vielleicht gar nicht mehr ankommen werden.

Jemand wie Stefan Raab zum Beispiel hat die jungen Zuschauer - und dieser Entertainer hat seit Herbst eine sogenannte politische Talkshow (Absolute Mehrheit) bei Pro Sieben. Politiker, die dort debattieren, werden vom Publikum der Reihe nach aus der Runde gewählt.

Ob man das Konzept nun bescheuert oder super findet: Die Sendung hat am späten Sonntagabend im Schnitt 320.000 Zuschauer zwischen 14 und 29 Jahren. Die Tagesschau um 20 Uhr kommt in dieser Altersgruppe auf 280.000.

Raus bist Du

Raab polarisiert natürlich auch deshalb, weil er Politiker zwingt, nach Regeln des Kommerz-TV zu spielen. Absolute Mehrheit ist ein Casting: Raus bist du. Nicht schön. Der öffentliche Ort Privatfernsehen ist beim Werben um Erstwähler eine Bühne. Sie ist wichtig. Behaglich ist sie nicht.

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat eine solche Bühne neulich betreten, er war einziger Gast einer Sendung mit Jungwählern bei Sat 1. Dort wurde er zum Beispiel nach Begriffen aus der Netzwelt gefragt, die er überhaupt nicht kannte, und irgendwann sagte Steinbrück: "Ich bin ja auch nicht in Ihrer Welt ständig zu Hause und ich will auch nicht damit angeben, dass ich es wäre, weil Sie es mir nicht glauben würden. Ich bin zwei Generationen weiter als Sie, aber das bedeutet ja nicht, dass ich keinen Sinn habe für die Probleme, die Sie haben."

Das war schön gesagt und es umreißt ungefähr, was die Kombination aus jungem TV-Publikum und Berliner Politikbetrieb im besten Fall sein könnte: eine Kontaktaufnahme zwischen fremden Welten. Und die darf ruhig mal kurios sein. Mal sehn, was nach der Wahl davon bleibt.

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SZ vom 29.06.2013/jspe
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