Der aktuelle Aufmacher zitiert den Mann, der im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit in Ungarn steht: Viktor Orbáns Kanzleramtsminister. János Lázár, heißt es auf der Internetseite Origo.hu, wolle mehr EU-Fördergelder für Budapest. Vom Wirbel, den Lázár bei Origo.hu auslöste, und von der Kritik an der Regierung, die das nach sich zog, ist nicht die Rede.
Dabei ist die beliebte Internetzeitung - eine der wichtigsten Nachrichtenquellen in einem Land, in dem Printmedien immer weniger Leser finden und das Fernsehen immer unpolitischer wird - derzeit selbst Inhalt zahlreicher Aufmacher in den Konkurrenzmedien. Origo.hu oder auch Konkurrent Index.hu haben etwa 500 000 Seitenbesucher täglich, die großen Tageszeitungen teilweise nur ein Zehntel davon.
Nun hat, Stand Donnerstag, fast die Hälfte der Origo-Redaktion, 30 von etwa 60 Journalisten, gekündigt. Das Internetportal hat einen neuen Chef. Man könnte das als Indiz dafür werten, dass die Gerüchte stimmen, die seit einer Woche kursieren: Die Geschäftsführung von Origo.hu hat ihren missliebigen Chefredakteur auf Wunsch der Regierung gefeuert, weil sich der weigerte, eine Serie kritischer Artikel über ein Regierungsmitglied zu stoppen.
Dramen hinter den Kulissen
Die Eigentümerin von Origo, die ungarische Telekom, dementiert vehement und verweist als Grund für die Trennung vom Redaktionsleiter auf die "Anpassung an neue Gewohnheiten des Medienkonsums" und eine "Neurorganisation des Content Managements". Hinter den Kulissen aber spielen sich Dramen ab - nicht nur, weil jetzt viele gute Journalisten arbeitslos sind. Sondern, weil ein Glaubenskrieg entbrannt ist zwischen Medien und Politik darüber, wie weit der Einfluss der Regierung von Viktor Orbán geht.
Orbán wurde gerade wiedergewählt, er hat erneut eine Zweidrittel-Mehrheit; die großen Staatsmedien hat er längst auf Linie gebracht. Nun fürchten sich die Kleinen. Und klagen, dass die Fidesz-Regierung Medien, die nicht auf Linie sind, nicht etwa mit dem Mediengesetz von 2010 unter Druck setzt; das gefürchtete Gesetz ist seltsam zahnlos geblieben. Sondern indem sie kritische oder neutrale Medien "aushungert". Und "erpresst".
So sagt es jemand, der nicht in Erscheinung treten will, weil er selbst unter Druck steht. Und weil er viel weiß, aber wenig beweisen kann. "Die Erpressung läuft über persönliche Gespräche und am Telefon. Da wird nichts Schriftliches hinterlassen." Origo sei, sagt dieser Gesprächspartner bei einem Treffen außerhalb von Budapest in einem Park, ein gutes Beispiel für eine schlechte Entwicklung.
Demnach könnte die Geschichte, die zur Trennung von Chefredakteur Gergö Saling führte, so verlaufen sein: Kurz nach der erfolgreichen Übernahme ungarischer Mobilfunkfrequenzen durch die Telekom im vergangenen Jahr schlug eine Firma namens Prestige Média KFT dem Internetportal Origo, das der ungarischen Telekom gehört, vor, zu kooperieren, um Informationen und Inhalte, die der Regierung wichtig sind, zu vermarkten.
Das ist erst einmal nicht ungewöhnlich, Politiker nutzen auch anderswo Agenturen, um ihre Themen zu verkaufen. Fidesz und Orbán beantworten ungern Fragen zu ihrer Politik. Daher sind Journalisten froh, wenn sie Informationen angeboten bekommen: sei es über einen, nun ja, Kurier. Fragwürdig wird so ein Pakt aber, wenn Intervention Information ersetzt.
Nach SZ-Informationen soll zu einem Treffen zwischen einem Mann von Prestige Media, einem Origo-Manager sowie dem damaligen Chefredakteur gekommen sein. Der zog sich danach zurück, ein Nachfolger wurde ernannt: Gergö Saling. Der Kurier leitete Informationen weiter, die, so heißt es bei Origo, journalistischer Alltagskram waren, der Pakt tat noch nicht weh. Dann fand Origo heraus, dass der damalige Bürochef von Premier Orbán, János Lázár, der mittlerweile Minister ist, teure Reisen machte, klagte auf Herausgabe von Unterlagen, es kam zum Prozess.
Seither soll der Kurier häufiger "Druck von ganz oben" an den Geschäftsführer von Origo weitergegeben haben. Der forderte die Redaktion dem Vernehmen nach mehrmals auf, die Artikel über Lázár nicht zu veröffentlichen oder von der Seite zu nehmen ; immer jeweils vor und nach einem Gerichtstermin soll es Telefonate mit der Redaktion gegeben haben. "Das ist nicht im Interesse von Magyar Telekom, wir müssen zurückziehen", soll gebrüllt worden sein.
Die Artikel erschienen dennoch. Die Eigentümer würden kritisch nachfragen, hieß es. Ende Mai, Lázár hatte mittlerweile öffentlich den Kampf mit Origo aufgenommen, wurde Saling die Auflösung seines Vertrags verkündet. So könnte es gewesen sein.
Pressefreiheit als unverzichtbares Grundrecht
Prestige Media kontert. Man arbeite als "Beratungsfirma im Feld von geschäfts- und politischem Marketing", habe aber nie von der Regierung Kommunikationsaufträge gehabt. Ein Insider korrigiert, tatsächlich soll der Auftrag von der MTVA gekommen sein, dem Fonds, der für Staatsmedien zuständig ist.
Magyar Telekom verweist auf Anfrage an die Muttergesellschaft in Deutschland. Die schreibt empört: Vorwürfe über Absprachen oder Einflussnahmen der Deutschen Telekom als Gegenleistung für Zugeständnisse der ungarischen Regierung oder auf personelle Entscheidungen bei Origo seien haltlos und absurd. Kontakte zwischen Origo und Prestige Media seien der Telekom nicht bekannt. Die Pressefreiheit sei ein unverzichtbares Grundrecht. Von Lázár kommt eine Absage für ein Interview, er sei derzeit "zu beschäftigt".
Andere sind weniger wortkarg. Péter Magyari ist ein Journalist für das ungarische Online-Portal 444. In einer 150-seitigen Medienanalyse, deren Existenz ihm drei Quellen bestätigten, sei aufgelistet worden, wie kritisch Origo war; diese Analyse seien an Lázár geliefert worden. "Das gilt als völlig normal hier", erklärt Magyari. "Andere Medien werden auch durchleuchtet und unter Druck gesetzt". Selbst regierungsnahe, erfahrene Politikanalysten gehen davon aus, "dass es einen Pakt zwischen Magyar Telekom und Fidesz gab. Da ging es, ganz klar, um Wirtschaftsinteressen".