Eine Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin schockiert die Welt: Putin erkennt darin nicht nur Teile der Ostukraine als unabhängige Staaten an, sondern warnt die Nato auch, sich noch weiter im Osten auszubreiten. Die internationale Presse sieht in der Fernsehansprache vor allem zwei Dinge: eine Machtdemonstration Putins und eine Gefahr für den Frieden in Europa.
"Feurig, emotional und gekränkt": New York Times
Die New York Times bezeichnet den Ton von Putins Rede als "feurig", "emotional und gekränkt". Sie sehen die Rede als "eine kaum verhüllte Drohung gegen die Regierung von Präsident Wolodimir Selenskij" - und den Frieden in Europa: "Indem er versucht, die Grenzen Europas nach dem Ende des Kalten Krieges neu zu ziehen und die Ukraine zurück in den Orbit Moskaus zu zwingen, versucht Putin nichts Geringeres, als die Sicherheitsstruktur umzustoßen, die in den letzten drei Jahrzehnten dazu beigetragen hat, einen schwierigen Frieden auf dem Kontinent zu bewahren."
"Offenbar vorher aufgezeichnete Brandrede Putins": Frankfurter Allgemeine Zeitung
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bezeichnen Friedrich Schmidt und Michaela Wiegel den Auftritt als "offenbar vorher aufgezeichnete Brandrede Putins", die "ein Bild des Nachbarlands (zeichnet), das scheitere, dessen Bevölkerung auswandere. Eines von undankbaren ,Verwandten', bei denen ,extreme Nationalisten, Russophobe und Neonazis' den Ton angäben, die nicht dem ,echten Volk' dienten, sondern ,geopolitischen Gegnern Russlands'".
Als besonders bemerkenswert sehen sie dabei Putins herrisches Verhalten gegenüber Sergej Naryschkin, Direktor des Auslandsaufklärungsdienstes SWR, "als der sich um die Aussage drückte, ob er die Anerkennung der ,Volksrepubliken' unterstütze. Schließlich brachte Naryschkin hervor, er unterstütze "die Aufnahme" der Gebilde in die Russische Föderation, als gehe es neuerlich um eine Annexion nach dem Muster der Krim 2014. ,Darüber reden wir nicht', fuhr ihn Putin an, und der sichtlich eingeschüchterte Naryschkin brachte schließlich heraus, er befürworte die Anerkennung".
"Akt größtmöglicher Inszenierung": Zeit
In der Zeit legt Maxim Kireev Putins Auftritt als einen "Akt größtmöglicher Inszenierung (...) durchorchestriert bis ins letzte Detail" aus und sieht in der Rede und dem Unterzeichnen der Freundschaftsverträge zwischen Russland und den Separatistengebieten das Ende des Minsker Abkommens: "Russland kann die Situation darüber hinaus jederzeit weiter eskalieren. Zum einen hat Putin seine Forderungen nach Sicherheitsgarantien und nach einer Absage an eine ukrainische Nato-Mitgliedschaft nicht fallen gelassen. Zum anderen beanspruchen die Volksrepubliken ein deutlich größeres Gebiet der Ukraine, als sie bislang de facto kontrollieren. Es könnte sich zum Beispiel herausstellen, dass die heutige russische Anerkennung auch diese Gebiete umfasst, die derzeit unter der Kontrolle des ukrainischen Militärs stehen. (...) Im Klartext dürfte Putins Drohung bedeuten, dass die russische Armee weiter für einen Militärschlag gegen die Ukraine bereitsteht."
"Oberster Führer, der seine Gefolgsleute vesammelt": The Guardian
Im Guardian sieht Shaun Walker in Putins Rede ein "absurdes, wütendes Spektakel". Und er unterstellt Putin, die Situation als Machtdemonstration inszeniert zu haben: "Dies war kein Politiker, der sein Team zu Gesprächen zusammenrief, sondern ein oberster Führer, der seine Gefolgsleute versammelte und die kollektive Verantwortung für eine Entscheidung übernahm, die zumindest die Sicherheitsarchitektur in Europa verändern und möglicherweise zu einem schrecklichen Krieg führen wird, der die Ukraine verschlingt. (...)
Als symbolisches Zeichen seiner zunehmenden Isolation, ohne Gleichgestellte, die ihm widersprechen oder seine Ideen diskutieren können, ist Putin in letzter Zeit dazu übergegangen, sich mit Politikern, einschließlich seiner eigenen Minister, an ostentativ großen Tischen zu treffen, offenbar als eine Vorsichtsmaßnahme. Doch bei der Sitzung des Sicherheitsrats am Montag, bei der ausnahmsweise ein langer Tisch angemessen gewesen wäre, saß Putin allein und beobachtete seine Untergebenen aus absurder Entfernung, während sie sich unbeholfen in den Stühlen wälzten und darauf warteten, dass sie an die Reihe kamen, vom Chef ausgefragt zu werden."
"Mutige Entscheidungen des Westens": La Repubblica
Der Repubblica zufolge hat Putin versucht, mit der Anerkennung von Donezk und Luhansk "Geschichte neu zu schreiben". Er habe damit die "Amokfahrt, die europäischen Grenzen mit militärischer Gewalt zu verändern", fortgesetzt. Was es jetzt für den Westen brauche, ist für die italienische Tageszeitung klar: "Der Krieg war noch nie so nah, und jetzt ist es für den gesamten Westen an der Zeit, mutige politische Entscheidungen zu treffen. Es ist an der Zeit, dass die Ukraine vollständig in die europäische Familie aufgenommen wird. Zusammen mit einem deutlichen und sehr harten Sanktionssystem ist das die beste Antwort, die man auf eine völlig ungerechtfertigte militärische Bedrohung vor den Toren Europas geben kann."