Presserecht:Geöffnete Auster

Rechte von Gerichtsreportern gestärkt

Die Zinsen sind zu hoch, das hat in dieser Woche nun auch Karlsruhe entschieden.

(Foto: Uli Deck/dpa)

Bundesverfassungsgericht: Journalisten haben einen Anspruch darauf, Gerichtsurteile einzusehen.

Von WOLFGANG JANISCH

Die Justiz hat mitunter ein merkwürdiges Verhältnis zur demokratischen Transparenz. Wichtige Urteile bleiben unter Verschluss und sind selbst in anonymisierter Form nicht zu bekommen. Das Urteil gegen Uli Hoeneß war erst nach monatelangen Bemühungen erhältlich, die Entscheidungsgründe im Fall des früheren Arcandor-Chefs Thomas Middelhoff werden bis heute nicht herausgegeben. Mit diesem Austernprinzip ist nun Schluss. Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts haben Journalisten in Verfahren von öffentlichem Interesse in aller Regel einen Anspruch auf Herausgabe einer anonymisierten Urteilskopie - und zwar bereits vor Rechtskraft des Urteils.

Geklagt hatte das Handelsblatt, es ging um ein Urteil gegen Christian Köckert, Ex-Innenminister Thüringens. Dieser hatte, lange nach Ende seiner Ministerzeit, als ehrenamtlicher Beigeordneter in Eisenach von einem Windparkbauer Geld genommen und wurde deshalb vom Landgericht Meiningen 2014 wegen Vorteilsannahme und Abgeordnetenbestechung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Eine Klage des Handelsblattes auf Herausgabe einer Urteilskopie lehnte das Oberverwaltungsgericht Thüringen wegen des damals noch laufenden Revisionsverfahrens ab - weil Zeugen beeinflusst werden könnten, falls der Fall neu aufgerollt würde.

Die bisherige Praxis trug bisweilen absurde Züge

Karlsruhe hat die Entscheidung nun aufgehoben - und lässt nur noch wenig Raum für das Wegschließen von Urteilen. Danach haben Behörden bei presserechtlichen Auskunftsansprüchen zwar normalerweise einen Ermessensspielraum. Bei Gerichtsentscheidungen dagegen gelte grundsätzlich eine Pflicht zur Herausgabe, wenn es um Fälle von allgemeinem Interesse gehe. Urteile könnten allenfalls dann unter Verschluss gehalten werden, "wenn konkrete Anhaltspunkte die Gefahr einer Vereitelung, Erschwerung, Verzögerung oder Gefährdung eines Strafverfahrens (. . .) unmittelbar und dringend nahelegen", heißt es in dem Beschluss. Eine lediglich "mögliche" Gefährdung des Verfahrens reiche nicht aus - zumal über das Verfahren ohnehin bereits detailliert in den Medien berichtet worden sei. Die Verfassungsrichter weisen freilich auf die Sorgfaltspflichten der Medien hin, etwa bei der Frage der Namensnennung oder beim Persönlichkeitsschutz, wenn es um lange zurückliegende Straftaten geht. Doch das liege in der Verantwortung der Medien selbst.

Die Gerichte werden nun ihre Praxis lockern müssen - eine Praxis, die bisweilen absurde Züge trug. Als 2007 eine Diskussion darüber entbrannte, wer an dem RAF-Anschlag auf Siegfried Buback im Jahr 1977 beteiligt war, verweigerte die Bundesanwaltschaft den Journalisten zunächst die Herausgabe der - längst historischen - Urteile gegen einstige RAF-Terroristen. Erst als einige Medien, darunter die Süddeutsche Zeitung, mit Klage drohten, lenkte die Behörde ein.

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