Presseschau zur Groko:"Eine bessere Regierung ist leider nicht in Sicht"

Koalitionsverhandlungen von Union und SPD

Die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD sind abgeschlossen: Mikrofone wartender Medienvertreter vor der CDU-Parteizentrale in Berlin.

(Foto: dpa)

Wer geht aus den Verhandlungen als Siegerin hervor - die SPD, die Union, oder gar die AfD? Und wie würde die künftige Regierung Europa verändern? Die Presseschau zum Koalitionsvertrag.

Die "taz" versucht sich an einem Lob der Verhandlungsergebnisse, allerdings mit ein paar Enschränkungen:

"Ja, die große Koalition hat keinen großen Plan, ihre Protagonisten wirken erschöpft und ihre kalte Ignoranz gegenüber Flüchtlingen und der Klimakrise ist fürchterlich. Aber klar ist auch: Diese Regierung würde die Republik an vielen Stellen ein bisschen gerechter machen. Und eine Bessere ist leider nicht in Sicht."

Die "Stuttgarter Zeitung" sieht die lange Verhandlungszeit kritisch, begrüßt die Einigung aber trotzdem:

"... spätestens nachdem die Großkoalitionäre in spe nicht nur ihren Terminplan, sondern auch den Puffer und die Verlängerung gerissen haben, bis sie endlich einig waren, ist klar: Das wird kein Bündnis mit Aussicht auf gute Noten, sondern eines, dass mit Ach und Krach zustande kommt und sich schwertun wird diese Belastung wieder abzuschütteln. (...) Aber die Frage, ob die Projekte ausreichen, um eine Regierung zu wagen, verdient ein klares Ja als Antwort. Die SPD-Basis, die noch zustimmen muss, davon zu überzeugen, ist der Mühe wert."

Für die "Welt" hat die Erstarkung der AfD die Koalitionsverhandlungen entscheidend beeinflusst:

"Die AfD hat den Stil verändert, sie hat dafür gesorgt, dass den etablierten Parteien der Mut abhandengekommen ist, irgendjemanden zu verprellen. Sie hat sie veranlasst, den Dauerdissens, das Rumbeißen auf Details als Ausweis scheinbar notwendiger Unterscheidbarkeit zu missdeuten. Ist von der Angleichung der Arzthonorare wirklich das Schicksal des Landes abhängig? Wohl kaum. Ja, dies sei aber der Einstieg in eine neue Gesundheitspolitik, behauptet die SPD. 24 Stunden wurde zuletzt über diese Frage gesprochen. Es ist dies ein gutes Beispiel für das Grundübel der letzten Verhandlungsmonate, sowohl bei Jamaika als auch nun in der großen Koalition: Detailfragen wurden genommen, um daraus Symbolthemen zu machen. Um damit vielleicht jenen ein, zwei Prozent der Wählerschaft, die sie am Ende betreffen könnten und sich dessen auch bewussst sind, keinen Anlass zu geben, sich eine Alternative im Parteienspektrum zu suchen."

Die "Neue Züricher Zeitung" aus der Schweiz sieht die deutsche Wirtschaft als Verliererin der Koaltionsverhandlungen:

"So ist es die Missachtung der Wirtschaft, ja teilweise geradezu eine Wirtschaftsfeindlichkeit, die sich als roter Faden durch diesen Koalitionsvertrag zieht: verschärfte Mietpreisbremse, eine abermals aufgeschobene Steuerreform und nur minimale Steuersenkungen, höhere Finanztransfers und verstärkte ökonomische Fehlanreize zum Schuldenmachen in Europa, höhere Rentenleistungen, neue Subventionen für Familien und Eigenheimkäufer, bestätigte Energiewende. All diese Massnahmen (sic) werden die Leistungsfähigkeit und die Investitionsbereitschaft der deutschen Wirtschaft vermindern. Kaum eine Massnahme des Koalitionsvertrags wird sie fördern."

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" bemängelt, dass die zukünftigen Koalitionäre auf dem Gebiet der Migrationspolitik keine überzeugenden Lösungen gefunden hätten:

"Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass die Bundestagswahl und ihr langatmiges Nachspiel Spätfolgen einer unausgegorenen Migrationspolitik sind. Wie dieses Thema in den Monaten der Regierungsbildung behandelt wurde, illustriert nichts besser als das noch schnell hinter dem "Aufbruch für Europa" eingeschobene zweite Kapitel im jetzt ausgehandelten Koalitionsvertrag: "Eine neue Dynamik für Deutschland" - bis vor wenigen Tagen hieß es dazu auf einem leeren Blatt erläuternd nur: "Best of Fortschrittsthemen" und in eckigen Klammern: "Textentwurf fehlt". Den Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen von insgesamt fünf Parteien ist es in vier Monaten nicht gelungen, auf die Vertrauenskrise eine schlagfertige Antwort zu finden."

Die italienische Tageszeitung "La Repubblica" macht sich über die anstehende Abstimmung der SPD-Mitglieder Gedanken:

"Falls die SPD-Mitglieder dagegen stimmen, ist die große Koalition tot. Das Referendum ist das letzte Hindernis des Merkel-Lagers und das Ergebnis ist beileibe nicht vorauszusehen."

Die "Neue Osnabrücker Zeitung" prognostiziert wiederum, dass die Verhandlungsergebnisse auch für Unruhe an der CDU-Basis sorgen könnten:

"Angesichts der Ressortverteilung können die Unionsparteien froh sein, dass nicht ihre Mitglieder über die Annahme des Koalitionsvertrags befinden. Außen, Finanzen und Familie an den 20-Prozent-Partner, darüber hinaus Arbeit, Umwelt und Justiz. Personelle Akzente setzen CDU und CSU so schon mal nicht. Stattdessen kann sich die SPD mit Finanzen und Justiz in nahezu jedes Gesetzgebungsverfahren einschalten, während die Unionsvertreter im Wirtschafts- und Entwicklungsressort kaum wahrgenommen werden dürften."

Die französische Tageszeitung "Le Monde" wertet die Nachricht, dass die SPD in Zukunft das Finanzministerium übernehmen soll, als Erfolg für Martin Schulz:

"Wenn es bestätigt wird, wäre das ein Sieg für SPD-Parteichef Martin Schulz: Während der vergangenen großen Koalition waren die Finanzen in den Händen von Wolfgang Schäuble, den der ehemalige Europaparlamentspräsident Schulz noch vor ein paar Monaten im Wahlkampf zum schwarzen Schaf gemacht hatte."

Auch die britische BBC ist der Meinung, dass ein SPD-geführtes Finanzministerium weitreichende Konsequenzen haben könnte:

"Das würde große Auswirkungen auf den Rest der Welt haben, besonders auf Europa. Ein sozialdemokratisches Finanzministerium wäre geneigter, die ambitionierten Europa-Pläne des französischen Präsidenten Macron mitzutragen und der gebeutelten Eurozone mehr deutsche Unterstützung zukommen zu lassen. Und zu Hause würde dieses mächtige Ministerium der SPD helfen, wichtige linke Ziele durchzusetzen, zum Beispiel um die Rechte von Arbeitnehmern zu stärken."

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