Süddeutsche Zeitung

Pressefreiheit:Ernsthafte Bedrohung

Das Schweizer Parlament streicht das kleine Wort "besonders" aus einem Gesetz - die Auswirkungen für Journalisten könnten immens ausfallen. Warum hat es die Pressefreiheit bei den Eidgenossen derzeit so schwer?

Von Isabel Pfaff

Das Klima sei im Moment nicht gut, sagt Denis Masmejan. "Ich weiß nicht, warum gerade jetzt - aber es ist so." Der Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen Schweiz spricht von der Pressefreiheit in seinem Land, er tut es mit einem Seufzen und einem ratlosen Blick. Tatsächlich ist die Schweiz im jüngsten Ranking der Organisation um vier Plätze nach hinten gerutscht, vom zehnten auf den 14. Platz. Das ist zwar immer noch ein gutes Ergebnis und hat laut Reporter ohne Grenzen vor allem mit einer in diesem Jahr vorgenommenen methodischen Änderung zu tun. Trotzdem gibt es ein paar Punkte, die dem Schweizer Zweig der Nichtregierungsorganisation ernsthafte Sorgen bereiten.

Als Erstes rückte Ende Februar mit den "Suisse Secrets", einer Recherche über zweifelhafte Kundenbeziehungen der Bank Credit Suisse, ein problematischer Passus des Schweizer Bankengesetzes in den Fokus: Seit 2015 steht in dem Gesetz, dass auch Journalisten geheime Bankdaten nicht weitergeben oder auswerten dürfen, selbst wenn diese von öffentlichem Interesse sind. Tun sie es trotzdem, riskieren sie bis zu drei Jahre Gefängnis. Der Passus, der international erst mit den Suisse-Secrets-Recherchen wirklich bekannt wurde, löste einen Aufschrei aus, denn aufgrund dieser Gesetzesklausel beteiligte sich kein Schweizer Medium an den Recherchen. Auch Denis Masmejan bezeichnet Artikel 47 des Bankengesetzes als "ernsthafte Bedrohung für die Pressefreiheit". Reporter ohne Grenzen Schweiz fordert Regierung und Parlament auf, das Gesetz anzupassen - bislang ohne Erfolg.

Erst beschränkt das Bankgeheimnis die Pressefreiheit, nun legt das Parlament nach

Stattdessen haben die Parlamentarier in Bern vergangene Woche einer weiteren Einschränkung von Presse- und Medienfreiheit zugestimmt. Sie verabschiedeten eine neue Zivilprozessordnung und stimmten in diesem Zuge auch für die Streichung eines nur scheinbar unwichtigen Wortes: Bislang konnten Gerichte Medienberichte vorläufig stoppen, wenn den von der Berichterstattung Betroffenen ein "besonders schwerer Nachteil" droht. Ein einzelner Parlamentarier der liberalen FDP fand, dass es das Wörtchen "besonders" nicht brauche - und setzte sich mit dieser Meinung im gesamten Parlament durch. Dabei hatte sich sogar die Schweizer Regierung gegen die Streichung ausgesprochen.

"Jetzt kann man Medienberichte, die einem nicht passen, deutlich leichter blockieren", sagt Denis Masmejan. Auch andere Vertreter der Branche kritisieren die Änderung scharf. Der Verband Schweizer Medien, zu dem unter anderem die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG, die Mediengewerkschaften Syndicom und Impressum, die Schweizer Journalistenschule MAZ und der Schweizer Presserat gehören, bezeichnet den geänderten Passus als "Gefährdung der Medienfreiheit", die dem "vorschnellen Stoppen missliebiger, kritischer Recherchen" Tür und Tor öffne. Syndicom betont außerdem, dass gerade "finanzstarke und mächtige" Akteure häufig versuchten, Berichterstattung durch Gerichte zu blockieren. Zwar würden sie meistens unterliegen, aber den Journalisten hätten sie trotzdem "einen vorläufigen Maulkorb" verpasst. Gerade kleinere Medien, so Syndicom, bringen solche Maßnahmen oft an die Grenzen ihrer zeitlichen und finanziellen Ressourcen.

Schwer begreiflich zu machen, dass Medien nun mal die herrschende Ordnung stören müssten

Warum haben Ständerat und Nationalrat dieser Änderung - die auch die Schweizer Regierung ablehnte - trotzdem zugestimmt? Denis Masmejan seufzt wieder. Immer wieder, erzählt er, begegne ihm bei seiner Arbeit eine Art Reflex in Politik und Wirtschaft: Die Journalisten übertrieben schon ein bisschen. "Auch in einem Land wie der Schweiz ist es schwer begreiflich zu machen, dass Medien nun mal die herrschende Ordnung stören müssen", so Masmejan. Tatsächlich begründete der FDP-Abgeordnete Thomas Hefti, der die Änderung in Gang setzte, sein Vorgehen mit dem Satz: "Die Waage befindet sich derzeit nicht im Gleichgewicht." Potenzielle Opfer von rechtsverletzender Medienberichterstattung könnten sich mit dem alten Passus zu wenig schützen.

Masmejan widerspricht. Die alte Regel sei ausreichend gewesen. Er kritisiert dagegen, dass das Parlament die Änderung angenommen habe, ohne dazu - wie sonst üblich bei einer Reform - Experten und Interessengruppen anzuhören. "Niemand hat in der Sache konkrete Belege für einen angeblich mangelhaften Rechtsschutz vorgelegt. Trotzdem wurde das Wort ,besonders' gestrichen." Das damit geschaffene Risiko für Journalisten dürfe man nicht unterschätzen.

Der Journalisten-Berufsverband Impressum hat angesichts des parlamentarischen Votums angekündigt, "alle rechtlichen Mittel" auszuschöpfen, um für die Pressefreiheit in der Schweiz zu kämpfen. Denkbar ist eine Volksabstimmung über die Zivilprozessordnung oder sogar der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

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