Presseschau zur Wahl in Russland:"Die unbequeme Wahrheit ist: Putin genießt Unterstützung in der Bevölkerung"

Presseschau zur Wahl in Russland: Putin-Anhänger hören dem Wahlsieger zu und schwenken Fahnen.

Putin-Anhänger hören dem Wahlsieger zu und schwenken Fahnen.

(Foto: Mladen Antonov/AFP)

Die Wahl in Russland als Farce abzutun, sei falsch, schreiben die einen. Die anderen warnen vor einer zeitgenössischen und modernen Version des Autoritarismus. Eine Presseschau.

Spiegel Online sieht den Schlüssel zu Putins Wahlsieg in der russischen Außenpolitik:

"Wladimir Putin ist wiedergewählt worden - nicht trotz, sondern wegen seiner Außenpolitik [...]. Nicht alle der 55 Millionen Russen, die am Sonntag für Wladimir Putin gestimmt haben, haben das freiwillig getan. Aber die Unterstützung für den Präsidenten ist groß, und sie hat viel mit Außenpolitik zu tun. Putin präsentierte sich den Wählern als der Mann, der einer feindlichen Welt die Stirn bietet, und die Russen haben dieses Argument akzeptiert [...]. Oberste Priorität, und da hat er das Mandat seiner Wähler, ist die Bewahrung des russischen Großmachtstatus. Wenn Putin von 'Souveränität' spricht, so ist damit in Wahrheit mehr gemeint als Eigenständigkeit: Russland will eine Macht sein, gegen deren Interessen keine einzige internationale Fragen entschieden werden kann. Lieber ein Dasein in Isolation, als hier Abstriche zu machen. Das größte Hindernis: Russland ist ein militärischer Riese, aber ein wirtschaftlicher Zwerg. Seine Wirtschaftsleistung, in Dollar gemessen, ist mittlerweile deutlich niedriger als die italienische. Ein starker Aufschwung ist nicht zu erwarten. Das ist Putins Dilemma."

Für Zeit Online ist Putin längst ein Gefangener seines eigenen autoritären Systems:

"Am Ende dieser Amtszeit wird Putin 71 Jahre alt sein. Und je älter er wird, desto deutlicher wird, dass er nicht ewig regieren kann. Die Spielregeln für die Zeit danach wird auch Putin nicht für immer festlegen können. Aber er kann auch nicht einfach so in den Ruhestand gehen und sich nicht mehr in die Politik einmischen. Dafür hängen zu viele Entscheidungen von seiner Person ab. Und er kann nicht sicher sein, dass sein Nachfolger ihm und seiner Umgebung Sicherheit garantieren wird [...]. Für die russische Gesellschaft sind diese Aussichten fatal. Denn die Menschen bleiben in einem Schwebezustand hängen, eine Verbesserung ihrer Lage ist nicht in Sicht. Anstelle von echten Politikern sehen sie Spieler, die um ihren Machterhalt pokern. Die Bürger glauben nicht mehr daran, dass sie auf demokratischem Wege etwas verändern können."

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung unterstreicht die Bedeutung der Wahl für den Präsidenten:

"Es wäre falsch, die sogenannte Präsidentenwahl in Russland nur als Farce abzutun. Sie hat zwar nichts mit einer Wahl im Sinne einer freiheitlichen Demokratie zu tun, aber sie ist auch kein völlig leeres Ritual. Für Wladimir Putin ist die Abstimmung von großer Bedeutung. Zum einen ist sie eine Art Stresstest für sein politisches System: Die Führung prüft dabei dessen Fähigkeit, die Macht zu sichern. Für alle Ebenen des Staatsapparates geht es darum, Loyalität und die Bereitschaft zu zeigen, Unterstützung zu mobilisieren - von den gesamtstaatlichen Behörden über die Gebietsgouverneure bis hinab zu Schuldirektoren."

Die Welt vermutet, dass Putin auch 2030 nicht aufhören will:

"Auf die Frage, ob er dann 2030 erneut die Präsidentschaft anstreben würde, gab der 65 Jahre alte Kremlchef zurück: 'Das ist lächerlich. Glauben Sie, dass ich hier sitze, bis ich 100 bin?' Viele erwarten, dass Putin an der Staatsspitze bleiben will - entweder über eine Verfassungsreform, die eine Amtszeitbeschränkung beseitigt oder über einen vorübergehenden Wechsel auf einen anderen Posten, um 2030 erneut antreten zu können. Putin verneinte indes die Frage, ob er eine Verfassungsreform anstoßen wolle."

Die taz analysiert, wie wichtig die Wahlbeteiligung für den Präsidenten war:

"Wladimir Putin war vor allem an einer hohen Wahlbeteiligung gelegen. Zunächst waren 70 Prozent Beteiligung von den Polittechnologen des Kreml den Provinzgouverneuren vorgegeben worden. Die Zahl wurde später auf 65 Prozent gesenkt. Putin wollte in einer Wahl von möglichst vielen Bürgern bestätigt werden, die ihm überdies ausreichend Legitimation verleihen konnten. Die Wahlbeteiligung lag bis Mitternacht Moskauer Zeit immer noch bei 60 Prozent. In der Nacht schnellte die Marke dann auf 67 Prozent hoch. Mit 76 Prozent für Putin und 67 Prozent Wahlbeteiligung liegt das Ergebnis in der Nähe des ursprünglich anvisierten Verhältnisses von 70 zu 70 Prozent. Diese Zahl war der Richtwert für eine Wahl, die ursprünglich als Referendum vorgesehen war."

Die niederländische Tageszeitung de Volkskrant vergleicht Russland unter Putin mit der Sowjetunion:

"Putins Regime ist allmählich immer autoritärer geworden. Mit wenigen Ausnahmen verströmen die Medien eine Atmosphäre wie in der Sowjetunion. Kein Wort über Korruption an der Spitze: Etliche Verwandte und Jugendfreunde Putins sind steinreich geworden. Menschenrechtsaktivisten und politische Gegner werden auf verschiedenste Art und Weise behindert, manchmal sogar aus dem Weg geräumt. Das ist ein politisches Konzept, das sich auf Dauer als unhaltbar erweisen dürfte. Genau wie die Kluft zwischen der Wirklichkeit und der Propaganda dem Sowjetsystem letztendlich zum Verhängnis wurde."

Der britische Independent grenzt Putins autoritäres Regime hingegen deutlich von der russischen Vergangenheit ab:

"Die unbequeme Wahrheit ist: Putin genießt Unterstützung in der Bevölkerung - auch wenn er beim Ausmaß dieser gerne übertreibt. Einige Russen, überzeugt von Putins grobem Nationalismus, sind dem neuen starken Mann für Mütterchen Russland aufrichtig ergeben. Viele andere hingegen beobachten mit Schrecken, was er ihrem Land antut, nämlich Russland mit starker Hand auf den Weg zu einem neuen autoritären Nationalismus zu führen [...] Das Russland, das in den kommenden Jahren entstehen wird, wird eine viel zeitgenössischere und modernere Version von Autoritarismus sein. Und nicht bloß Kopie oder Revival eines Modells aus der Vergangenheit."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: