Interview am Morgen: Pressefreiheit:"Obama war ganz sicher kein Waisenknabe"

Demonstration von Internetaktivisten für Pressefreiheit

Ein Schild bei einer Demo in Berlin wirbt für die Pressefreiheit.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Reporter ohne Grenzen verleiht die Press Freedom Awards in Berlin. Der Geschäftsführer der Organisation in Deutschland erklärt, warum er neben US-Präsident Trump auch dessen Vorgänger kritisiert.

Interview von Juri Auel

Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen setzt sich weltweit für Informationsfreiheit und die Rechte von Journalistinnen und Journalisten ein. Nur neun Prozent der Menschheit lebt in einem Land, in dem die Aktivisten die Pressefreiheit als gut oder zufriedenstellend bewerten.

Die deutsche Sektion der Gruppe feiert in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen, weshalb die Preisverleihung der jährlichen Press Freedom Awards an diesem Donnerstag in Berlin stattfindet. Mit der Auszeichnung werden unter anderem Journalistinnen und Journalisten geehrt, die besonderen Mut bei ihrer Arbeit bewiesen haben. Frühere Preisträger sind der inzwischen verstorbene chinesische Dissident Liu Xiaobo, der inhaftierte saudi-arabische Blogger Raif Badawi, die syrische Journalistin Zaina Erhaim und die türkische Zeitung Cumhuriyet.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Christian Mihr ist selbst Journalist, hat früher unter anderem als Freiberufler in Ecuador gearbeitet und ist seit 2012 Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen in Deutschland. Im Interview am Morgen erklärt er, von welchen Ländern Deutschland in Sachen Pressefreiheit noch etwas lernen kann.

SZ: Herr Mihr, ist es nur ein Gefühl oder gerät die Pressefreiheit auch in westlichen Demokratien zunehmend unter Beschuss?

Christian Mihr: Wir beobachten als weltweit tätige Organisation tatsächlich auch in gefestigten Demokratien einen medienfeindlichen Diskurs, der grundsätzlich Journalismus in Frage stellt, die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten diskreditiert und sie zu Feinden erklärt. Was die "Fake News"-Vorwürfe in den USA sind, sind bei uns die Lügenpresse-Rufe.

Zum anderen werden im Kampf gegen Terrorismus weltweit Sicherheitsgesetze erlassen, die in Kauf nehmen, dass journalistischer Quellenschutz unter die Räder gerät. Beides dient Diktaturen und autoritären Systemen als Vorbild. Wir sehen, dass autoritäre Herrscher auf den Philippinen und in Singapur unmittelbar Bezug nehmen auf pressefeindliche Gesetze und Diskussionen, die aus gefestigten Demokratien wie zum Beispiel den USA stammen.

Wer an die USA und bedrohte Pressefreiheit denkt, der landet schnell bei Donald Trump. Der US-Präsident wettert regelmäßig gegen Journalisten. Aber auch die deutsche Geschichte ist nicht frei von solchen Attacken: Die Angriffe von Helmut Kohl auf den Spiegel sind legendär. Gibt es da einen Unterschied?

Mein erster Chefredakteur bei einer Lokalzeitung hat mir mal gesagt: Wenn du Lob bekommst für einen Artikel, dann hast du irgendetwas falsch gemacht. Ob ich das selbst so zugespitzt formulieren würde, weiß ich gar nicht, aber der Kern der Sache ist: Kritik gab es immer und auch Journalisten müssen sich ihr stellen. Gleichzeitig ist es aber auch Aufgabe von Journalismus, den Mächtigen auf die Füße zu treten und Dinge aufzudecken, die ihnen nicht gefallen. Der Unterschied ist, dass ein Helmut Kohl jenseits von Sonntagsreden - genau wie der Zeitgeist damals - nicht Journalismus als solches infrage gestellt hat.

Und genau das passiert heute?

Ich glaube schon. Wir befinden uns in einer Demokratiekrise, in der unter anderem gefühlte oder echte soziale Ungleichheiten dazu führen, dass Medien als Teil eines Systems verstanden werden, welches diese Probleme verursacht. Dabei dürfen wir nicht vergessen, was wir alles wissen durch Journalismus. Da sind etwa die von Journalistinnen und Journalisten enthüllten Panama Papers, durch die Korruption aufgedeckt wurde und Mächtige vor Gericht mussten. Wir wissen in Regensburg von dem Missbrauchsskandal, weil er durch journalistische Arbeit aufgedeckt wurde.

Bleiben wir noch mal in den USA. Sie haben in Vergangenheit nicht nur US-Präsident Trump, sondern auch seinen Vorgänger Obama für seinen Umgang mit der Presse kritisiert. Warum?

Obama war ganz sicher kein Waisenknabe, das muss man ganz klar so sagen. Unter keinem anderen US-Präsidenten wurden so viele Journalistinnen, Journalisten und Whistleblower strafrechtlich verfolgt. Edward Snowden war nur der bekannteste, es gibt noch wesentlich mehr. Das ist etwas, das bei all der Trump-Kritik gerne vergessen wird. Der Unterschied ist jedoch auch hier wieder der Punkt, dass die Aufgabe von Journalismus unter Obama, anders als unter Trump, nicht grundsätzlich infrage gestellt wurde.

Deutschland landet im Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen auf Platz 13, das ist europäisches Mittelfeld. Müssen wir uns Sorgen machen?

Reporters Without Borders and journalist Tolu - Press conference

Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen in Deutschland.

(Foto: picture alliance/dpa)

Mit Blick auf Platz 13 könnte man sagen, wir jammern zwar in Deutschland, aber wir jammern auf hohem Niveau. Die Angriffe, die wir auch hier von der Legislative auf die Pressefreiheit verzeichnen, wurden in der Vergangenheit sehr oft abgewehrt von einer starken, unabhängigen Justiz. Damit meine ich vor allem das Bundesverfassungsgericht. Prominente Beispiele sind die Urteile des Gerichts zur Online-Durchsuchung 2008 oder zur Vorratsdatenspeicherung 2010. Derzeit in Karlsruhe anhängig sind zwei Verfassungsbeschwerden von Reporter ohne Grenzen und weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen gegen das BND-Gesetz und den Straftatbestand der Datenhehlerei.

Es wundert also nicht, dass Länder wie Polen oder Ungarn die Pressefreiheit einschränken und gleichzeitig die Axt an ihr Justizsystem anlegen. Dennoch zeigt die Rangliste, wo Deutschland sich verbessern kann.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

In den skandinavischen Ländern, die das Ranking anführen, gibt es bessere Informationsfreiheitsgesetze. In Deutschland gibt es immer noch kein gesondertes Presseauskunftsrecht auf Bundesebene. Das erschwert es Journalisten, Auskunft von Ministerien zu bekommen. Sie müssen unter Umständen auf das noch junge und im Vergleich zu Skandinavien viel schwächere allgemeine Informationsfreiheitsgesetz zurückgreifen, welches für jedermann gilt. Die Beantwortung einer Anfrage nach diesem Gesetz kann wegen entsprechender Fristen lange dauern und ist mit hohen Gebühren verbunden, die abschrecken sollen.

Gibt es in Deutschland noch weitere Gesetze, die journalistische Arbeit erschweren?

Wir erleben immer wieder Polizeivertreter, die Journalisten verbieten, auf Demonstrationen zu fotografieren und dabei fälschlicherweise auf die Datenschutzgrundverordnung verweisen. Dabei müssen Polizisten das Berichterstattungsrecht der Journalisten eigentlich gewährleisten und einschreiten, wenn ihnen jemand ihre Arbeit unter Verweis auf den Datenschutz verbieten will.

In Ihr Ranking fließen auch Angriffe auf Journalisten ein. Wie sieht da die Situation hierzulande aus?

Wir haben in Deutschland im Jahr 2018 mindestens 22 gewalttätige Angriffe auf Journalisten gezählt, im Vorjahr waren es 16. Das ist im Vergleich zu Mexiko natürlich lächerlich, aber bei dieser Diskussion ist ein "Wehret den Anfängen" wichtig. Vor dem Aufkommen von Pegida hatten wir solche Zahlen nicht. Und noch eines muss man dabei deutlich machen: Es gibt auch linke Gewalt wie rund um den G-20-Gipfel in Hamburg gegen Medienvertreter, aber in der Summe haben wir vor allem eine Zunahme rechter Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten zu verzeichnen.

Ebenfalls von rechts kommt oft der Vorwurf, die deutschen Medien seien "gleichgeschaltet". Ohne diesen Vorwurf zu übernehmen: Herrscht tatsächlich manchmal zu wenig Meinungsvielfalt in unserer Presselandschaft?

Das Wort "Gleichschaltung" würde ich aufs Allerschärfte zurückweisen, weil es ein historisch konnotierter Begriff aus dem Nationalsozialismus ist, ebenso wie "Lügenpresse". Wenn wir fernab dieser Begriffe auf Ähnlichkeiten bei der Berichterstattung schauen, lässt sich sagen: Viele Journalistinnen und Journalisten in Deutschland haben eine ähnliche Sozialisation. Das beeinflusst natürlich auch ihre Beschreibung der Wirklichkeit und der Welt, die immer nur einen Bruchteil abbilden kann.

Wie sollten Medienvertreter damit umgehen?

Journalisten sollten so weit wie möglich von ihrem hohen Ross der Objektivität herunterkommen, wenn es so etwas wie Objektivität überhaupt jemals gegeben hat. Ich glaube, es gibt vielmehr professionelle Kriterien, sich Objektivität anzunähern. Diese Arbeitsweise sollten Journalisten so gut es geht erklären und damit nachvollziehbar machen, wie sie eine Geschichte von zwei Seiten beleuchten, um so zum Beispiel Falschinformationen zu enttarnen.

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