Für ihre Corona-Berichterstattung zahlen Journalisten in vielen Teilen der Welt einen hohen Preis. Vermeintliche "Panikmache" ist oft der Vorwand, den Regierungen aktiv nutzen, um kritischen Journalismus zu unterdrücken. Manchmal läuft es aber auch subtiler ab. Dies sind die Erfahrungen und Gedanken von Journalisten aus Osteuropa, Asien, Afrika und Mittelamerika.
Blaž Zgaga, Slowenien
"Am Sonntagabend des 15. März saß ich zu Hause, als auf meinem Handy eine Twitternachricht aufpoppte. Der selbsternannte Corona-Krisenstab der slowenischen Regierung hatte einen anonymen Nutzer retweetet. Darin stand, ich sei ein psychiatrischer Patient und der Quarantäne entflohen. Es gebe Anzeichen, dass ich "Covid-Marx/Lenin" hätte. Es war der Beginn einer Verleumdungskampagne, wie ich sie noch nicht erlebt hatte.
Anlass war meine Anfrage zum Informationsfreiheitsgesetz an die neue Regierung gewesen. Die hatte einen eigenwilligen Corona-Krisenstab zusammengestellt, ich hatte Zweifel, ob dieser so rechtens ist. Am nächsten Tag ging es auf der Website eines Privatsenders los. Ein Sender, an dem der Premierminister Anteile hat und zudem von ungarischen Geschäftsmännern finanziert wird, die mit Premierminister Viktor Orbán zusammenhängen.
Dort stand ich fortan unter Beschuss. Ich sei ein Staatsfeind, ein Terrorist, ein Revolutionär, Mitglied eines verschwörerischen "Deep State". Dazu bekam ich anonyme Todesdrohungen. Ein Krankenhausdirektor twitterte: "Vielleicht wirst du bald positiv getestet, lass uns sehen, wie du dann jammerst."
Die slowenische Regierung hat für uns Journalisten eine vergiftete Stimmung geschaffen. So schlimm wie noch nie. Der Premierminister beschimpft Medien und öffentliche Sendeanstalten, wirft ihnen vor, Lügen zu verbreiten. Die Regierung bereitet die komplette Übernahme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor, was zu Zensur und Selbstzensur führen könnte.
Ich persönlich fürchte, dass der Premierminister ein Problem mit mir hat: Und zwar weil er wegen meiner Recherchen zu seinem korrupten Verhalten vor sechs Jahren im Gefängnis gelandet war.
Während der jetzigen Verleumdungskampagne war ich im doppelten Lockdown. Fünf Tage lang verließ ich nicht mein Haus. Trotz vieler Forderungen internationaler Organisationen wollte der Innenminister mir keinen Schutz zusichern. Auch bei kurzen Spaziergängen fürchte ich mich um meine Sicherheit. Ich habe Angst um mein Leben."
Jennifer Ávila, Honduras
"Als unsere Regierung am 16. März den Verfassungsartikel zur Meinungsfreiheit aussetzte, machten wir uns große Sorgen. Würde man das Ganze als Ausrede nehmen, um uns dichtzumachen? Müssten wir uns jetzt selber zensieren?
Tatsächlich hat die formelle Abschaffung der Pressefreiheit für uns keinen großen Unterschied gemacht: Sie ist hier ohnehin unterdrückt. Überwachung, Verleumdungen, Bedrohungen, aber auch Haftstrafen und Berufsverbote sind hier nichts Unübliches.
Informationen sind so oder so schwer von den Behörden zu bekommen. Wer zu kritischen Themen in Regierungskreisen recherchiert, war schon immer einem großen Risiko ausgesetzt. Subtile Bedrohungen kennen wir auch aus der Zeit vor Corona.
Ein Problem ist nun aber, dass Antworten auf Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz zurzeit ausgesetzt sind. So können wir zum Beispiel nicht herausfinden, wohin das Geld im Notstand fließt. Zwar gibt es eine Website der Regierung zu den Corona-Maßnahmen. Die Informationen dort sind allerdings nicht nur missverständlich, sondern auch voller Fehler.
Dazu kommt, dass uns das Militär mit Feindseligkeit entgegentritt. Als ich eine Straßenszene filmen wollte, forderten sie mich auf, das Material zu löschen. Es sei nicht erlaubt, in den Straßen zu filmen. Und dass sie unsere Website nicht kennen würden. Ein typisches Problem für unabhängige Medien wie unseres.
Trotz allem denke ich, dass wir im Aufwind sind: Gerade im Internet gibt es in Honduras immer mehr unabhängige Portale. Wir berichten über den Kokainhandel, die Häufung von Korruption, die Ermordung von Ureinwohnern. Nach dem Putsch 2009 oder den Protestmärschen im Jahr 2015 wäre das nicht möglich gewesen.
Dank des massiven internationalen Drucks musste die Regierung die formelle Aussetzung der Pressefreiheit nach zwei Wochen wieder aufheben."
Ana Lalić, Serbien
"Ich hatte mir gerade die Haare gefärbt, als es gegen 21.30 Uhr bei mir an der Tür klingelte. Es war der erste April, doch dies war kein Aprilscherz: Da standen sechs Zivil-Polizisten mit einem Durchsuchungsbefehl. Sechs Stunden zuvor hatte ich einen Artikel über die Zustände im örtlichen Krankenhaus veröffentlicht.
Jeder Mitarbeiter bekam nur eine Maske und ein paar Handschuhe pro Schicht, zudem wurden die Sicherheitsmaßnahmen nicht eingehalten. Es war ein Hilfeschrei der Krankenhausmitarbeiter. Dessen Leitung sah das anders: Es forderte die Justiz auf, ein Verfahren gegen mich einzuleiten.
Die Beamten standen nun in meiner Wohnung. Sie sagten, sie suchten nach Betäubungsmitteln und Waffen. Sie durchsuchten alles: Küchenschränke, Badezimmer, das Büro meines Mannes, selbst meine Unterwäsche durchwühlten sie. Natürlich fanden sie nichts. Nach 90 Minuten hieß es trotzdem, dass ich auf die Wache mitkommen solle: Wegen Verbreitung von Panik und Einschüchterung der Öffentlichkeit. Es hieß, dass ich noch am Abend zurück zu Hause sein würde. Doch es kam anders.
Seit 20 Jahren arbeite ich als Journalistin. Tatsächlich war es noch nie so schwer wie unter unserem jetzigen Präsidenten: Wir haben hier weder Sicherheit noch Schutz. Es gibt Todesdrohungen und Verleumdungskampagnen.
Auf der Wache wurde ich gezwungen, meine Quellen preiszugeben: zwei Ärzte und eine Krankenschwester. Ich musste mich vor den Beamten ausziehen und kam in eine Zelle. Mein Nachbar war ein Rentner, den man wegen Bruchs der Ausgangssperre verhaftet hatte. Die ganze Nacht tat ich kein Auge zu. Ich saß am Bettrand, eingewickelt in meinen Mantel, Schutzmaske und Handschuhe, und versuchte zu verstehen, was passiert war. Ich machte mir Sorgen um meinen Mann: Er wusste ja gar nicht, wo ich war.
Am nächsten Morgen kam ein Mann in meine Zelle und versprühte eine Reinigungs-Substanz gegen das Coronavirus. Es war absurd: Auf der einen Seite erkannte man an, dass die Pandemie eine Gefahr ist, aber darüber berichten durfte man nicht. Zu dem Zeitpunkt hatte ich immer noch die klebrige Farbe im Haar, es juckte wie verrückt. Am Ende durfte ich zwar gehen, aber die Anklage blieb bestehen.
Ich habe schon viel erlebt, bin als Verräterin, als Spitzel für ausländische Medien diffamiert worden. Aber in den Tagen nach meiner vorübergehenden Freilassung folgte eine Hasskampagne der Regierungspartei, wie ich sie so noch nicht gesehen hatte. Jeder in Serbien, der ins Internet ging, sah ab sofort ein Bild von mir, der "Landesverräterin". Sollte ich verurteilt werden, drohen mir zwischen fünf Monaten und sechs Jahren im Gefängnis. Drogendealer kommen in Serbien mit weniger davon."
Marchel Espina, Philippinen
"Als der Lockdown hier losging, hieß es: Jeder Journalist brauche jetzt einen speziellen Presseausweis, um sich frei bewegen zu können. Dabei haben wir doch schon drei Presseausweise! Einen von der Stadt, einen von der Provinz - und einen Quarantäne-Pressepass. Jetzt sollten wir auch noch einen aus der Hauptstadt Manila bekommen, um uns frei bewegen zu können. Absurd.
Wir haben hier auf den Philippinen eine sehr schwierige Medienlandschaft, die meisten privaten Medien gehören einflussreichen Familien. Aber unter Präsident Rodrigo Duterte wird es immer schlimmer. 15 Journalisten sind hier unter ihm getötet worden. Ungesühnt und ungestraft. Im vergangenen Jahr hat mich ein Motorradfahrer über 18 Kilometer verfolgt. Seitdem hat meine Familie noch mehr Angst um mich.
Dazu kommen nun in der Pandemie, dass Strafen wegen angeblicher Fake News verhängt werden, was viele verunsichert. Den Menschen droht eine zweimonatige Gefängnisstrafe oder eine hohe Geldstrafe. Der Beruf des Journalisten ist dadurch noch gefährlicher geworden.
Einfach war es hier aber auch vorher nicht. Präsident Duterte bezeichnet uns als Spione, Geier und Verbrecher. Verleumdungsklagen sind hier an der Tagesordnung.
Von Behörden bekommt man häufig gar keine Antwort - ein Informationsfreiheitsgesetz existiert bei uns nicht. Zudem gibt es Bestechung. Das lehne ich ab: Die Leute sollen wissen, dass ich nicht käuflich bin.
Als ich letztens durch einen Checkpoint musste, stellte sich heraus, das ich die besagte Press Card gar nicht brauchte. Es wirkt, als wolle man Journalisten wie mich verunsichern. Trotz all dieser Herausforderungen müssen wir weitermachen: Jetzt ist sowohl die schlechteste als auch die beste Zeit, um hier Journalist zu sein."
Frank Wonders Payne, Liberia
"Als ich die Info von "einer großen Menschenansammlung" bekam, war mir klar, dass ich da hin musste. Es war der 27. März, ein Freitag. Das Wochenende stand an und ich fuhr zu einer Totenwache. Dort tanzten mehr als 50 Menschen. Das ist in Zeiten von Covid-19 natürlich verboten. Deswegen nahm ich mein Aufnahmegerät raus, schließlich ist es die Aufgabe von uns Journalisten, die Wahrheit zu berichten.
Doch dann kam etwa ein Dutzend Beamter von unserer Drogenbehörde hinzu. Ich konfrontierte sie damit, dass hier das Gesetz gebrochen würde und sie etwas unternehmen müssten. Doch sie rissen mir das Aufnahmegerät aus der Hand und fingen an, mich zu schlagen und zu treten. Ich verlor mein Geld, mein Aufnahmegerät und meinen Ehering. Erst als Freunde von mir dazukamen, konnte ich flüchten.
Danach lag ich zwei Tage im Krankenhaus. Ich hatte überall Schmerzen. Doch weil mein Geld nicht reicht, konnte ich mir bisher kein Röntgenbild leisten. In der Zwischenzeit habe ich mich bei der Polizei über den Angriff beschwert, das Verfahren läuft. Mein Aufnahmegerät ist zerstört, die Beamten haben sich bis heute nicht entschuldigt.
Seit dem Vorfall lebe ich in ständiger Angst, wieder angegriffen zu werden. Ich bin nur noch in meinem Haus. Auch Kollegen von mir sind wegen ihrer Covid-19-Berichterstattung angegriffen worden. Die Behörden wollen einfach nicht, dass die Menschen die Wahrheit erfahren. Wie soll man so als Wächter der Gesellschaft auftreten?"
Márton Gergely, Ungarn
"Seit Viktor Orbán an der Macht ist, überlege ich zweimal, ob ich den anderen Eltern am Schultor meinen Beruf verrate. So systematisch hat man hier den Ruf des Journalismus zerstört. Die Regierung brandmarkt uns als voreingenommene Lügenpresse. Gleichzeitig spielt sie die üblichen Regeln nicht mit: Wir bekommen keine Interviews und werden als Produzenten von Fake-News dargestellt.
Im Notstand wurde nun auch noch ein Fake-News-Gesetz erlassen. Es ist schockierend: fünf Jahre Gefängnis für "verzerrte Berichterstattung". Was darunter fällt, entscheidet nach vage formulierten Kriterien die Staatsanwaltschaft - fest in der Hand von Orbán. Seitdem herrscht unter uns Journalisten eine diffuse Angst, dass das Gesetz gegen uns angewendet wird. Uns einzuschüchtern, ist offenbar auch Sinn und Zweck der Sache.
Dabei ist es die Regierung selbst, die massive Desinformation betreibt. Obwohl bereits 500 Leute im Land infiziert waren, hat die Regierung einen Monat lang die territorialen Fallzahlen verheimlicht. Diese sind immer noch sehr vage. Mittlerweile sind wir dazu übergegangen, uns an den deutschen Zahlen des Robert-Koch-Instituts zu orientieren. Sagt Orbán, wir bräuchten 8000 Beatmungsgeräte, dann können wir hochrechnen, von wie vielen Infizierten die Regierung ausgeht.
Dabei wäre es entscheidend, die Fakten zu kennen. Nach außen hin wirkt es, als hätte Ungarn viel Glück gehabt. Aber ob das stimmt, bei lascheren Kontaktsperren als in Deutschland? Auf Antworten in den täglichen Pressekonferenzen kann man sich auch nicht verlassen: Die Fragen müssen wir zwei Stunden vorher einschicken, wirklich beantwortet werden sie selten.
All das kommt zu einer Zeit, in der die freie Presse hier ohnehin schon ausgedünnt ist. Im ganzen Land gibt es nur noch einige hundert unabhängige Journalisten in den entscheidenden Ressorts der Print- und Online-Presse, von ihnen hängt die Zukunft ab. Die Online-Portale sind hier das einzige Segment, wo unabhängige Medien noch dominieren - der Rest ist in der Hand von Orbán-freundlichen Unternehmern.
Weil es keinen richtigen Quellenschutz gibt und Schuldirektoren sowie Ärzte ohne Genehmigung nicht mit uns reden dürfen, sind wir gezwungen, viel mit anonymen Quellen zu arbeiten. Das wiederum untergräbt unsere Glaubwürdigkeit. Die "Kollegen" im Dienste der Regierung versuchen es auch auszunutzen.
Auf dem Nachrichtenkanal der Regierung läuft eine Sendung namens "Troll". Eine Stunde lang werden unabhängige Nachrichten niedergemacht. Vor einem halben Jahr, nach so einer verbalen Attacke der Trolls, hat man zwei Journalisten mit einem David-Stern abgebildet und das Bild an Litfaßsäulen geklebt - der psychische Druck hier ist mittlerweile gruselig.
Erst recht jetzt müssen wir unsere Arbeit akribisch weiter machen. Unsere Lesezahlen sind in der Coronazeit um 50 Prozent gestiegen, die Menschen suchen jetzt nach zuverlässigen Informationen. Einen Maulkorb lasse ich mir nicht verpassen."