Süddeutsche Zeitung

Presseschau zum Fall Böhmermann:"Außergewöhnlicher Akt der Erniedrigung"

Die internationale Presse kritisiert Merkels Entscheidung im Fall Böhmermann. Und amüsiert sich über einen Paragrafen aus der Kaiserzeit.

Von Julian Dörr

Eines Tages wird die Aufregung abgeklungen sein und der deutsche Medienbetrieb wird sich einem neuen, empörenderen Thema widmen. An diesem Tag werden wir bemerken, was die wirklichen Folgen der Staatsaffäre um den TV-Moderator, die Bundeskanzlerin und den türkischen Präsidenten waren: Jan Böhmermann hat sich einen Namen gemacht - auf der ganzen Welt. Der Streit um Böhmermanns Erdoğan-Gedicht, die Grenzen der Satire und die Bedeutung der Kunstfreiheit hat unlängst internationale Medien erreicht.

"In Deutschland sind Witze über Erdoğan nicht lustig", titelte das US-amerikanische Magazin Atlantic auf seiner Webseite - als Reaktion auf die Entscheidung der Bundesregierung, die Strafverfolgung Böhmermanns zu ermöglichen. Der Grundton ist beinahe überall der gleiche: Warum knickt Deutschland, dieses freiheitsliebende Land, in einer Frage der Meinungsfreiheit ein? Und was soll dieses merkwürdige Gesetz aus der Kaiserzeit, mit dem Böhmermann jetzt verfolgt werden kann?

Merkels Einsätze seien hoch, schreibt die Washington Post

Die Entscheidung der Bundesregierung wird in vielen ausländischen Medien als Niederlage gegenüber der Türkei gewertet. "Im Wettstarren mit Erdoğan hat Merkel als erste geblinzelt", schreibt die New York Times. Und weiter: Merkels Entscheidung habe gezeigt, wie unentbehrlich Erdoğan für die Sicherheit Europas geworden ist.

Der Fall selbst wird nüchtern betrachtet: Böhmermann werde wohl - wenn überhaupt - eine Geldstrafe zahlen müssen, schreibt die Washington Post in einer Meldung zur Entscheidung der Bundeskanzlerin. Für Merkel hingegen seien die Einsätze deutlich höher. Schon vor der Entscheidung der Kanzlerin hatte die Washington Post Jan Böhmermann verteidigt - und die Bundesregierung für ihre Verzögerungstaktik kritisiert. Die Kanzlerin versuche so eine diplomatische Krise zu umschiffen, die den EU-Deal mit der Türkei bedrohe, heißt es da. Doch darin läge Merkel falsch: "Erdoğan wird nicht zufrieden sein, bis Böhmermann bestraft und Meinungsfreiheit in Deutschland beeinträchtigt wurde."

Die britische Tageszeitung The Times spricht von einem faustischen Pakt: "Die Entscheidung der deutschen Bundeskanzlerin, die Strafverfolgung des Comedian Jan Böhmermann zu ermöglichen, stellt einen außergewöhnlichen Akt der Erniedrigung vor dem türkischen Präsidenten dar." Die Kanzlerin zahle einen hohen Preis für das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei, heißt es weiter. Sie solle für die Meinungsfreiheit einstehen und sich nicht vor Präsident Erdoğan verneigen.

Am Ende findet das US-amerikanische Online-Magazin Slate die richtigen Worte in der überhitzten Böhmermann-Debatte: "Deutschland belangt vielleicht einen Typen, der den türkischen Präsidenten kritisiert hat - aber es ist nicht so schlimm, wie es klingt."

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