Süddeutsche Zeitung

Pressefreiheit:"Spiegel" zieht seinen Korrespondenten aus der Türkei ab

  • Der Türkei-Korrespondent des Spiegels verlässt das Land. Er spricht von einem "Rauswurf", ohne dass jemand ihm offen die Tür gezeigt habe.
  • Seine Akkreditierung wurde nicht verlängert, der türkischen Regierung zufolge wird sie noch geprüft.
  • Ähnliche Erfahrungen haben in jüngster Zeit auch andere Journalisten gemacht, die aus dem Land berichten.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Zum Abschied hat ein Mitarbeiter des deutschen Generalkonsulats den Türkei-Korrespondenten des Nachrichtenmagazins Der Spiegel zum Flughafen begleitet. Das war eine Vorsichtsmaßnahme für Hasnain Kazim und seine Familie. Nicht, dass die türkischen Behörden ihnen womöglich Steine bei der Ausreise in den Weg legen würden.

Man wisse nie, sagte Kazim kurz vor der Abreise. "Ich war gerne in der Türkei. Aber was mir passiert, das ist ein Signal an alle Korrespondenten: Passt auf, was ihr schreibt."

Kazim verlässt das Land. Für ihn ist das, was passiert, ein "Rauswurf", ohne dass jemand ihm offen die Tür zeigt. Das erste Mal seit 2013 hat das türkische Presseamt seine Akkreditierung nicht verlängert. Es geht um mehr als um ein Stück Plastik. Ohne Akkreditierung kann er sich als Journalist nicht wirklich frei bewegen. Er kann auch keine Aufenthaltsgenehmigung für 2016 beantragen. Rechtlich befindet er sich in einem Schwebezustand.

Die Presseabteilung beim Ministerpräsidenten erklärte auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung, dass im Fall Kazim der Antrag immer noch geprüft würde. Nach der Neuwahl im November war Premier Ahmet Davutoğlu auf die Auslandspresse zugegangen und hatte signalisiert, wieder ins Gespräch kommen zu wollen. Eigentlich sollte ein anderes Klima herrschen. Er versichert immer wieder, Meinungsfreiheit sei ein "Grundwert" der türkischen Demokratie.

Freilich ist die Stimmung nicht danach, um die Pressefreiheit ist es in der Türkei wirklich nicht gut bestellt. Dass Auslandskorrespondenten derart große Schwierigkeiten bekommen, ist eine neue Erfahrung. Im Fall des Spiegel-Korrespondenten war das Auswärtige Amt eingeschaltet.

"Es steht im Raum, dass man mir etwas anhängen will", sagt er. Und sollte ein Verfahren gegen ihn eingeleitet werden, komme er womöglich gar nicht mehr raus aus dem Land. Deshalb gehe er jetzt.

Nichts Offizielles, nur Andeutungen

Der Chefredakteur von Spiegel-Online, Florian Harms, sagte: "Das Verhalten der türkischen Behörden lässt für uns keinen anderen Schluss zu, als dass unser Korrespondent aufgrund seiner journalistischen Berichterstattung vor Ort nicht mehr erwünscht ist. Dieses Verhalten ... ist aus unserer Sicht nicht tolerabel und verletzt die Pressefreiheit."

Der Chefredakteur des Spiegels, Klaus Brinkbäumer, schrieb in einer E-Mail, dass es keine offiziellen Hinweise darauf gegeben habe, dass die türkische Regierung ein Verfahren gegen Kazim vorbereite. "Das waren Andeutungen oder Ankündigungen hinter den Kulissen." Ohne Akkreditierung könne ein Korrespondent in der Türkei aber nicht arbeiten.

Bei vielen Kollegen deutscher Medien zog sich das Verfahren zur Akkreditierung hin. Die Leitung der Behörde wechselte, hieß es zur Begründung. Aber auch danach dauerte es. Am Tag des jüngsten Merkel-Besuchs in Ankara im Februar bekam eine Handvoll deutscher Journalisten per Anruf die Nachricht, dass die Karte ausgestellt werde. Zuvor hatte sich die Botschaft eingeschaltet. Die dafür zuständige Behörde ist bei Ministerpräsident Davutoğlu angesiedelt.

Der Türkei-Korrespondent der Welt, Deniz Yücel, hat mittlerweile die Hoffnung aufgegeben, eine Presseakkreditierung zu bekommen. Weil er auch einen türkischen Pass besitzt, kann er sich trotzdem legal im Land aufhalten - ist aber auch einer anderen Beobachtung ausgesetzt. Nachdem er beim Merkel-Besuch in Ankara in der Pressekonferenz die Menschenrechtslage im Südosten des Landes ansprach, ging Davutoğlu ihn persönlich an und die regierungsnahe Presse rückte ihn in die Nähe von PKK-Terroristen.

Wer über den wieder aufgeflammten Kurdenkonflikt im Südosten des Landes berichtet und sich um eine ausgewogenen Berichterstattung bemüht, läuft fast zwangsläufig Gefahr, unter Terrorverdacht gestellt zu werden. Zum Schutz ihres Korrespondenten entschied die Welt-Chefredaktion, dass er nicht mehr von vor Ort berichtet - allerdings vorläufig. Ein westlicher Diplomat sagt: "Sie wollen dir das Gefühl geben, dass hier niemand mehr sicher ist."

Der Antrag der Korrespondentin der norwegischen Zeitung Aftenposten auf einen Presseausweis wurde nach Darstellung des Blattes ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Silje Rønning Kampesæter verließ im vergangenen Monat das Land. Die Zeitung vermutet, dass die kurdischen Wurzeln von Kampesæters Verlobtem der Grund gewesen sein könnten.

Von Merkel nur ein dünner Satz

Die Vorfälle häufen sich. Anfang des Monats haben türkische Polizisten einen Reporter der Nachrichtenagentur dpa daran gehindert, in der Küstenstadt Izmir Interviews mit Flüchtlingen zu führen. Es kam sogar zu Rangeleien. Ein Polizist habe dem Übersetzer in den Bauch geschlagen.

Der Reporter, der Übersetzer und drei interviewte Flüchtlinge wurden festgehalten und zum Verhör auf eine Polizeiwache gebracht. Erst nach mehr als drei Stunden wurden sie freigelassen. Zur Erklärung hieß es, die Gruppe hätte sich verdächtig gemacht. Einer der Polizisten warf ihnen vor, für einen ausländischen Geheimdienst zu arbeiten. Die Pressekarte, die der Reporter vorlegte, wurde als Fälschung bezeichnet.

Das Presseamt bedauerte auf Anfrage den Zwischenfall: Beim dpa-Reporter habe es sich um ein unglückliches Missverständnis gehandelt. "Einzelfälle", 350 Auslandsjournalisten würden "in Frieden" arbeiten können.

Für Merkel ist die Türkei zum wichtigsten Verbündeten in der Flüchtlingskrise geworden. Bei ihren beiden Besuchen in der Türkei im vergangenen halben Jahr machte sie bei ihren öffentlichen Auftritten kein großes Thema aus dem Zustand der Pressefreiheit bei dem EU-Beitrittskandidaten. Auch nach dem jüngsten Gipfel reichte es nur für einen dünnen Satz: die Staats- und Regierungschefs hätten mit Davutoğlu "über die Situation der Medien in der Türkei diskutiert".

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